Hi 14,1
C.H.Spurgeon
,,Der Mensch lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe."
Hiob 14, 1.
Es ist uns vielleicht sehr gut, wenn wir dieser ernsten
Tatsache ein wenig nachdenken, ehe wir uns heute schlafen
legen; denn sie kann uns veranlassen, uns vom Irdischen je mehr
und mehr los zu machen. Es liegt nicht sehr viel Erfreuliches in
der Erinnerung, daß wir nicht über die Wechselfälle des Lebens
erhaben sind; aber sie mag uns demütigen und uns bewahren vor
einem Rühmen, wie es uns in unsrer heutigen Morgen-Betrachtung
in den Worten Davids entgegentritt: ,,Ich sprach, da mir es wohl
ging: Ich werde nimmermehr daniederliegen." Sie kann uns
abhalten, daß wir uns nicht zu tief in diesen Boden einwurzeln,
aus welchem wir nach kurzer Zeit sollen in den himmlischen
Garten verpflanzt werden. Wenn wir daran gedächten, daß auf alle
Bäume der Erde die Axt des Holzfällers wartet, so wären wir
nicht so eilig, unsre Nester auf denselben zu bauen. Wir sollen
lieb haben, aber nur mit einer Liebe, die den Tod voraus sieht
und auf Trennung gefaßt ist. Unsre lieben Angehörigen sind nur
geliehene Güter, und die Stunde, wo wir sie in des Herrn Hand
zurückgeben müssen, ist vielleicht vor der Tür. Das Gleiche
gilt noch mehr von unsren irdischen Gütern. Haben nicht die
Reichtümer dieser Welt Flügel und enteilen unversehens? Auch
unsre Gesundheit ist gebrechlich. Vergängliche Blumen des
Gefildes sind beide; wir dürfen nicht darauf zählen, daß sie uns
immer blühen. Es ist uns eine Zeit gesetzt zur Krankheit und
Schwachheit, wo wir durch Geduld im Leiden unsren Gott
verherrlichen dürfen, und nicht durch fruchtbare Tätigkeit. Es
gibt kein Stück, wo wir hoffen dürften, den verwundenden Pfeilen
der Trübsal zu entgehen; unsrer Tage keiner ist vor Kummer
geschützt. Des Menschen Leben ist ein Kelch voll bitteren Weins;
wer Freude sucht, möchte leichter in der Salzflut des Meeres
Honig finden. Liebe Seele, richte dein Herz nicht auf das
Irdische, sondern such, was droben ist; denn das hienieden ist,
fressen die Motten, und die Diebe graben danach und stehlen;
dort aber sind alle Freuden ewig und unverwelklich. Der Pfad der
Trübsal ist der Weg zur Heimat. Herr, laß diesen Gedanken
manchem müden Haupte zum sanften Ruhekissen werden!