2Sam 21,10
C.H.Spurgeon
,,Da nahm Rizpa, die Tochter Ajas, einen Sack und breitete ihn
auf den Fels von Anfang der Ernte bis das Wasser vom Himmel über
sie troff, und ließ des Tages die Vögel des Himmels nicht auf
ihnen ruhen, noch des Nachts die Tiere des Feldes."
2 Sam. 21, 10.
Wenn die Liebe eines Weibes zu ihren erschlagenen Söhnen sie
dazu vermochte, ihre Klagetrauer eine so lange Zeit hindurch zu
halten, sollen wir müde werden mit dem Betrachten der Liebe
unsers hochgelobten Heilandes? Rizpa vertrieb die Raubvögel, und
sollen nicht auch wir von unsern Andachtsübungen all jene
weltlichen und sündhaften Gedanken fern halten, welche sowohl
unser Gemüt verunreinigen, als die heiligen Gegenstände
entweihen, mit denen sich unser Nachdenken beschäftigt? Weg, ihr
unheiliges Gezüchte! Lasset das Opfer unberührt! Rizpa ertrug
die Sommerhitze, den Nachttau und den Regen; sie blieb obdachlos
und einsam. Der Schlaf floh von ihren tränenschweren Augen; ihr
Herz war zu voll, um dem Schlummer Einkehr zu gestatten. Siehe,
wie sehr sie ihre Kinder liebte! Sollte Rizpa soviel über sich
ergehen lassen, und wir sollten bei der ersten geringen
Schwierigkeit zurückweichen? Sind wir denn solche Feiglinge, daß
wir nicht vermögen mit unserm Herrn zu leiden? Rizpa
verscheuchte auch die wilden Tiere mit einem für ihr Geschlecht
ungewöhnlichen Mut, und wir sollten uns nicht bereit finden
lassen, um Jesu willen allen Feinden zu widerstehen? Diese ihre
Kinder wurden von fremden Händen erschlagen, und doch weinte und
wachte sie: was sollen denn wir tun, die wir mit unsern Sünden
den Herrn gekreuzigt haben? Unsre Schuld ist unermeßlich, so
sollte denn unsre Liebe inbrünstig und unsre Reue tief sein. Bei
Jesu zu wachen, sollte unser Beruf, seine Ehre zu wahren, unser
Geschäft, bei seinem Kreuze zu bleiben, unser Trost sein. Jene
Leichname hätten wohl Rizpa Furcht einflößen können, aber unser
Herr, an dessen Kreuz wir liegen, hat nichts Furchtbares für
uns, sondern Er zieht uns mächtig hin. Wo ist je eine lebendige
Schönheit so hinreißend schön wie der sterbende Heiland? Herr
Jesu, wir wollen noch ein wenig bei Dir wachen, und enthülle Du
Dich uns gnädiglich; dann sitzen wir nicht im Sack und in der
Asche, sondern in einem königlichen Palast.