Jer 22,22
S.Keller
Jerem. 22, 22: «Alle deine Hirten wird der Wind weiden.»
Sonst weidet der Hirte die Schafe - hier sind die Hirten als
Schafe vorgestellt, die einen grausamen Hirten haben, der sie
haltlos vor sich hertreibt. Was wird denn das Los der
Herden, wenn der Wind die Hirten forttreibt? Wo keine
Prediger sind, wird das Volk wild, steht geschrieben. Wenn
die Hirten und Lehrer vom Wind des Unglaubens oder der
Irrlehre fortgerissen werden - wie geht es dann den Herden?
Etwas davon kann man heutzutage mit Händen greifen, und zwar
in ganz verschiedenen Lagern: sowohl bei den vom Evangelium
am weitesten abgerückten Gegnern unseres Glaubens als bei
manchen sektiererischen Schwarmgeistern erfüllt sich das
Wort. Die Führer wissen nicht mehr, wo der Wirbelwind der
Verneinung oder Verirrung sie hinweht, und die Herden bleiben
in einem verwahrlosten Zustand zurück. Wenn sie das doch
einsehen wollten, daß sie schon in einem Gerichtszustand drin
sind. Wenn sie an der wachsenden Roheit der Jugend und der
Auflösung aller Zucht und Sitte doch merken wollten, wie
schnell ihr Verderben ihnen entgegenreift! So aber halten
sie sich für die Reifen oder Freien, die Entschiedenen und
Reinen! Daß sich Gott über solche Verblendung erbarme.
Ach, Herr, wir tragen Leid über unser Volk und das
hereinreißende Verderben. Erbarme dich und schenke uns noch
eine Umkehr der Verirrten. Gib uns Weisheit und Liebe, sie
zu suchen. Amen.