2Mo 20,16
D.Rappard
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen
Nächsten.
2. Mos. 20,16.
Wenngleich in diesem Gebot zunächst an falsche Zeugenaussage
gedacht ist, so bezieht es sich doch auf das ganze
Gebiet des Redens über den Nächsten. Welch ein großes,
unheimliches Gebiet das ist, weiß ein jedes von uns wohl.
Man hat gesagt, das Afterreden sei das große Übel der Frommen.
Daß es da mehr vorkommt als anderswo, glaube ich zwar nicht.
Eins aber weiß ich: es sollte aus den Kreisen der Jünger Jesu
g a n z v e r b a n n t s e i n.
R e d e v o n n i e m a n d B ö s e s! sollte nicht nur
als Mahnung an der Wand hängen, sondern unser fester Entschluß,
unsere göttliche Lebensregel sein. - Wenn du etwas von
deinem Nächsten erzählen willst, sagt Einer, so frage
dich: 1. Ist es ganz wahr? 2. Kommt es aus der Liebe?
3. Nützt es etwas, es zu sagen? In den allermeisten
Fällen wirst du, wenn du ehrlich bist, hernach schweigen.
Das Reden wider den Nächsten hat schon unendlich viel
Schaden gebracht, sowohl dem Betreffenden selbst, als auch
dem Redenden und denen, die es hörten. Der abgeschossene
Pfeil kann nicht aufgehalten, der ausgestreute Same nicht
wieder zusammengelesen, das verleumderische Wort nicht
unausgesprochen gemacht werden. Darum schweige deine Zunge,
daß sie nichts Böses rede.
O Herr, bewahre Du selbst das Tor meiner
Lippen, daß ich nicht sündige wider Dich. Hilf
mir, alles Afterreden völlig abzulegen in Deiner
Kraft!
C.O.Rosenius
Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten!
2. Mos. 20, 16.
Dies ist das Gebot, das fast kein Mensch beachtet, und um
dessentwillen man stets in Verlegenheit darüber ist, so reden
zu können, daß seine Wichtigkeit begreiflich werde. Das
fünfte, sechste und siebente Gebot haben den Vorteil, daß
Verbrechen gegen sie von der weltlichen Obrigkeit und beinahe
von allen Menschen bestraft und abgelehnt werden. Was aber
bedeutet es schon, nur das kleine Glied, die Zunge, zu
bewegen, und sei es auch nur zur Herabsetzung des Nächsten?
Wer die Schlösser anderer aufbricht und Geld herausnimmt und
dafür mit Gefängnis bestraft wird, oder wer Menschenblut
vergießt und danach u. U. auf einem Richtplatz hingerichtet
wird, den kann man für einen großen Verbrecher halten. Wer
aber nur in einer vertraulichen Unterredung seine Zunge
bewegt, ob er dadurch auch seinem Nächsten das stiehlt, was
ihm viel kostbarer als Geld, ja, oft kostbarer als das Leben
war - seinen guten Namen, seinen guten Ruf - der wird nicht
für einen großen Verbrecher gehalten der wird nicht ins
Gefängnis geworfen oder sonstwie bestraft. ,,O, es waren
doch nur einige Worte, nur ein leichter Wind, der über die
Zunge strich." So heißt es dann. In der Heiligen Schrift
aber heißt es anders. Wenn ein Dieb und ein Verleumder
miteinander verglichen werden, dann heißt es so: ,,Sei nicht
ein Ohrenbläser und verleumde nicht mit der Zunge. Ein Dieb
ist ein schändlich Ding, aber ein Verleumder ist viel
schändlicher." Und abermals: ,,Ein Dieb ist nicht so böse wie
ein Mensch, der zu lügen sich gewöhnt; aber zuletzt kommen
sie beide an den Galgen."
