Hohelied

Hl 1,7 C.H.Spurgeon ,,Sage mir an, Du, den meine Seele liebt, wo Du weidest, wo Du ruhest im Mittage." Hohel. 1, 7.

Diese Worte drücken das Verlangen des Gläubigen nach Christo aus und seine Sehnsucht nach dem Umgang mit Ihm. ,,Wo weidest Du Deine Herde?" In deinem Hause? Dann will ich gehen und sehen, ob ich Dich daselbst finde. -- Im Gebetskämmerlein? Dann will ich beten ohne Aufhören. -- Oder im Wort? Dann will ich es fleißig lesen. -- In Deinen Geboten? Dann will ich darin wandeln von ganzem Herzen. Sage mir an, wo Du weidest; denn wo Du stehest als der Hirte, will ich mich niederlegen als Dein Lamm; kein andrer als Du kann mein Verlangen stillen. Ich kann mich nicht zufrieden geben, wenn ich nicht in Deiner Nähe bin. Meine Seele hungert und dürstet nach der Erquickung von Deinem Angesicht. ,,Wo ruhest Du am Mittage?" Denn es sei Tag oder Nacht, Morgen oder Abend: -- meine einzige Ruhe finde ich nur, wo Du bist mit Deiner geliebten Herde. Die Ruhe meiner Seele muß ein Gnadengeschenk sein und kann nur in Dir gefunden werden. Wo ist der Schatten dieses Felsens? Warum sollte ich nicht daselbst ruhen? Warum sollte ich sein wie einer, der ,,hin- und hergehen müsse bei den Herden Deiner Gesellen?" Der Satan spricht zu mir, ich sei Deiner unwürdig; aber ich war ja immer unwürdig, und doch hast Du mich von alters her geliebt, und darum kann meine Unwürdigkeit keine Schranke sein, die mich ausschlösse von der Gemeinschaft mit Dir. Wohl ist mein Glaube schwach und droht zu sinken; aber gerade meine Schwachheit ist ja ein Grund mehr, warum ich allezeit um Dich sein sollte, an dem Ort, da Du Deine Herde weidest, damit ich gekräftigt werde und wohl behütet an den frischen Wassern. Oder sollte ich mich von Dir abwenden? Ich wüßte dafür keinen Grund; aber es sind tausend Gründe da, daß ich bleibe, denn Jesus lockt mich zu sich. Wenn Er sich mir eine kleine Weile verbarg, so will Er mir damit nur die Köstlichkeit seiner Gegenwart umso fühlbarer werden lassen. Und obgleich ich jetzt traurig und betrübt bin, daß ich seine Nähe nicht fühlen kann, so weiß ich doch, daß Er mich wieder zur bergenden Hürde führt, wo die Lämmer seiner Herde vor den brennenden Sonnenstrahlen geschützt sind.



C.H.Spurgeon ,,Du, den meine Seele liebt." Hohel. 1, 7.

Köstlich ist's, wenn wir imstande sind, ohne alle ,,Wenn" oder ,,Aber" zum Herrn Jesus zu sagen: ,,Du, den meine Seele liebt." Manche können von Jesu nur soviel sagen: sie hoffen, sie lieben Ihn, sie glauben, sie lieben Ihn; aber nur armselige und oberflächliche Erfahrung kann sich hiermit begnügen. Keiner sollte seinem Geist die geringste Ruhe gönnen, bis daß er sich in einer so wichtigen, tief ins innerste Leben eingreifenden Sache völlige Gewißheit verschafft hat. Wir sollten uns nicht mit einer oberflächlichen Hoffnung, daß Jesus uns liebe, nicht mit einem haltlosen Vertrauen, daß wir Ihn lieben, zufrieden geben. Die Heiligen der Vorzeit sprachen nicht so unbestimmt mit ,,Aber" und ,,Wenn," mit ,,Hoffen" und ,,Vertrauen," sondern sie redeten aufrichtig und offen. ,,Ich weiß, an welchen ich glaube," spricht der Apostel Paulus. ,,Ich weiß, daß mein Erlöser lebt," spricht Hiob. Gewinne eine sichere Erkenntnis von deiner Liebe zu Jesu, und begnüge dich nicht mit weniger, als daß du mit völliger Gewißheit bezeugen kannst, du habest teil an Ihm; und das wird dir zur Gewißheit, wenn du empfangen hast das Zeugnis des Heiligen Geistes, und sein Siegel auf deine Seele durch den Glauben. Wahre Liebe zu Christo ist in allen Fällen das Werk des Heiligen Geistes und wird von Ihm im Herzen gewirkt. Er ist die wirksame Ursache dieser Liebe; aber der innere Grund, warum wir Jesum lieben, liegt im Heiland selbst. Warum lieben wir Jesum? ,,Weil Er uns zuerst geliebt hat." Warum lieben wir Jesum? Weil Er ,,sich selbst für uns dargegeben hat." Wir haben das Leben empfangen durch seinen Tod; wir haben Frieden erlangt durch sein Blut. Ob Er gleich reich war, ist Er doch arm geworden um unsertwillen. Warum lieben wir Jesum? Um der Vortrefflichkeit seiner Person willen. Wir sind erfüllt von der Bewunderung seiner Schönheit! von dem Entzücken über seine Liebenswürdigkeit! von der Erkenntnis seiner unendlichen Vollkommenheit! Seine Größe, seine Güte, sein liebliches Wesen verschmelzen sich in einen glänzenden Strahl, der die Seele entzückt, und sie in ein solches Meer der Wonne eintaucht, daß sie ausrufen muß: ,,Ja, Er ist ganz lieblich, ganz lieblich ist Er!" O, selige Liebe - eine Liebe, die das Herz mit Seilen bindet, die sanfter sind denn Seide, mit Fesseln, die fester sind denn Diamant.





