Spr 26,17
W.MacDonald
»Der packt einen Hund bei den Ohren, wer im Vorbeigehen
sich über einen Streit ereifert, der ihn nichts angeht.«
Sprüche 26,17
Wir müssen zuerst einmal erkennen, daß der Hund, von dem in
diesem Vers die Rede ist, nicht der freundliche, liebe
Cockerspaniel ist, dem es vielleicht gar nichts ausmachen
würde, wenn wir ihm die Ohren festhalten. Hier ist vielmehr
der wilde, knurrende Straßenköter gemeint, der hinterhältig
ist und die Zähne fletscht. Es wäre schon unwahrscheinlich,
daß man ihm überhaupt so nahe kommt, daß man ihn bei den
Ohren packen kann. Aber selbst wenn man das könnte, wäre man
dann in einer verzweifelten Lage: Man hätte Angst, weiter
festzuhalten und auch genausoviel Angst, loszulassen.
Das ist ein treffendes Bild für den Menschen, der sich in
einen Streit hineinziehen läßt, der ihn gar nichts angeht.
Denn bald schon hat er den Zorn der beiden Kämpfenden auf
dem Hals.
Jeder von den beiden hat das Gefühl, daß der, der hier
dazwischen kommt, vielleicht siegen könnte, und so vergessen
sie ihre eigenen Meinungsverschiedenheiten und tun sich
zusammen, um gegen den Dritten zu kämpfen.
Wir lächeln über den Iren, der zu einer Schlägerei zwischen
zwei Männern hinzukam und arglos fragte: »Ist das hier ein
Privatkampf oder kann da jeder mitmachen?« Und doch steckt
der Hang zum Vermitteln in jedem von uns, die Versuchung, uns
in Streitigkeiten einzumischen, die eigentlich gar nichts mit
uns zu tun haben.
Polizeibeamte müssen ganz besonders vorsichtig sein, wenn sie
zu einer Szene gerufen werden, wo sich ein Mann mit seiner
Frau zankt. Wenn das schon so ist, wieviel mehr Vorsicht
sollte der Normalbürger walten lassen, bevor er sich in den
häuslichen Streit von anderen einmischt!
Vielleicht findet man die besten Beispiele für den Spruch des
heutigen Tages in dem Ärger, den es in einer Gemeinde geben
kann. Das fängt meistens zwischen zwei Personen an. Dann
ergreifen auch andere Partei. Was nur als ein Funke begonnen
hat, wird schon bald zu einer Feuersbrunst. Leute, die gar
nichts mit dem eigentlichen Problem zu tun haben, wollen
unbedingt ihre eigene Weisheit dazu geben, so als ob
sie das Orakel von Delphi persönlich wären. Es gibt
Temperamentsausbrüche, Freundschaften gehen kaputt, und
vielen bricht es das Herz. Und während sich der Kampf noch
verschärft, hört die Gemeinde erschrocken von Herzinfarkten,
Schlaganfällen, Magengeschwüren und anderen körperlichen
Auswirkungen. Was als eine Wurzel der Bitterkeit anfing, hat
sich ausgebreitet, bis viele davon schlimm betroffen sind.
Die Warnung, daß wir uns nicht in Streit einmischen sollen,
der nur andere etwas angeht, könnte in Widerspruch stehen zu
den Worten des Heilands: »Glückselig die Friedensstifter,
denn sie werden Söhne Gottes heißen« (Matthäus 5,9). Aber
das ist es nicht. Es gibt eine Aufgabe für Friedensstifter,
wenn beide streitenden Parteien wollen, daß ihre
Meinungsverschiedenheit von einem Schlichter beigelegt wird.
Doch in anderen Fällen erreicht der Vermittler nur, daß er
selbst in eine Situation gerät, aus der es kein leichtes und
schmerzloses Entkommen mehr gibt.