Spr 8,31
C.H.Spurgeon
Gottes Freude und Wohlgefallen an seinem Volk.
Wenn ein kleiner Säugling Verstand hätte und sich selber sehen
könnte, würde er sagen: ,,Wie unbedeutend bin ich doch gegen
meinen Vater! Welche schwachen Hände! Welche zitternden Füße!
Ich bin doch ein recht überflüssiges, armes, dürftiges,
abhängiges Geschöpf!" Aber so denkt die Mutter nicht von ihm.
Sie findet in der Schwäche eine Liebenswürdigkeit und in dem
kleinen Säugling große Schönheit. Sie sorgt mit Tränen in den
Augen darum, daß niemand diesem Kind Schaden zufüge. Sie hält
es für das schönste, das es je auf Erden gegeben hat, und ihr
ist es das auch ohne allen Zweifel. Nun, in unserem Gott sind
alle Instinkte einer Mutter und eines Vaters miteinander
verschmolzen, und wenn Er auf seine Gemeinde blickt, nennt Er
sie ,,meine Lust an ihr". Ich lese nicht, daß Er an den Werken
der Natur seine Lust hat, wohl aber, daß seine Lust ist bei den
Menschenkindern. Er freut sich nicht so sehr der Werke seiner
Hände, als der Werke seines Herzens, und der dreieinige Gott
ist bemüht, die zu segnen, die die ewige Liebe zum ewigen Leben
verordnet hat.
C.O.Rosenius
Meine Lust ist bei den Menschenkindern. Spr. 8, 31.
Es ist ein großer, beim Sündenfall uns vom Teufel
eingeflößter Irrtum, wenn wir Gott nicht für einen Gott,
einen Helfer und Heiland halten, sondern für einen harten
Richter, einen Herrn, der nur unsere Dienste fordert. Der
Herr hat einen ganz anderen Sinn: Es ist ihm eine Lust, uns
Gutes zu tun und bei den Menschenkindern auf Erden zu wohnen.
Da hat Er ein großes Krankenhaus voller Elend, voller Jammer
und Not. ,,Dies ist Meine Ruhe", spricht Er, ,,hier will Ich
wohnen; denn es gefällt Mir wohl."
Als Jesus eines Tages Seine Jünger in eine Stadt sandte,
Speise zu kaufen, kam währenddessen eine arme Frau aus der
Stadt, eine mit Sünden beladene Heidenfrau. Jesus redete mit
ihr. Ihr Gewissen erwachte, sie verstand, wer er war, der zu
ihr sagte: ,,Gib Mir zu trinken." Geschlagen im Gewissen,
aber fröhlich in der Hoffnung läuft sie, um noch mehr Heiden
zu Jesus zu rufen. Jetzt kommen die Jünger mit der Speise
und sagen: ,,Rabbi, iß!" Aber jetzt brauchte Er keine Speise
mehr. Sein Hunger war gestillt. Er hatte arme Sünder zu
erretten gefunden und sagte nur: ,,Ich habe eine Speise zu
essen, davon wisset ihr nichts." Sieh hier das Herz des
Heilandes! Es ist Seine Speise, Seine Ruhe, Seine Lust,
den Menschenkindern Gutes zu tun. Darum ist es auch Seine
Lust, bei ihnen zu wohnen. Und daß Seine Lust nicht etwas
Zufälliges und Vorübergehendes, sondern eine tief in Seinem
Wesen wurzelnde ewige Neigung zum Menschengeschlecht ist, das
hat von Anbeginn der Welt ein Jahrhundert und Jahrtausend dem
anderen verkündigt.
Der Grund ist tief. Gott machte den Menschen Ihm zum Bild.
Gott schuf ihn dazu, Sein Kind, Seine Gemeinschaft und Seine
Lust zu sein. Und als Er den Menschen, diesen Herrn der
Erde, schuf, geschah es nicht wie bei den übrigen Geschöpfen
in einem Augenblick durch ein allmächtiges ,,Es werde!"
