Ps 4,6
C.Eichhorn
Zum neuen Jahr
Viele sagen: "Wer wird uns Gutes sehen lassen?" Aber, Herr,
erhebe über uns das Licht deines Antlitzes! Ps. 4, 6
Dies Wort ist gesprochen in dunkler Zeit. Als David von Saul
verfolgt wurde, war es gewiß schwere Zeit. Aber noch viel
schmerzlicher waren die Tage, die er infolge der Empörung des
eigenen Sohnes durchmachen mußte. Wie mußte es ihm in die
Seele schneiden, wenn er sah, wie sein geliebtes Volk ihm
schnöde und undankbar den Rücken kehrte! Gerade in Jerusalem
mußte er die bitterste Erfahrung von Treulosigkeit machen.
Selbst einer seiner nächsten Freunde und Räte, Ahitophel,
wurde zum Verräter. Von einem Häuflein weniger Getreuer
umgeben, mußte er seine Residenz verlassen und nach der Wüste
Juda flüchten. Unterwegs beschimpfte ihn Simei aufs ärgste
und warf nach ihm. Nun befand sich die kleine Schar in der
trostlosen Wüste, und jeden Augenblick konnten Absaloms
Streitkräfte über sie herfallen.
"Wer wird uns Gutes sehen lassen?" Das war die Stimmung in
der Umgebung Davids. "Wir haben die schlimmsten Aussichten,
wir sind verloren." Doch David verzagte nicht. Äußerlich
betrachtet war er so elend daran wie noch nie in seinem
Leben, und doch war er in tiefem Frieden. In seiner Seele
war es licht. Der Herr war sein Trost und sein Teil. "Du
erfreust mein Herz", ruft er triumphierend aus. Seine Feinde
waren im Besitz des ganzen Erntesegens; er hatte alles
zurücklassen müssen, war aber unendlich reicher als sie.
Seine ernste Lage bereitete ihm keine schlaflosen Stunden.
Er legte sich nieder und schlief im Frieden; denn der Herr
umgibt ihn von allen Seiten. - Auch unser Weg geht ins
Dunkel. Was wird uns dieses Jahr bringen? Wer die
äußeren Verhältnisse überblickt, kann nur mit tiefer
Niedergeschlagenheit den Weg antreten. "Aber, Herr, erhebe
über uns das Licht deines Antlitzes!" Wenn ein heller Schein
vom Antlitz Gottes ins Herz fällt, dann mag alles irdische
Freudenlicht untergehen, drinnen im Herzen ist gleichwohl
Sonnenschein. - Nicht lange vor diesem schweren
Zusammenbruch war es in der Seele Davids ganz dunkel.
Es war nach seinem tiefen Fall in Ehebruch und Blutschuld.
Da hatte sich ihm das Antlitz Gottes verhüllt. Äußerlich
stand er auf der Höhe des Glücks. Aber innerlich war er
der unglücklichste Mensch. Erst als er mit seiner Sünde ans
Licht ging, wendete sich's. "Da vergabst du mir die Missetat
meiner Sünde." Friede und Freude zogen in die Seele ein.
Laßt uns nicht bei unserer trostlosen Lage stehenbleiben!
Wir wollen die Augen nicht davor verschließen und uns darüber
hinwegtäuschen, aber wir wollen mit der Bitte in das neue
Jahr hineingehen: Herr, erhebe über uns das Licht deines
Antlitzes! Wenn das gnadenvolle Antlitz Gottes über uns
leuchtet und nicht durch unsere eigene Schuld verdunkelt
wird, dann dürfen wir triumphierend ausrufen: "Und ob ich
schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir."
S.Keller
Psalm 4, 6: «Viele sagen: Sähen wir doch das Glück! Aber,
Herr, erhebe uns das Licht deines Antlitzes.»
Gott hat gar nichts dagegen, daß unseres Herzens heißestes
Verlangen auf Glück gerichtet ist; auch nicht, wenn wir alle
unsere Gaben des Geistes und alle Kräfte des Leibes, alles
Arbeiten und Bemühen daransetzen, glücklich zu werden. Aber
er möchte als treuer Vater nur nicht, daß wir Zeit und Kraft
an ein sinnloses Ziel vergeuden. Darum verzäunt er uns
manchen Weg, darum zerbricht er uns manches Werkzeug, darum
schafft er uns manche Enttäuschung, bis wir an unseren
kindischen Plänen irre werden und anfangen, darauf zu
horchen, was er für Glückswege für uns hat. Sobald wir nur
so in seines Willens Richtung einbiegen, hört der harte Wind
der Enttäuschung auf und die grobe See wird sanfte Dünung;
die Wetterwolken teilen sich und das Licht seines Antlitzes
leuchtet wie die Sonne! Was für ein stilles, seliges
Behagen, was für ein Geborgensein kommt über uns, wenn wir im
Gewissen die Antwort spüren; jetzt bist du in der Richtung
des Willens Gottes. Wie ein Kind nach allem Unglück, das ihm
sein Trotzen gebracht, um Verzeihung bat und nun die Wohltat
des neuen Friedens am Mutterherzen spürt, so haben wir es
erlebt, als wir Gott gehorsam wurden: Friede, wie ein
Wasserstrom, Gerechtigkeit, wie Meereswellen!
Herr, erhebe über uns das Licht deines Antlitzes, daß wir in
solchem Lichte wählen lernen, was du willst, wandeln lernen,
wie du willst. Lenke unsern Willen. Nimm uns ganz dahin.
Amen.