Ps 46,3
C.O.Rosenius
Wenn auch das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm
die Berge einfielen - dennoch soll die Stadt Gottes fein
lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen
des Höchsten sind. Ps. 46, 3.
Das ist ja ein recht fröhlicher und triumphierender Gesang,
geboren aus einem recht freimütigen Herzen, das mit seinem
Gott über die Mauer springt und sich über alle Höhen
hinaufschwingt, sowohl über Berge als auch über jähe
Abgründe! Hier ist keine Spur von Verzagtheit, und doch ist
dieser fröhliche Psalm zu einer Zeit geschrieben, als ,,das
Meer wütete", als ,,große Nöte eingetroffen waren", wie wir
aus Vers 2 des gleichen Psalms sehen, so daß man fragen
möchte, wie man in solchen Zeiten froh und freimütig sein
kann.
,,Gott ist unsere Zuversicht und Stärke", so beginnt der
königliche Sänger den Psalm, ,,der Herr Zebaoth ist mit
uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz", so schließt er ihn.
Es brauchen solche Verhältnisse nur wahr und lebendig vor
unserem Herzen zu werden, unsere Augen brauchen nur geöffnet
zu werden, es braucht nur eine kleine Öffnung in den dicken
Wolken, die die Herrlichkeit Gottes vor unseren Augen
verbergen, zu entstehen, und wir singen und springen alle
mit derselben Freude wie David. Als der Knabe des Elisa
wegen des Heeres, das mit Rossen und Wagen die Stadt umgab,
ausrief: ,,O weh, mein Herr, wie sollen wir nun tun?" sagte
Elisa: ,,Fürchte dich nicht; denn derer ist mehr, die bei uns
sind, denn derer, die bei ihnen sind." Als der zitternde
Knabe damit noch nicht getröstet war, betete Elisa und
sprach: ,,Herr, öffne ihm die Augen, daß er sehe!" Da öffnete
der Herr dem Knaben seine Augen, daß er sah. Und sieh, da
war der Berg voll feuriger Rosse und Wagen um Elisa her. Nun
war der Knabe nicht mehr ängstlich. Wir sehen also, was
erforderlich ist: ,,Herr, öffne uns die Augen, daß wir
sehen!"
Hier müssen wir nun verstehen, daß mit der Stadt Gottes
nicht eine äußere Gemeinde gemeint ist, die ein ganzes Land
umfassen kann und deren Einwohner alle auf Christus getauft
sind, sondern hier ist die heilige, allgemeine Kirche
gemeint, ,,die Gemeinschaft der Heiligen", die aus
den lebendigen Gliedern Christi innerhalb aller
Kirchengemeinschaften besteht, und die darum über die ganze
Welt zerstreut ist. Diese lebendigen Glieder an Christus,
hier und da zerstreut, sind ,,die Braut des Lammes," die hier
eine kurze Zeit hindurch in einem feindlichen Land lebt, fern
von ihrem rechten Heim, dem Palast ihres Bräutigams. Sie
sind ,,der Leib Christi," der auf Erden noch viel zu leiden
hat und der auf seine Erlösung wartet. Sie sind die Gemeinde
des Herrn, die Herde des guten Hirten und ,,die Schafe
Seiner Weide". Sie sind ,,der heilige Tempel von lebendigen
Steinen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da
Jesus Christus der Eckstein ist." Sie sind ,,die Bürger mit
den Heiligen und Gottes Hausgenossen," unter denen der Herr
lebt und wie ein Vater in seinem Haus regiert. Sie sind die
Pflanzung des Herrn und ,,Sein Garten, da Er sie weidet unter
den Rosen". Sie sind ,,die Stadt des lebendigen Gottes, das
himmlische Jerusalem, die Gemeinde der Erstgeborenen, die im
Himmel angeschrieben sind." Von dieser Stadt Gottes singt
David hier so freudevoll und freimütig: ,,Wenngleich das Meer
wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen
- dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren
Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind."
Gibt es nun wirklich etwas, das diesen lieblichen Worten
entspricht, oder sollten es nur Worte sein? Und was ist dann
das bezeichnende Merkmal des Volkes Gottes, derjenigen, die
der Herr für die Seinen erkennt? Diese Frage wird allen
redlichen Christen die wichtigste sein. Wir antworten
darauf: Zu diesem lebendigen Leibe Christi gehört ein jeder,
der, unter größerem oder geringerem Sündenelend nach Erlösung
suchend, endlich seinen einzigen Trost, sein Leben und seine
Seligkeit im Heiland und nur in Ihm gefunden hat, so daß nur
Er allein der Gegenstand der Sehnsucht und des Friedens des
Herzens ist. Es ist des Herzens größte Sorge, wenn Er
entschwunden scheint, und seine größte Freude, wenn Er nahe
ist. Sieh, das ist das Kennzeichen der Braut. Und in diesem
Sinne, daß nämlich Christus immer und vor allen Dingen zur
Versöhnung und zur Gerechtigkeit sowie auch zur Heiligung und
zur Erlösung unentbehrlich ist, in diesem Sinne sind sich
alle Christen gleich. Wie merkwürdig ist es doch, daß in
allen Ländern und Zeiten, unter allen Völkern, Geschlechtern
und Sprachen, wo man Christen findet, in diesem Herzenspunkt
sich alle so ganz und gar gleich sind: Christus, Christus ist
ihr Leben und ihr Lied.
Diese sind das Volk Gottes, das in unserem Text mit der Stadt
Gottes bezeichnet wird. In Wahrheit eine wunderliche Stadt,
klein und unansehnlich - und doch groß und herrlich - von
einem Pol zum anderen sich erstreckend und überaus herrlich
ihrem inneren Wesen und ihrer endlichen Bestimmung nach.
Einstmals wird man auch die Zerstreuten gesammelt sehen, dann
wird man die Braut schauen in ihrem vollen Schmuck und Glanz.
Dann werden die Gebeine grünen,
Der große Sabbat ist erschienen,
Wo man von keiner Not mehr weiß.