Um des Menschen willen wurde Er ein eigentlicher Schöpfer,
bildete und formte seinen Leib, blies danach Seinen eigenen,
heiligen Lebensodem in ihn, und ,,also ward der Mensch eine
lebendige Seele." Kaum sind nun die Menschen da, so ist der
Heiland auch schon mitten unter ihnen und wandelt mit ihnen
unter den Bäumen des Paradieses. Durch unseren Fall, unsere
Sünde und unsere Not ist Seine Lust, bei uns zu wohnen, erst
recht stark und groß geworden. Seine Gottesbarmherzigkeit
hat noch kein Ende! Der ,,Sohn Seines Leibes" war in die
Hände des Feindes gefallen. Das konnte Sein Herz nicht
ertragen. ,,Gott ist die Liebe", und ,,Er hat Lust zum
Leben."
Würden wir nun eine Wanderung durch die Tage des Alten Bundes
machen, so könnten wir vor Augen sehen, wie der Heiland von
Anbeginn bei Seinen armen Sündern aus- und eingegangen ist
und sich Hütten unter Staub und Asche gebaut hat. Wir
könnten dann in jene Wildnis gehen, wo Er Hagar, die
ägyptische Magd aus dem Hause Abrahams besucht und so
freundlich mit ihr redet. Wir könnten in den Hain Mamre
treten, nach Bethel gehen und dann nach Pniel und Horeb,
wo der Herr sich in dem brennenden Busch zeigt. Wir könnten
die wunderbare Wolken- und Feuersäule betrachten und auch
hier Sein Angesicht erblicken. Bedenke nur, vierzig Jahre
hindurch sich des Tages in eine Wolke und des Nachts in ein
leuchtendes Feuer zu kleiden, und das, um einem halsstarrigen
Volke Wegweiser und Schutz gegen die Sonnenhitze sowie Schild
und Leuchte im Dunkeln zu sein - gewiß ist dazu erforderlich,
daß Er große Lust an den Menschenkindern hat! Wir könnten
weiter nach Ophra pilgern, wo Gideon den Heiland unter einer
Eiche sitzen sieht, und dann nach Jerusalem und in den Tempel
gehen, wo Er über dem Gnadenthron wohnt.
Wozu aber eine so weite Reise? Wir haben Ihn jetzt näher.
,,Gott ist geoffenbart im Fleisch." Was sehen wir zu
Weihnachten in der Krippe zu Bethlehem? ,,Ein Kind!" Jawohl,
ein Kind, und zwar dasselbe, das gesagt hat: ,,Meine Lust
ist bei den Menschenkindern." Gott im Fleisch, Gott in der
Krippe, Gott in Windeln, Gott an den Brüsten einer Mutter!
Hier steht unser Verstand still. Hier zittern uns die Knie.
Hier entsetzt sich das Herz. Das Wunder ist zu groß für
schwache Menschen. Gut, daß unsere Augen trübe sind, gut,
daß wir nur von ferne schauen und kaum den tausendsten Teil
davon verstehen! Es würde uns sonst erdrücken, wir könnten
es nicht ertragen. Die Weise, wie Er bei dem Volk Israel
war und mit ihm verkehrte, war Ihm noch kein rechtes Wohnen
bei den Menschenkindern; es war Ihm noch ein zu fremdes
Verhältnis, eine zu kühle Freundschaft. Er Gott, und sie
arme Sünder - die Kluft war noch allzu weit! Gleich und
gleich gesellt sich besser. Da wurde Er ein Menschenkind,
unser Blutsverwandter, unser Bruder. Wir können es in den
Wind schlagen, als wäre es nichts, und doch ist es wahr. Und
die Seraphine sitzen nun schon an die zweitausend Jahre auf
ihren Höhen und schauen hinab in diesen Liebesabgrund, können
ihn nicht fassen und können doch nicht aufhören, in heiliger
Verwunderung zu staunen und aus diesem Brunnen Stoff zu allen
Lobgesängen zu schöpfen: ,,Das Wort war bei Gott, und Gott
war das Wort. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter
uns." O, ewiges Gnadenwunder!
Und was hatte Ihn dazu getrieben? Er hatte Seine Lust an den
Menschen ebenso wie an den Engeln. ,,Meine Lust ist bei den
Menschenkindern." Hier sind wir nun am Ende, weiter können
wir nicht schauen. Denn: ,,Also hat Gott die Welt geliebt."
Er liebte - darum liebte Er. Wir kommen nicht weiter, wenn
wir's nicht im Glauben annehmen.