Ps 90,12
J.Kroeker
Von unserem Gottgeweihtsein.
"Lehre uns unsere Tage richtig zählen, dass wir ein weißes
Herz erlangen." Ps. 90,12.
Mit jeder Glaubenshingabe an Gott wächst die Erkenntnis
tieferer Verantwortung. Gerade jene Persönlichkeiten in der
Schrift und innerhalb der Geschichte, die es wagten, sich in
ihrem Urteil und Wirken einseitig auf Gott einzustellen,
bekundeten in ihrem Leben und Dienst eine Gewissenhaftigkeit
und ein Verantwortungsbewusstsein, das sie weit über ihre
Zeitgenossen hinaushob. Die Frucht glaubensvoller Hingabe
an Gott war noch immer opferbereiter Dienst am Nächsten.
Welch eine Weihe erhält doch das Leben und welch eine Hingabe
bekundet jeder einzelne Dienst, wenn wir jeden Tag als ein
neues Geschenk, jede Aufgabe als ein erneutes Vertrauen
werten lernen, das uns von Gott entgegengebracht wird. Wie
wächst unsere Gewissenhaftigkeit und verinnerlicht sich
unsere Hingabe, sobald wir alles tun, als ob es auch unsere
letzte Gelegenheit und unsere letzte Tat sei, um Geschautes
und Erlebtes aus der Welt des Glaubens in das Suchen und
Ringen, in die Leiden und Nöte des Nächsten zu tragen!
Der Psalmist redet hier ja aus dem tiefen Gefühl jener
Vergänglichkeit heraus, der auch der Mensch und seine
Geschichte unterworfen ist. Dieser Ernst gibt dem Psalm den
ergreifenden Inhalt und die Weihe des Gebets. Wie klein ist
doch dem Sänger der Mensch in all seinem Tun, sind ihm die
Geschlechter in all ihren gigantischen Unternehmungen. "Von
einem Äon bis zum anderen bist nur Du, o Gott!" Damit Gottes
Ewigkeit jedoch auch in unsere Vergänglichkeit trete und
unser Leben Anteil an der Welt Gottes gewinne, betet er:
"So lehre mich meine Tage zählen, damit ich ein weises Herz
gewinne." Ja, gibt Gott mit seinem Wort und seinem Wirken
unseren Tagen erst einen Inhalt, dann wird auch unsere Zeit
ein Stück Ewigkeit. Dann hört das Leben auf, sinnlos zu
sein. In den einzelnen Aufgaben atmet alsdann eine an die
Ewigkeit gebundene Seele. Aus aller Sehnsucht spricht
hinfort die Welt des Glaubens: "Lass deinen Dienern dein
Wirken sichtbar werden und deine Herrlichkeit über ihren
Kindern!"
Das sind Züge aus der Welt unserer Sehnsucht. Wir atmen
diese Welt, weil Gott in unser Leben getreten ist. Sie wäre
uns fremd, wenn Gott mit der Offenbarung seiner Herrlichkeit
und der Kraft seiner Erlösung uns fremd geblieben wäre. Dann
wäre auch uns der Mensch die Welt, in der wir unser Heil und
unsere Zukunft suchen würden. Nun ist uns beides Gott:
Erlösung und Zukunft! Alles Empfangene von Ihm löst in uns
eine Spannung mit dem Gegenwärtigen und eine neue Sehnsucht
nach dem Ewigen aus. Das Empfangene ist uns nur Angeld auf
Größeres und Vollkommeneres, das Gott auch in unserem kleinen
Leben zu offenbaren vermag.