Ps 103,17
C.Eichhorn
Gottesfurcht am Anfang und am Ende
Die Gnade des Herrn währet über die, so ihn fürchten.
Ps. 103, 17
Für leichtsinnige Menschen, die über ihre Fehler skrupellos
weggehen, ist die Gnade nicht da. Sie kann nur solchen
zuteil werden, die es mit der Sünde ernst nehmen, denen sie
ein Übel, ja das größte aller Übel wird. Leichtfertige
Sünder trösten sich oft damit, daß "unser Herrgott" gnädig
ist. Sie berufen sich auf das Gebet des Zöllners: "Gott, sei
mir Sünder gnädig!" Das ist entsetzliche Verblendung. Die
Gnade bietet sich nur erschreckten Gewissen an, die aus dem
Sündenschlaf erwacht sind und in die Gegenwart des heiligen
Gottes gestellt werden. - Die Menschen sind durch ihre
Gottlosigkeit so tief gefallen. Was ihnen allein helfen
kann, sind Zeugen der Wahrheit, Männer, deren Geisteswort
das Herz in Gottes Licht stellt. Dann ergreifen Furcht und
Bangigkeit die sicheren Sünder. Ihre bis dahin unerkannte
Sünde wird aufgedeckt. Dann hören die Fehltritte auf,
"verzeihliche Schwächen" zu sein, sie werden zu furchtbaren
Anklägern. Der Mensch schreit nach Vergebung; denn sich
selbst rechtfertigen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. -
Gottesfurcht ist die notwendige Bedingung für den Empfang
der Gnade. Sie ist zugleich auch eine Frucht der Gnade.
Bei dir ist die Vergebung, "daß man dich fürchte". Was kann
es Höheres geben als Gottesfurcht, ungeheuchelte, echte,
kindliche Ehrfurcht vor Gott, die aus dem dankbaren Herzen
des begnadigten Sünders kommt? In frommen Kreisen wird die
Gottesfurcht vielfach zu gering gewertet als eine mehr
alttestamentliche Frömmigkeit. Man vergißt, daß die Apostel
die Frömmigkeit der Kinder Gottes als Furcht Gottes
bezeichnen (1. Petr. 1, 17; Hebr. 12, 28). Man ergeht
sich in hochgeistlichen Reden und übersieht das Notwendige,
nämlich einen Wandel zu führen in der Gegenwart Gottes, wobei
man in allem nur nach ihm blickt und fragt. Gar manche
hochgeistlichen Leute vernachlässigen die Grundgebote Gottes,
weil sie nicht Gott vor Augen haben und nicht vor seiner
heiligen Majestät zittern. Sie werden allzu frei und auch
allzu vertraulich oder vielmehr unehrerbietig Gott gegenüber.
- Denn die Gottesfurcht muß bei der Liebe sein, sonst
artet die Liebe aus in Unehrerbietigkeit und endet in
Gleichgültigkeit. Die Furcht Gottes erhält in der rechten
Beugung. Man ist erst dankbar für seine Liebe und betet sie
voll Staunen an, wenn man seine hohe Majestät bedenkt und
nicht vergißt, daß er Leib und Seele in die Hölle verderben
kann. Diese hochnötige Furcht, dieses heilige Zittern
vermißt man bei so vielen Frommen. Und doch ruft ihnen,
nicht den Unbekehrten, der Apostel zu: "Schaffet eure
Seligkeit mit Furcht und Zittern!" Wie befreiend wirkt
doch auch die echte Gottesfurcht! Wie löst sie von aller
Menschenrücksicht und Menschenfurcht, die uns von Natur
binden! Mit der Gottesfurcht, die vor der Sünde zurückbebt,
beginnt die Weisheit, und mit der Gottesfurcht, die mit der
Liebe zu Gott gepaart ist, vollendet sich die Weisheit.
C.O.Rosenius
Die Gnade des Herrn währt von Ewigkeit zu Ewigkeit bei denen,
die Seinen Bund halten und gedenken an Seine Gebote, daß sie
danach tun. Ps. 103, 17 und 18.
Es ist dies ein feiner Ausdruck für die innere Verfassung
eines rechten Christen. Er drückt den beständigen, innigen
Wunsch und das Seufzen in den Herzen der Gläubigen aus, den
Willen des Herrn tun zu können. Ein Christ kann oft nichts
anderes von seinem geistlichen Leben empfinden, als an die
Gebote des Herrn zu denken, um danach zu tun. Dies ist der
,,Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit", wovon Jesus redet
und worunter auch die Gerechtigkeit des Lebens verstanden
wird. Ein rechter Christ wird in dieser Sache nie vollkommen
gesättigt. Die Gebote des Herrn mit ihren geistlichen
Forderungen an den inwendigen Menschen stehen immer höher,
als daß er das Ziel erreichen könnte! Er seufzt: ,,Ach, daß
ich so sein und handeln könnte, wie der Herr fordert!"
Dieses Wünschen und Seufzen ist gleichsam der Atemzug oder
der Herzschlag des neuen Menschen. Es ist nichts anderes
als ,,Christus in uns, Gottes Geist im Herzen, eine
Teilhaftigkeit der göttlichen Natur". Dieser reine heilige
Geist streitet immer gegen das Fleisch und bewirkt, daß wir,
auch wenn wir fallen und uns vergehen, doch nie in der Sünde
bleiben können.