Ch.Spurgeon "Seht mich nicht an, weil ich so schwärzlich bin." Hohelied 1,7

Je mehr ein Christ heranreift, desto mehr schämt er sich seiner Sünden, weil ihm die Sünde so hassenswert erscheint. Wenn er sich im Licht Gottes sieht, verabscheut er sich viel mehr, als andere es tun. Der Christ aber jagt der Heiligkeit nach und haßt die Sünde. Er kann auch nicht den kleinsten Fleck der Sünde an sich dulden. Er weiß, was Sünde wirklich ist. Ein Mensch, der Gott nicht kennt und fürchtet, übertritt alle seine Gebote, ohne daß ihn sein Gewissen verklagt. Aber ein Liebling des Himmels, der an der königlichen Tafel sitzen darf, der die ewige Liebe Gottes an sich selbst erfahren hat, kann es nicht ertragen, auf irgendeinem "Weg der Mühsal" zu gehen, der den Heiligen Geist betrüben und dem Namen Christi zur Unehre gereichen könnte. Eine "kleine" Sünde, wie die Welt es nennt, ist für einen wahrhaftigen Christen eine große Sünde. Ich frage euch nun, ob ihr wißt, was es bedeutet, bekümmert zu sein, weil ihr in euren Worten unbesonnen wart? Wißt ihr, was es ist, sich an die eigene Brust zu schlagen, weil ihr zornig wurdet? Vielleicht wurdet ihr gereizt, aber immerhin, ihr wurdet erregt und redetet unbedacht. Hast du je eine schlaflose Nacht verbracht, weil du im Geschäft ein Wort geäußert oder etwas getan hattest, das du nach reiflicher Überlegung nicht rechtfertigen konntest? Kommen dir nie die Tränen, wenn du dich deinem Herrn nicht als ähnlich erweist und da fehlst, wo du gehofft hattest, richtig zu handeln? Ich würde wenig um deine Gottseligkeit geben, wenn du nie solche Erfahrungen gemacht hättest. Buße ist ebenso ein Kennzeichen des Christen wie der Glaube. Denke nicht, daß wir mit der Buße fertig sind, wenn wir zu Christus kommen und die Vergebung unserer Sünden empfangen durch das Blut, das einst zur Sühnung floß. Nein, wir werden Buße tun, solange wir sündigen und solange wir der Reinigung bedürfen. Solange Sünde vorhanden ist oder uns eine Neigung zu irgendeiner Art von Sünde umlauert, wird uns die Gnade Gottes veranlassen, die Sünde zu verabscheuen und uns ihretwegen vor dem Allerhöchsten zu demütigen.





Ch.Spurgeon "Tue mir doch kund, o du, den meine Seele liebt: Wo gehst du zur Weide? Wo hältst du Mittagsrast?" Hohelied 1,7

Wenn ihr eure Frische behalten und nicht von der Sonne, unter der ihr arbeitet, verbrannt werden wollt, so geht wieder zu eurem Herrn und sprecht mit ihm. Redet ihn wieder so an: "Du, den meine Seele liebt." Bittet ihn, daß er eure erste Liebe erneut anfache.

Manche Christen scheinen es vergessen zu haben, daß sie den Heiland je liebten. Aber ich vertraue darauf, daß es andere gibt, in denen sich diese Liebe vertieft und mit jedem Jahr inniger wird. Wenn es bei jemand nicht so ist, so möge er nicht ruhen, bis er zu seiner ersten Liebe zurückgekehrt ist.

Oh, daß du voll Liebe zu ihm wärst! Dann würdest du in deinem Wirken für ihn Gelingen haben, deine Arbeit würde dir Freude bereiten. Je mehr du für Seelen tust, desto reiner, heiliger und christusgleicher wirst du sein, wenn du es mit ihm tust. Pflege die Gewohnheit, wie Maria zu seinen Füßen zu sitzen und ihm wie Martha zu dienen. Du kannst beides miteinander vereinigen und wirst auf diese Weise nicht unfruchtbar bleiben.

Hast du beachtet, daß die Braut auch fragt: "Wo hältst du Mittagsrast?" Ruhe ist es, was der Arbeiter nötig hat. Oh, vernachlässige diese Ruhe nicht! Kehre in die Stille zurück!

Was mich betrifft, so fühle ich, daß ich meinen Heiland nötiger habe denn je. Obwohl ich sein Evangelium lange Jahre hindurch verkündigt habe, muß ich doch immer wieder zum Kreuz kommen und wie im Anfang Erquickung im Blick auf den Gekreuzigten suchen.

Oh, daß Gottes Gnade die Aufrichtigsten unter uns stets treu gegen ihre eigenen Seelen bewahren möchte! Achte auf die Nahrung deiner Seele, lieber Christ! Du kannst keine lebendige Kraft einsetzen, wenn du nicht in dir gesund und kräftig bist; und wenn du nicht Kraft von Gott in deine Seele aufgenommen hast, kann keine Kraft von dir ausgehen. Darum nähre dich von Christus.