Ps 89,30
C.O.Rosenius
Wo Seine Kinder Mein Gesetz verlassen ... , so will Ich ihre
Sünde mit der Rute heimsuchen ... aber Meine Gnade will ich
nicht von Ihm wenden. Psalm 89, 30-33.
Was bedeutet das? Wenn Seine Kinder sündigen und darum mit
der Rute und mit Plagen heimgesucht werden, soll die Gnade
doch nicht von Ihm gewendet werden. Man muß dies aus dem
Zusammenhang sehen. Die unserem Text unmittelbar
vorangehenden Worte lauten: ,,Ich will Ihm (dem ,,ersten
Sohne") ewiglich behalten Meine Gnade, und Mein Bund soll Ihm
fest bleiben. Ich will Ihm ewiglich ,,Samen geben und Seinen
Thron erhalten", solange der Himmel währt. Darauf folgt
dann: ,,Wo aber Seine Kinder Mein Gesetz verlassen" usw. Wir
fragen nun, wie die dem Sohn versprochene Gnade in Frage
gestellt werden kann, wenn Seine Kinder sündigen? Antwort:
Es war eine Gnade für die Kinder, aber sie war vom Sohne
ausbedungen. Es war eine Gnade für die Kinder, aber der Bund
oder der Vertrag über diese Gnade war mit ,,dem ersten Sohne"
geschlossen. Er ist unser Herr und Bürge, unser Mittler und
Fürsprecher bei dem Vater. Er hat sich für uns ins Mittel
gelegt. Er hat die Schuld bezahlt und die Gerechtigkeit
befriedigt. Darum soll die Gnade um Seinetwillen
unerschütterlich und ewig sein, auch wenn die Kinder
sündigen.
Aber beachte! Es heißt ,,Seine Kinder", d. h. diejenigen,
die Ihm ergeben sind, die an Ihn glauben und durch den
Glauben ,,um Ihn sind", durch den Glauben Ihm wie ein Kind
seiner Mutter anhangen, um in Seiner Gerechtigkeit ihren
Schutz, ihren Trost und ihre Gerechtigkeit zu haben. Sie
haben auch ein kindliches Vertrauen zu Ihm, wollen nicht von
Ihm weggehen, bereuen ihre Sünden vor Ihm und wollten gern,
daß sie nicht geschehen wären. Sie sind Seine Kinder,
aber auch sie können zuweilen so gräßlich fallen und sich
versündigen, wie hier steht, daß sie ,,Sein Gesetz (für den
Augenblick) verlassen und Seine Gebote nicht halten." Was tut
Er mit ihnen? Er sagt: ,,Dann will ich ihre Sünde mit der
Rute heimsuchen und ihre Missetat mit Plagen, die Gnade aber
nicht von ihnen nehmen; denn das wäre, Meine Gnade von Ihm
zu wenden, der sie erkauft und ausbedungen hat!" Luther
sagt: ,,Wenn Gott mir zu zürnen scheint, als wollte Er mich
verwerfen, dann will ich antworten: ,,Heiliger Vater, ehe
Du mich verwirfst, mußt Du erst Deinen geliebten Sohn,
Jesus Christus, verwerfen; denn Er ist mein Bürge, mein
Fürsprecher, ja, mein Lösegeld. Gilt Er vor Dir, dann
muß auch ich frei und behalten sein."
Anwendung: Du, der du zwar zu Jesus gekommen bist und
angefangen hast, an Ihn zu glauben, der du gern Sein
rechtschaffenes Kind sein möchtest, nun aber zuweilen so
sündig bist oder so schwer fällst und dich vergehst, daß dir
scheint, Gott müsse dich unbedingt in einen verkehrten Sinn
dahingeben, entsinne dich dessen, was Er dir wegen deiner
Sünde tun will, nämlich, sie mit der Rute und mit Plagen
heimsuchen, zuerst inwendig im Gewissen, solange dies zu
deiner Züchtigung genügt, sodann aber auch äußerlich durch
Trübsale in mancherlei Anfechtungen, wo es sein soll. Er
will deine Sünden mit der Rute und mit Plagen heimsuchen,
Seine Gnade aber will Er nicht umstoßen, denn wegen der Gnade
hat Er mit dem Sohn zu handeln. Über die Gnade redet Er
nicht mit dir, sondern mit dem, der sie erworben hat und der
dein Mittler, Fürsprecher und Bürge ist. Die Gnade ruht auf
einem anderen Grund als auf deiner Frömmigkeit und kann darum
nicht durch deine Sünden umgestoßen werden, denn dann wäre es
keine Gnade.
Und wenn du die Wahrheit Seiner Drohungen erfährst, mußt
du ebenso gewiß die Wahrheit Seiner Verheißung einer ewigen
Gnade glauben. Du sollst, wenn du gesündigt hast und Er dich
darauf mit der Rute und mit Plagen heimsucht, Ihn nicht
mißverstehen und meinen, daß Er dir zürne. Er hat es dir ja
zuvor gesagt, daß Er deine Sünden mit der Rute und deine
Missetat mit Plagen heimsuchen werde, ohne dir zu zürnen.
Du mußt es als eine zwischen dir und Ihm ausgemachte Sache
wissen, daß sich sowohl Sünden als auch Plagen einfinden
werden, daß die Gnade aber dennoch ewig fest bleiben wird.
Wenn du darum sündig und geplagt bist, durchdringe das
schwarze Gewölk und sprich immer noch zuversichtlich:
,,Frommer Gott, auch wenn Du Dich noch zorniger stellst und
mich noch ärger und anhaltender stäupst, will ich Dich
niemals mißverstehen. Du hast zuvor gesagt, daß Du die Sünde
mit der Rute und mit Plagen heimsuchen willst, den Gnadenbund
aber nicht umstoßen werdest. Darum will ich gern leiden. -
Das wäre ein schöner, christlicher Glaube, das wäre eine
schöne, christliche Erfahrung.
Wer die väterliche Züchtigung wegen der Sünde, die innere
Rute, die Plagen, die Furcht und Beängstigung nicht erfährt,
sondern während ganzer Tage und Wochen ohne Beschwerden und
Leiden von der Sünde oder auch sicher und frei in der einen
oder anderen bewußten Fleischlichkeit dahinlebt, der ist
gewißlich ein Bastard und kein Kind, der ist eine törichte
Jungfrau mit einer leeren Lampe. Hier ist also von den
Kindern die Rede, denen es oft schwer wird zu glauben, von
Kindern, die schwache, gebrechliche und furchtsame Herzen
haben, die aber in Christus ihren Schutz, ihre Gerechtigkeit
suchen. Sie sollen wissen, daß sie trotz all ihrer
Gebrechlichkeit in der Gnade stehen, solange ihr Mittler in
Gnaden steht, solange also ihr Lösegeld - eine beständige,
eine immerwährende, ja, ewige Gnade - gültig ist.
Herr Jesu Christ! Du kennest wohl
Der Schultern schwach Vermögen;
Du weißt schon, was ich tragen soll,
Und was Du auferlegen sollst.
Ich halte mich zu Dir,
Dein Will gescheh an mir,
Dein Will', an dem mein Wollen hängt,
Und der mir Fried und Freude schenkt.