Ps 103,1
C.O.Rosenius
Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, Seinen
heiligen Namen. Ps. 103, 1.
Hier stellt sich die Frage: Wie hatte David ein solches
Herz erhalten? Wodurch war der Herr ihm so herzlich lieb
geworden? Die Antwort lautet: Nur die Vergebung der Sünden
und die Gewißheit derselben können einen Menschen recht
glücklich, warm und brennend machen. Wenn ein Mensch auch
alles glaubt, was die Schrift von Christus enthält, und es so
gewiß glaubt, daß er tausendmal auf diesem Glauben sterben
könnte, seine Sünden aber nicht fühlt, sondern vergnügt und
selbstzufrieden einhergeht, dann erhält er durch all seinen
Glauben keine Liebe, keine Freude, kein Leben in Gott,
sondern seine ganze Gottesfurcht besteht nur im Wissen und in
frommen Beobachtungen. - Und ferner: ,,Wenn ein Mensch seine
Sünden so fühlt, daß er nach Leib und Seele verschmachtet,
die Glaubensgewißheit der Vergebung aber nicht erhalten hat,
dann bleibt er ebenso kalt und tot, ob er sich auch in seinem
Herzen zu Tode arbeitete, um es zur Liebe und Freudigkeit zu
bewegen.
Hier sind immer die zwei Dinge erforderlich, die die Schrift
vereinigt hat: Buße und Glaube, das Überfließen der Sünde
und das Überfließen der Gnade. Dann aber, O welch ein neues
Leben, welche Freude, welcher Friede, welch brennender Geist,
welche Lust und Kraft zu allem Heiligen, wenn ich in meiner
größten Unwürdigkeit die Versicherung des großen Gottes
erhalte: ,,Deine Sünden sind dir vergeben, du bekommst Gnade
für alles und sollst schon auf Erden in einem Reiche leben,
wo keine Sünde dir zugerechnet wird; du sollst vielmehr vor
Meinen Augen in allen Augenblicken angenehm und wohlgefällig
sein." Hört es alle! Es ist schon oft gesagt worden, muß
aber unausgesetzt wiederholt werden, da es immer wieder
vergessen wird! Hört! Dies ist der einzige Weg, sowohl
selig, als auch heilig zu werden, gerecht vor Gott und warm
im Herzen, willig und geschickt zu allem Guten zu werden.
Wenn ein Mensch aus seinem Sündenschlaf erweckt wurde und
angefangen hat, Errettung zu suchen, oder wenn ein Christ
über seine Versäumnis, Kälte und Sünde erwacht und in
knechtischen Sinn versinkt, dann ist es gewöhnlich seine
große Besorgnis, daß er Gott nicht so lieben kann, wie er
sollte und wie er sieht, daß David oder andere Kinder Gottes
Ihn geliebt haben. Dann ängstigt er sich, betet, arbeitet
daran, lieben zu können und sein Herz warm zu machen; aber er
kann es nicht; er bleibt dennoch ebenso kalt. Er bittet um
Liebe, fühlt aber die gleiche Kälte. Er streitet gegen seine
abgöttische Liebe zu anderen Dingen oder Personen, die ihm
lieber geworden sind als Gott, aber er liebt sie trotzdem.
Er ist unglücklich darüber, und, wie er meint, ganz mit
Recht, denn er liebt Gott nicht.
Der Mensch muß dann, erleuchtet durch den Geist Gottes,
endlich folgendes einsehen: Es sind die recht verlorenen
Sünder, für die Christus kam, um ihnen zu helfen. Er kam,
um für uns gerade das zu tun, was das Gesetz nicht in uns
wirken konnte, gerade das, was dem Gesetz unmöglich war. Er hat
Gott für uns geliebt, Er ist rein, heilig und gerecht gewesen
für Ungerechte. Alles ist vollbracht, alles ist bereit. Der
Sünder, wie elend er auch ist, wie unwürdig und ungeschickt,
wie kalt oder warm, wie hart oder zerknirscht er ist,
ist doch gerecht, heilig, ja ,,angenehm gemacht in dem
Geliebten". - Wenn ein Christ im Lichte des Glaubens
solches sieht und völlig getröstet, frei gemacht und seiner
Begnadigung gewiß wird, dann liebt er, dann kann er lieben,
dann kann er es nicht lassen, einen so überaus gnädigen Gott
und Vater zu lieben. In seinem Herzen ist nun ein neues
Leben entstanden, er hat Freude, Friede, Liebe und eine
innige Lust zu den Geboten und Wegen des Heilandes. Er kann
nicht anders als Gott von Herzen zu loben und zu preisen,
und er kann mit David singen: ,,Lobe den Herrn, meine Seele!
Lobe den Herrn, der dir alle deine Sünden vergibt und heilet
alle deine Gebrechen."
So erhält man ein solches Herz, wie David es hatte.
Religiös, weise, fromm und wohltätig zu sein, ohne aber
diesen Weg, diesen finsteren, elenden Weg durch Sündennot
zur Begnadigung in Christus gegangen zu sein, - ach, das ist
alles Betrug. Es macht wohl angenehmere Leute als die Welt,
aber keine Christen, die ,,in Christus gekleidet" sind.
Denn, ohne in Sündennot geraten zu sein, kann kein wahres
Einkleiden in Christus geschehen. Es mag wohl angehen, hier
ein tugendhafter, religiöser Mann zu sein; in dem Augenblick
aber, da der König in den Hochzeitssaal tritt, ,,die Gäste zu
besehen"' wird der Mann ohne hochzeitliches Kleid gefunden
und - nach seiner ganzen Frömmigkeit am Hochzeitstische - in
die äußerste Finsternis" geworfen werden. Man muß den Weg
des David und den der Sünderin gehen! - Wie? Soll man denn
sündigen, um selig zu werden? Ach nein, es gibt genug Sünden
im voraus! An Sünden fehlt es uns nicht; der Fehler ist nur
der, daß wir sie nicht erkennen. Und du würdest schon Sünden
sehen, mehr als du zu tragen vermöchtest, wenn du nur die
Gnade erhieltest, Gott zu ehren, wenn nur ,,die Furcht Gottes
vor deine Augen" käme, wenn nur Gottes Heiligkeit anfinge, in
dein Gewissen und dein Herz zu leuchten, so daß die
Unreinheit des Herzens, seine Kälte, Heuchelei und sein
Hochmut dir einmal zu großen Sünden würden. Wenn so das Herz
selbst angegriffen ist, dann wird die Not größer, dann wird
aber auch die Gnade wahr und groß und überfließend, und dann
wird das Herz ,,von neuem geboren".
Die Vergebung aller Sünd'
Gibt dem bangen Herzen Mut.
Die Vergebung aller Sünd'
Ist das allerhöchste Gut.
Seh' ich meine Seelennot,
Geistlich' Ohnmacht, Sünd und Tod,
In Vergebung meiner Sünd'
Ich dann Trost und Labsal find'.