Jes 6,1
J.Kroeker
Von der Erkenntnis Gottes.
"Des Jahres, da der König Usia starb, sah ich den Herrn
sitzen auf einem hohen, erhabenen Thron, und sein Saum füllte
den Tempel." Jes. 6,1.
Israels Propheten standen immer mitten im Geschehen ihrer
Zeit. Obgleich ihr Blick bis in das Allerheiligste der
oberen Welt reichte, so standen sie mit ihren Füßen doch fest
auf der Erde. So sehr ihr Herz auch in den Dingen einer
höheren Weltordnung lebte, so nahmen sie doch innigsten
Anteil auch an den Dingen der Zeit. So sehr sie auch ihre
innerliche Orientierung und ihr prophetisches Schauen in dem
Lichte der ewigen Ratschlüsse Gottes gewannen, so bewegten
sie sich mit ihrem ganzen Fühlen und Denken doch in einem
ganz bestimmten Augenblick der Geschichte.
Darin lag die ungeheure Bedeutung dieser Gottesmänner für ihr
Volk. Besonders auch die eines Jesaja. In Jerusalem lebend
lauschte er mit geöffnetem Prophetenohr dem wechselvollen
Pulsschlag des politischen und religiösen Lebens seines
Volkes. Was sein Ohr hier erlauschte, brachte er in das
Allerheiligste seines Gottes, wog im göttlichen Lichte
ab, was gottgewollt und was nicht gottgewollt sein könne.
Furchtlos kündete alsdann seine Prophetenstimme, was ihm an
Licht und an Auftrag von Gott für sein Volk geworden war.
Mehr als fünfzig Jahrelang war Jesaja die vernehmbare Stimme
Gottes im Gewoge seiner Zeit. So vielseitig und mannigfaltig
sein Dienen auch war, es war dasselbe doch von einem großen
Gedanken beherrscht: Von der souveränen Machtstellung Gottes
in allem Weltgeschehen. Jenen Eindruck von der alles
beherrschenden Majestät Gottes, den er bei seiner Berufung
empfangen hatte, hat er nie vergessen. Er hatte den Herrn
sitzen sehen auf hohem, erhabenen Thron, sein Ohr hatte
vernommen, wie die dienenden Seraphim einander zuriefen:
"Heilig, heilig, heilig ist Jahve, der Gott der Heerscharen!
Die ganze Erde eine Fülle seiner Herrlichkeit!"
Nie mehr hat Jesaja diesen tiefen Eindruck von Gottes
Majestät und Größe vergessen können. Alles Geschehen der
Zeit und alles Verhalten seines Volkes brachte er in
Zusammenhang mit der gewonnenen Gotteserkenntnis. Er hatte
den Herrn in seiner ganzen sittlichen Machtfülle gesehen.
Die Ereignisse seiner Zeit waren ihm daher kein Zufall mehr,
sie standen ihm im engsten Zusammenhang mit Gottes sittlicher
Weltregierung. Da Jesaja die absolute Machtstellung Gottes
in der Schöpfung und in der Geschichte so klar erkannte,
so wurde er der Prophet des unbedingten Vertrauens.
Durchdrungen von der Majestät Gottes, sah er alle Fäden der
Weltregierung in Gottes Hand zusammenlaufen. Hinter allem
Weltgeschehen stand ihm Gott: Er fand Gott auch in der
Geschichte.