Zur Betrachtung dieses Gebotes wollen wir nun sehen, was der
Herr wollte, als Er befahl: ,,Du sollst kein falsch Zeugnis
reden wider deinen Nächsten!" Wir sehen hier die göttliche
Besorgnis für die Menschen. Als Er im ersten Gebot der
zweiten Tafel einen allgemeinen Grund der heilsamen Ordnung
unter den Menschen auf Erden gelegt hatte, waren es besonders
vier kostbare Schätze, die der gütige Vater dem Menschen
sichern wollte: Zuerst das leibliche Leben, dann die
Heiligung der Ehe, ferner unser irdisches Eigentum und jetzt
schließlich unseren guten Namen und unseren guten Ruf, der
uns gewöhnlich kostbarer als irdisches Gut, ja, kostbarer als
das Leben selbst ist. Aber ebenso teuer wie dir dein guter
Name ist, für den du nicht die geringste Kränkung duldest,
ebenso teuer wird auch einem anderen seine Ehre und sein
Ansehen sein. Darum ist dies Gebot ebenso ernstlich zu dir
wie zu einem anderen geredet, so daß hier wie in den anderen
Geboten ein jeder ins Auge gefaßt und niemand von der
bindenden Kraft des Gebotes ausgenommen ist. Wer du auch
bist, du mußt es auf dich beziehen: ,,Du sollst kein falsch
Zeugnis reden wider deinen Nächsten!" Denn unser Herr will so
ernstlich, daß der Ruf, die Ehre und die Rechtschaffenheit
unseres Nächsten ebensowenig wie sein Gut und Geld verscherzt
und verkleinert werden sollen, auf daß jedermann dem Gemahl,
den Kindern, Hausleuten und Nachbarn gegenüber seine Ehre
behalte. Das muß ein jeder bedenken.
Dieses Gebot enthält zunächst, daß du es nicht nur vor dem
Richterstuhl, sondern auch in deinem Umgang mit Menschen aufs
ernstlichste genau nimmst mit deinen Worten und Andeutungen
über den Nächsten, und daß du nie unnötig zu unvorteilhaften
Gedanken über ihn Anlaß gibst. Ferner sollst du allem
falschen und lügenhaften Wesen aus dem Wege gehen und dich in
deinem Umgang aufs strengste der reinen Wahrheit befleißigen.
Gegen dieses Gebot wird also zunächst vor dem Richterstuhl
gesündigt, wenn jemand seinen Nächsten fälschlich anklagt,
oder wenn der Angeklagte mit lügenhaften Ausflüchten die
Wahrheit zu verheimlichen sucht, oder wenn ein Zeuge etwas
Falsches, etwas zuviel oder etwas zuwenig in der Sache sagt,
oder wenn ein Anwalt mit Wissen und Willen eine falsche
Behauptung verficht oder wenn der Richter wissentlich ein
falsches Urteil fällt.
Aber auch außerhalb des Richterstuhles, im täglichen Leben,
findet dies statt, wenn man aus Unbedachtsamkeit oder aus
Bosheit seinem Nächsten falschen Leumund macht, entweder
dadurch, daß man falsche Berichte über ihn erdichtet oder
auch nachschwätzt und verbreitet, oder wenn man mit bloßem
Stillschweigen oder bedenklicher Miene und einem Achselzucken
etwas Böses über ihn andeutet, was man entweder nicht mit
Gewißheit weiß oder auch gemäß dem Gebot der Liebe anzudeuten
nicht verpflichtet war. Solches kann zuweilen überaus fein
und unbemerkt schon dadurch geschehen, daß man seinen Worten
oder Handlungen eine gewisse Wendung gibt, wodurch die
Auffassung falsch wird, - ja, so fein und unbemerkt kann es
geschehen, daß nur der allsehende Gott es merken kann. Das
heißt ,,seinen Nächsten fälschlich belügen und über ihn
afterreden".
Bedenken wir daneben, wie der Herr Christus uns das Gesetz
erklärt hat, nämlich, daß wir unseren Nächsten so lieben
sollen wie uns selbst und gegen andere nur das tun, was wir
wollen, daß sie gegen uns tun sollen, so erkennen wir die
Wahrheit der Erklärung Luthers über dieses Gebot. Wir sollen
Gott so lieben und fürchten, daß wir nicht nur unseren
Nächsten nicht fälschlich belügen und ihm bösen Leumund
zufügen, sondern ihn auch nicht verraten und über ihn
afterreden. Wir sollen im Gegenteil ,,ihn entschuldigen,
Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren".
Laß Wahrheit, Herr, in meinen Worten sein,
Leg' Wahrheit in mein Wesen stets hinein,
Daß Deines Geistes Kraft man bei mir merk,
Bewahr mich vor der Sünde heimlich Werk.