Hos 9,10
J.Kroeker
Von seinen Gerichten.
"Wie Trauben in der Wüste, so fand Ich Israel, wie eine frühe
Frucht am Feigenbaum, in seinem ersten Triebe erblickte Ich
eure Väter. Als sie aber nach Baal-Peor kamen, weihten sie
sich dem Schandgott und wurden greuelhaft wie ihr Geliebter."
Hosea 9,10.
Einst war die Gesinnung und das Leben der Väter in der Wüste
so gewesen, dass es dem Herrn wie eine unerwartet gefundene
Traube in der Wüste, ja wie eine so beliebte Frühfrucht am
Feigenbaum in seinem ersten Triebe erschien. Aber schon am
Berge Peor beim Einzug ins verheißene Land erfolgte die
große Enttäuschung. Anstatt dass Israel durch seine starke
Gotteserkenntnis bei näherer Berührung mit den kanaanäischen
Nachbarvölkern diese in sein von Gott beherrschtes Leben
hineinzog, zogen die Völker mit ihren ausschweifenden
Baalkulten Israel aus seiner berufenen Stellung in die
Gräuel des heidnischen Kultlebens hinein.
Es vollzog sich, vom Standpunkt prophetischer.
Geschichtsbetrachtung aus gesehen, bereits schon damals, was
auch die Kirche Christi im Laufe ihres Bestehens immer wieder
erlebte. Entweder zog sie in der Kraft ihrer Überzeugung und
im Bewusstsein ihrer prophetischen Verantwortung die Welt mit
in die Einflusssphäre des ihr erschlossenen Gottesreiches
hinein, oder sie sah sich eines Tages selbst mit ihrer
Gottesverehrung hineingezogen in das mystisch-religiöse
Kultleben der Welt.
An der Verirrung am Berge Peor, wo sich Israel zum ersten Mal
beteiligte an den Opferfesten der Moabiter und den damit
verbundenen sinnlichen Ausschweifungen, zeigte der Prophet,
zu welcher Fehlentwicklung so eine erstmalige Verirrung in
der ferneren Geschichte eines Volkes werden kann. Denn dem
Propheten stand der gegenwärtige Gerichtszustand des Volkes
im engsten organischen Zusammenhang mit dessen großer
geschichtlicher Vergangenheit. So eine Gerichtsreife eines
ganzen Volkes ist ihm nicht etwa nur das Ergebnis einiger
großer Fehler der letzten Jahre. Das Volk hatte von Peor ab
im Laufe seiner Geschichtsentwicklung nie den vollen Einsatz
seiner prophetischen Berufung gewagt, nur ein an Gott
gebundenes Priestervolk innerhalb der Geschichte zu sein.
Es muss daher jetzt im Gericht ernten, wozu die falsche
Einstellung zu seiner Berufung es verleitet hat.
Endgeschichtliche Gerichtskatastrophen in der Geschichte
eines Volkes waren nie etwa nur die Folgen der falschen
Entwicklung jüngster Vergangenheit oder weniger Jahrzehnte.
Sie waren vielmehr immer die allmähliche Reife einer
geschichtlichen Fehlentwicklung, deren Anfänge Jahrhunderte
oder sogar Jahrtausende zurückliegen können.