Hl 2,16
C.H.Spurgeon
,,Mein Freund."
Hohel. 2, 16.
Ein herrlicher Name tönt uns hier entgegen, mit dem die Gemeinde
Gottes vor alters in den Augenblicken ihres höchsten Entzückens
den Gesalbten des Herrn zu nennen pflegte. Als der Lenz
herbeigekommen war, und die Turteltaube sich hören ließ in
unserm Lande, da war ihr Liebeslied lieblicher denn je, und sie
sang: ,,Mein Freund ist mein, und ich bin sein, der unter den
Rosen weidet." In ihrem Hohenlied nennt sie Ihn immer mit dem
wonnevollen Namen: ,,Mein Freund!" Sogar in dem langen Winter,
wo Abgötterei den Garten des Herrn zur Öde und Wüste gemacht
hatte, fanden die Propheten der Gottesgeliebten Muße, die Last
des Herrn für etliche Zeit beiseite zu legen und mit Jesaias zu
sagen: ,,Wohlan, ich will meinem Lieben ein Lied seines Freundes
singen von seinem Weinberge." Obgleich die Heiligen sein Antlitz
noch nicht gesehen hatten, und Er noch nicht ins Fleisch
gekommen war, noch unter uns gewohnt hatte, und ob der Mensch
gleich seine Herrlichkeit nicht gesehen hatte, so war Er dennoch
Israels Trost, die Hoffnung und Freude aller Auserwählten, der
,,Freund" aller derer, die aufrichtig wandelten vor dem
Höchsten. Auch wir reden in den Sommertagen unsrer Gemeinschaft
mit Gott gern von Christo, dem Freund unsrer Seele, und fühlen,
daß Er uns teuer und köstlich ist, ,,auserkoren unter vielen
Tausenden und ganz lieblich." So wahrhaftig steht's fest, daß
die Brautgemeinde ihren Jesum liebt und Ihn als ihren Freund
betrachtet, daß der Apostel die ganze Welt herausfordern darf,
sie zu scheiden von der Liebe Christi, und daß er bezeugt, wie
weder Trübsal, noch Angst, noch Verfolgung, noch Hunger, noch
Blöße, noch Fährlichkeit, noch Schwert solches zu tun vermögen;
ja, freudig rühmt er: ,,In dem allen überwinden wir weit, um
deswillen, der uns geliebt hat." Ach, daß wir Dich doch noch
besser erkennten, Du, Einziger, ewig geliebter Freund!
,,O Jesu süß, wer Dein gedenkt,
Des Herz in Freude wird versenkt;
Und süßer über alles ist,
Wo du, o Jesu, selber bist!
Jesu, Du Herzensfreud' und Wonn',
Du Lebensbrunn', Du wahre Sonn'!
Dir gleichet nichts auf dieser Erd',
Bei Dir ist, was man je begehrt."
D.Rappard
Mein Freund ist mein, und ich bin sein, der unter den
Lilien weidet.
Hohel. 2,16.
Die alten jüdischen Ausleger sahen in dem L i e d d e r
L i e d e r (so heißt das Buch in der Ursprache) ein
Gleichnis von der Liebe Gottes zu seinem Israel. Die
neutestamentliche Gemeinde findet in diesem Liede eine Bestätigung
der beseligenden Wahrheit, daß Christus sie geliebt hat mit der
starken Liebe eines Mannes zu seiner angetrauten Frau, für
das er sich selbst dahingegeben hat, damit es ihm allein und
völlig angehöre (Eph. 5, 25. 27).
Mit entsündigten Lippen und mit jenem bräutlichen Fernen,
das dem Befehl des Auferstandenen entspricht: ,,Rühre mich
nicht an!" dürfen wir einstimmen in die Worte Sulamiths:
M e i n F r e u n d i s t m e i n, u n d i c h b i n s e i n!
Er ist mein! - Er hat sich für mich dahingegeben. Er hat
mich gerufen durch sein Wort und seinen Geist. Ich darf ihn im
Glauben n e h m e n und sprechen:
Du bist mein, weil ich Dich fasse
Und Dich nicht, o mein Licht,
Aus dem Herzen lasse.
Und ich bin sein! - Darin liegt noch tiefere Ruhe. Ich
könnte ihn fahren lassen; E r hält sein Eigentum fest.
Ich bin Dein, weil Du Dein Leben
Und Dein Blut mir zu gut
In den Tod gegeben.
So weide denn auch heute unter deinen Lilien, du Freund
der Seelen!
Laß mich, laß mich hingelangen,
Da Du mich und ich Dich
Ewig werd' umfangen!
Ch.Spurgeon
"Bis der Tag kühl wird und die Schatten fliehen."
Hohelied 2,16
Wie die Soldaten halten wir Wache und warten auf den
Tagesanbruch. Es ist Nacht, und die Finsternis vertieft
sich; wie sollen wir uns bis zum Tagesanbruch verhalten? Wir
wollen mit geduldiger Ausdauer im Dunkeln warten, solange
Gott es will. Was für Schatten sich auch noch herabsenken
mögen, was für kalte, feuchte Luft noch eindringen mag -
wir wollen es ertragen.
Ihr Soldaten des Kreuzes dürft diese Schatten nicht meiden;
der euch zu seinem Dienst berufen hat, wußte, was euch
bevorsteht, und da er euch zur Nachtwache bestellt hat, so
bleibt auf eurem Posten. Es wäre Feigheit zu sagen: "Wir
wollen desertieren, weil es so dunkel ist." Versucht nicht
wie Jona, dem Auftrag des Herrn zu entfliehen. Tut es nicht!
Der Tag wird anbrechen, die Schatten werden fliehen! Bis
dahin durchwacht die Nacht und fürchtet die Schatten nicht.
Seid männlich und stark und erinnert euch an die Nacht, in
welcher unser Meister um unseretwillen in Gethsemane gewacht
hat. Er litt unter der Macht der Finsternis, und so ertragt
ihr sie auch. Laßt euch nicht von der Furcht beschleichen,
und wenn es dennoch geschieht, so erschrecke euer Herz nicht,
sondern erhebt euch über eure Furcht, bis der Tag anbricht
und die Schatten fliehen.
Was haben wir bis zum Tagesanbruch zu tun? Unsere Aufgabe
ist ein hoffnungsvolles Wachen. Haltet eure Augen nach Osten
gerichtet und schaut nach dem ersten Zeichen des kommenden
Morgens aus. "Wacht!" Wie wenig wird diese Art Arbeit getan!
Wir wachen kaum wider den Teufel, wie wir es tun sollten;
aber wie viel weniger noch stehen wir wachend für das Kommen
unseres Herrn bereit! Achtet auf jedes Zeichen seines
Erscheinens, und lauscht auf den Ton der Räder seines Wagens.
Haltet das Licht im Fenster brennend und laßt ihn sehen, daß
ihr wach seid. Wacht, bis der Tag anbricht und die Schatten
weichen!