Richter

Ri 16,19 J.Kroeker Vom Versagen unseres Glaubens.

"Und sie ließ ihn auf ihrem Schoß einschlafen und rief einen Mann, der schor ihm die sieben Locken seines Hauptes ... Da sprach sie zu ihm: Philister über dir, Simson! Als er nun von seinem Schlaf erwachte, gedachte er: Ich komme davon wie immer und brauche mich nur zu schütteln." Richt. 16,19 f.

Israel erlitt, nachdem Simson als Gottgeweihter am Busen der Philisterdirne seine Locken und seine innere Kraft verloren hatte, Niederlage um Niederlage. Das Volk göttlicher Berufung und Offenbarung, das Gott sich zu einem Gewissen in der Welt und zu einem Propheten für die Nationen erziehen wollte, versagte. Es gibt kein traurigeres Bild als den Anblick einer versagenden Gottesgemeinde, aus deren Wort und Handlung das erschütternde Bekenntnis spricht: "Und seine Kraft wich von ihm! Er wusste aber nicht, dass der Herr von ihm gewichen war."

Alle späteren Versuche Simsons, auch ohne den Herrn jene Stricke zu zerreißen, durch welche die Philister ihn gefesselt hatten, waren vergeblich. Er blieb bis an seinen Tod ein Gefangener der Feinde seines Volkes. Geweihte Gottes, wie Simson es war, leben in ihrem Dienst und in ihrem Kampf nicht von Kräften, die sie auch ohne Gott in sich tragen. Das Geheimnis ihrer Stärke liegt in dem dauernden Handeln Gottes durch sie. Muss der Herr sich mit seinem Handeln erst aus ihrem Leben zurückziehen, dann bemühen sie sich vergeblich, die Fesseln der Welt von sich zu werfen. Alles Schütteln, und mag Simson es nachher genau so tun, wie er es vordem getan hat, machte ihn nicht wieder frei für den Dienst an seinem Volk.

Weit mehr als einst ein Simson ist die gegenwärtige Kirche Jesu Christi in ihrem Kampf und Dienst abhängig von der Gegenwart und dem Wirken ihres Herrn. Wie oft aber glich auch ihr Leben im Verlauf ihrer Geschichte dem Leben eines Simson, der am Busen einer Philisterdirne seine Locken verlor. Sie glaubte, ohne Verlust ihrer heiligsten Güter, die Liebe der Welt teilen zu dürfen. Sie begab sich in schwerste Versuchungen, da sie annahm, in ihrer Glaubenskraft für immer Herrin aller Fesseln des Feindes sein zu können. Eines Tages schüttelte sie sich jedoch wie vordem, d.h. ebetete wie vordem, evangelisierte wie vordem, predigte wie vordem, pflegte Vereine wie vordem, blieb bekenntnistreu wie vordem, und doch überwand sie die Fesseln der Welt nicht mehr. Der Herr war aus ihrem Leben und Dienst gewichen.

Hinfort teilte ihr Leben die Schmach Simsons. Er blieb ein Gefesselter der Philister. Er verlor seine Augen. Seine Kraft wurde in der Tretmühle der Feinde verbraucht. Ein Leben, das Gott geweiht war, sah sich gezwungen, sich im Dienst der Welt zu verzehren. Es blieb hinfort fruchtlos für den Ausbau der Königsherrschaft Gottes auf Erden und ging mit in einem Gericht unter, das Simson zuletzt noch über einen Teil der Philister heraufbeschwor.