Hl 2,17
C.H.Spurgeon
,,Mein Freund ist mein, und ich bin sein, der unter den Rosen
weidet, bis der Tag kühl werde und der Schatten weiche."
Hohel. 2, 16. 17.
Wahrlich, wenn irgend ein köstlicher Spruch in der Heiligen
Schrift steht, so ist es der: ,,Mein Freund ist mein, und ich
bin sein." So erfüllt von tiefem Frieden, von sanfter Innigkeit,
von freudiger Gewißheit, so überströmend von Wonne und Seligkeit
ist dieser Spruch, daß er gar wohl aus derselben Feder könnte
geflossen sein, die auch den dreiundzwanzigsten Psalm verfaßt
hat. Die Stelle zeigt uns den, der eine Stunde vor seinem
Heimgang nach Gethsemane sprach: ,,Den Frieden lasse ich euch,
meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt
gibt." ,,In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost: Ich habe
die Welt überwunden." Und doch ist ein Schatten dabei. Obgleich
die Aussicht unvergleichlich schön und lieblich ist - die Erde
besitzt nichts Schöneres und Herrlicheres - so ist doch die
Gegend nicht überall vom Sonnenschein umflutet. Es steht eine
Wolke am Himmel, welche einen Schatten über das Gemälde wirft:
,,Bis der Tag kühl werde und der Schatten weiche."
Ein Schatten von Krankheit liegt über deinem Herzen; vielleicht
bist du krank vor Liebe, jedenfalls mangelt dir im Augenblick
die selige Nähe deines Herrn und Bräutigams. So rufst du denn
wohl aus: ,,Ich bin sein;" aber doch kannst du nicht anders; du
mußt dich auf deine Kniee niederwerfen und flehen: ,,Bis der Tag
kühl werde und der Schatten weiche, kehre um, mein Freund!"
,,Aber wo ist Er?" fragt die Seele. Und die Antwort kommt
zurück: ,,Er weidet unter den Rosen."
Wollen wir Christum finden, so müssen wir in die Gemeinschaft
seines Volkes einverleibt werden, und mit den Heiligen zu seinen
Heilsgütern kommen. Obgleich Er uns nicht mit Rosen ernährt, so
weidet Er uns doch unter den Rosen, und da begegnen wir Ihm
vielleicht. Ach, daß wir Ihn doch diesen Abend noch erblickten!
Ach, daß wir heute das Abendmahl mit Ihm genießen dürften! Mein
Herr und mein Gott: Bei Deiner Liebe zu mir beschwöre ich Dich,
laß Dir's gefallen, mich jetzt mit Deiner Güte heimzusuchen, und
schenke meiner Seele Deinen himmlischen Frieden.