Hier ist nun ein Stück zur Selbstprüfung. Es heißt:
,,Gedenken an die Gebote des Herrn, daß wir danach tun".
Verstehen, denken und reden von den Geboten, das können
Tausende, sie fangen aber nie an, auch danach zu tun. Es ist
ja keine Kunst, an gute Werke zu denken und von denselben zu
reden oder sie von anderen zu fordern. Viele sind recht
eifrig um das Gesetz und um gute Werke besorgt, wenn es gilt,
daß andere dieselben tun sollen, und es wird, so meinen sie,
auch nie streng genug davon gepredigt. Aber selbst rühren
sie die Last nicht mit einem Finger an, sagt Christus. Zu
solchen spricht Er: ,,Was verkündigst du Meine Rechte und
nimmst Meinen Bund in deinen Mund, so du doch (deinerseits)
Zucht haßt und wirfst Meine Worte hinter dich?" Hier werden
Aufrichtigkeit und Wahrheit gefordert. ,,Gott läßt sich
nicht spotten!"
Auch für einen gläubigen Christen ist große Gefahr, wenn
er jemals die Lehre von unserer Schwachheit so mißbrauchen
sollte, daß er noch, nachdem er zum Trost und zum Frieden
in Christus gelangt ist, es anstehen läßt, an eine Sache zu
denken, die ihm schwerfällt. Das taugt nicht! Man muß immer
an des Herrn Gebote gedenken, daß man danach tue, nachdem man
seine volle Gerechtigkeit und seinen Frieden in Christus
erhalten hat. Die Kraft, die du noch nicht erhalten hast,
kannst du doch noch erlangen. Was dir unmöglich erscheint,
ist dem Herrn leicht. In demselben Augenblick, in dem Paulus
von seiner eigenen Schwachheit redet, redet er zugleich auch
von der Kraft Gottes in den Schwachen. ,,Wenn ich schwach
bin, so bin ich stark; Gottes Kraft ist in den Schwachen
mächtig." Wenn du darum fröhlich in deinem Gott und der
Vergebung deiner Sünden gewiß bist, dann mußt du in
vertraulicher und ernsthafter Weise die Sache, die dir zu
schwer ist, auf das Herz deines milden Heilandes legen und um
Seine Kraft bitten, das tun zu können, was Er fordert, mit
Augustinus sprechend: ,,Befiehl mir, Herr, was Du willst;
aber gib Du selbst mir das, was Du befiehlst! Du weißt, o
Herr, daß ich selbst gar nichts vermag!" Aber auch, wenn du
nicht alles erhältst, was du auf diesem Wege begehrst, nicht
all das Gute tun kannst, was du wolltest, so ist es doch
nötig, daß du an des Herrn Gebote denkst und darum bittest,
auf daß du durch solche Übung stets in einer lebendigen,
persönlichen Erfahrung deiner Schwachheit erhalten bleibst,
die dann die heilsame Demütigung bewirkt, die Gott bezweckt,
wenn Er uns dem Teufel und uns selbst überläßt. - Denke
daran!
Das bloße Wissen von unserer Schwachheit bewirkt nicht diese
Demütigung. Und nichts kann trauriger sein, als wenn ein
sonst gläubiger Mensch in solche Lässigkeit gerät, daß er
nicht mehr der Gebote des Herrn gedenkt, um danach zu tun, so
daß er durch seine Mängel gedemütigt und gebeugt wird.
Beachte dies tief! Wenn ein Mensch von unserer großen
Ohnmacht und von unseren Mängeln redet, aber dabei
ungebrochen, selbstzufrieden und stolz ist - ach, ein
schneidender Anblick, ein widerliches Gerede! Das rührt von
der Sicherheit und der Lässigkeit her. Es ist darum in allen
Beziehungen wichtig, daran zu denken, den Willen Gottes zu
tun. Es ist z. B. wahr, daß wir nicht beten können, wie
wir sollen. Wir sind oft so zerstreut, träge und kalt im
Gebet. Es ist auch wahr, daß, wer in seiner Not darüber doch
an Christus glaubt, nicht verzweifeln noch dem Unglauben Raum
geben soll. Sollte ich aber deshalb nie mein Fleisch mit
Beten beschweren? Das sei ferne! Ich muß ja doch beten, so
wie ich kann, und dabei Gott zugleich um die Gnade bitten,
besser beten zu können. Ebenso geht's in allen anderen
Fällen, wo meine Ohnmacht mir zu groß wird. Ich kann nicht
so mild, sanftmütig, demütig, liebevoll, keusch, geduldig
sein, ich kann Christus nicht so bekennen, mein Gut nicht
so für meinen Nächsten opfern, wie ich sollte. Diese guten
Dinge darf ich darum aber nicht vergessen, sondern ich muß
dennoch der Gebote des Herrn gedenken, um danach zu tun, und
Gott beständig um mehr und mehr Kraft dazu bitten.
Alles das ist die Übung aller Gläubigen, es ist ihre neue
Natur, es ist das Werk des Geistes in ihnen. Wir müssen nur
danach trachten, daß wir immer dem Geist gehorsam sind und
auf Ihn hören und nicht aufs neue in Sicherheit einschlafen.
Der Du Dich, Herr, für mich in den Tod gegeben,
Gib mir die Gnade nun, für Dich zu leben!