Hohelied

Hl 1,2 C.H.Spurgeon ,,Deine Liebe ist lieblicher denn Wein." Hoh. 1, 2.

Nichts gewährt dem Gläubigen so große Freude, wie die Gemeinschaft mit Christo. Daran hat er seine Wonne und seine Freude, wie andre an den Dingen dieses Lebens; er kann fröhlich sein, beides, über Gottes Gaben und über Gottes Werke. Aber in alle dem besonders, und in diesem allen wieder zusammen, findet er dennoch solche wesentliche Wonne und Freude nimmermehr, wie in dem reinen, unvergleichlichen Wesen seines Herrn Jesu. Er hat einen Wein, wie ihn kein Weinberg der Erde je getragen hat; Er hat ein Brot, wie es alle Korngefilde Ägyptens nie hervorbringen können. Es sind die Freuden der Erde wenig besser, als Treber, die die Schweine fressen, im Vergleich mit Jesu, dem himmlischen Manna. Wir möchten lieber einen Bissen von der Liebe Christi und einen Trunk von seiner Gemeinschaft, als eine ganze Welt voll irdischer Genüsse. Was hat die Spreu mit dem Weizen zu schaffen? Wie kann der nachgemachte Edelstein sich mit dem echten Diamant vergleichen? Was ist ein Traum gegen die herrliche Wirklichkeit? Was ist der zeitliche Glanz in seiner höchsten Entfaltung gegen die Herrlichkeit unsers Herrn Jesu in seiner allertiefsten Erniedrigung? Wenn dir das innere Leben auch nur von fern bekannt ist, so mußt du gestehen, daß unsre höchsten, reinsten und beständigsten Freuden am Baume des Lebens gereift sein müssen, der mitten im Paradiese Gottes steht. Kein Quell gibt so köstliches Wasser, wie das Brünnlein Gottes, das des Hauptmanns Speer gegraben hat. Alle irdische Wonne ist vergänglich, weil sie von der Erde stammt; aber die Seligkeit der Gegenwart Christi ist wie Er selbst, himmlisch, unverwelklich. Wenn wir auf unsre Gemeinschaft mit Christo schauen, so finden wir keine Seufzer der Leere und Öde darin; in seinem Wein sind keine trüben Hefen, in seiner Salbe gibt's keine toten Fliegen. Die Freude am Herrn ist fest und dauerhaft. Die Eitelkeit hat ihrer nicht geachtet, aber die Weisheit und Wahrheit bezeugen, daß sie die Jahre überdauert, und daß sie in Zeit und Ewigkeit des Namens wert ist: ,,Einzig wahre Wonne". An Kraft, Trost, Belebung und Erquickung kommt kein Wein der Liebe Jesu gleich. So wollen wir denn heute abend den vollen Becher dieser Liebe kosten.



C.H.Spurgeon ,,Er küsse mich mit dem Kuß seines Mundes." Hohel. 1, 2.

Wir haben uns seit einigen Tagen mit der Leidensgeschichte unsers Heilandes beschäftigt und werden auch in den nächsten Tagen noch dabei verweilen. Beim Anfang eines Monats wollen wir die gleiche Sehnsucht nach unserm Herrn in uns zu erwecken suchen, wie sie in dem Herzen der auserwählten Braut glühte. Siehe, wie sie Ihm entgegenfliegt; es kommt zu keiner Vorrede; nicht einmal seinen Namen nennt sie; sie ist mit einem Male mitten in dem, was ihr Herz erfüllt, denn sie redet von Ihm, dem einzigen Ihm, der für sie in der Welt war. Wie kühn ist ihre Liebe! Das war schon große Freundlichkeit, die es zuließ, daß eine weinende Büßerin seine Füße mit köstlicher Narde salben durfte; es war eine reiche Liebe, die es geschehen ließ, daß die sanfte Maria sich zu seinen Füßen setzte und von Ihm lernte; hier aber hofft die Liebe, die starke, inbrünstige Liebe auf noch höhere Beweise der Zuneigung und erwartet innigere Kundgebungen der Freundschaft. Esther zitterte in Ahasverus' Gegenwart, die Braut aber kennt in der wonnevollen Freiheit der vollkommenen Liebe keine Furcht. Wenn wir denselben Geist der Freiheit empfangen haben, so dürfen wir auch gleiche Gunst erwarten. Die Küsse sollen jene verschiedenen Kundgebungen der Liebe bezeichnen, durch welche der Gläubige sich in seinem Heiland selig und unbeschreiblich glücklich fühlt. Den Kuß der Versöhnung empfingen wir bei unsrer Bekehrung, und er war süß wie triefender Honig. Der Kuß der Annahme ist noch warm auf unsrer Stirn, dieweil wir wissen, daß Er unser Werk und unser Wesen angenehm gemacht hat durch den Reichtum seiner Gnade. Der Kuß der täglich erneuerten Gemeinschaft ist's, nach welchem wir uns immer wieder sehnen, Tag für Tag, bis daß er endlich zum Kuß des Empfangs wird, der die Seele der Erde entrückt, und zum Kuß der Vollendung, der sie mit himmlischer Wonne erfüllt. Der Glaube ist unser Wandel, aber die fühlbar genossene Gemeinschaft ist unsre Ruhe. Der Glaube ist die Straße, aber die Gemeinschaft mit Jesu ist der Brunnen, aus welchem der Pilger sich erquickt. O Freund unsrer Seelen, bleibe uns nicht fremd; laß die Lippen Deiner Gnade den Lippen unsers Flehens begegnen; laß den Mund Deiner Fülle unsern Mund der Armut berühren, so vollendet sich das Siegel der Liebe im seligen Kuß inniger Gemeinschaft.