2Mo 20,15
D.Rappard
Du sollst nicht stehlen.
2. Mos. 20,15.
Es soll niemand angesichts unseres heutigen Textes denken:
,,Das geht mich nicht an; ein Dieb könnte ich niemals werden."
O stolzes Herz, du bist zu allem Bösen fähig. Überaus
trügerisch und bösartig bist du (Jer. 17, 9). Jener angesehene
Mann, der um der Verschwendungssucht seiner jungen Frau
willen in Schulden geriet und einer anvertrauten Kasse ,,nur
leihweise" eine Summe entnahm, hätte es nie gedacht, daß er
einmal als Dieb ins Gefängnis käme. Auch Schuldenmachen
kann ein feiner Diebstahl sein.
Geiz - Geldliebe - ist eine Wurzel alles Übels. Über
diese Wurzel gilt es wachsam sein. Eine kleine Untreue
in anvertrautem Geld, ein kleines Vertuschen der Wahrheit
Eltern und Vorgesetzten gegenüber, ein geheimes Übervorteilen
des Nächsten befleckt das Gewissen und stört die Gemeinschaft
mit Gott. Ich kann meinen Freunden nicht genug raten: Nehmt
es auf Heller und Pfennig genau mit dem Gewissen. Hütet
euch vor Schuldenmachen. Viel erfreulicher ist es, auf einen
erwünschten Gegenstand hin im voraus zu sparen, um ihn dann
zur rechten Stunde fröhlich anzuschaffen.
Vor allem vergeßt es nicht, daß ihr selbst Ihm gehört, der
euch erkauft hat. Sein Eigentum ihm vorenthalten ist Sünde.
Gebt ihm, was sein ist: euch selbst!
Lehre mich, Herr, treu sein in meinem ganzen
Hause, ganz ehrlich und wahr in allen Dingen.
C.O.Rosenius
Du sollst nicht stehlen! 2. Mos. 20, 15.
Laßt uns sehen, was unter Stehlen und Dieberei verstanden
werden soll. Allgemein wird darunter jede Weise verstanden,
in der wir unserem Nächsten sein Eigentum entwenden, mag es
heimlich oder offenbar, mit Gewalt oder mit List, unter der
groben Gestalt des Verbrechens oder unter dem Schein von
Gesetz und Recht geschehen. Stehlen ist etwas so Grobes und
Häßliches, daß die meisten Menschen von dieser Sünde frei
zu sein glauben. Mag es einem auch gelingen, sonst ehrbare
Weltmenschen von der Verletzung der übrigen Gebote zu
überzeugen, so sind sie doch ganz anderer Meinung, wenn man
zu dem siebenten Gebot kommt; ihm gegenüber meint man gerecht
zu sein. Man hat doch nicht gestohlen, seine Hand nicht nach
dem Eigentum anderer ausgestreckt und hält es darum auch für
eine entsetzlich harte Rede, rechtschaffene Menschen einfach
zu Dieben machen zu wollen!
Ja, wahrlich, hieße nur das stehlen, daß man die Schlösser
anderer aufbricht und in so grober Weise Geld und Eigentum
entwendet, dann wären gewiß die meisten Menschen gerecht vor
diesem Gebot. Wie ganz anders aber sieht es aus, wenn wir es
im Lichte der Erklärung Christi betrachten! Welch eine
zerknirschende Entdeckung, wenn du durch eine solche
Erklärung gewahr wirst, daß auch du ein Dieb bist! Wird es
einem gegeben, zu sehen und vor den Augen Gottes zu bedenken,
daß jede Weise, sich zum Schaden des Nächsten einen Gewinn
zu verschaffen, Diebstahl ist, mag es nun z. B. bei einem
Handel, den man für günstig ansieht, durch das geschehen, was
man bezeichnend ,,Spottpreis" nennt, oder dadurch, daß der
Verkäufer viel zu viel für seine Ware fordert und erhält,
oder aber durch eine fahrlässige Arbeit des Tagelöhners usw.
-, so wird man die Wahrheit der Worte Luthers finden, daß
,,kein Nahrungszweig auf Erden so allgemein ist, wie der
Diebstahl", daß dieser ,,ein so weitläufig allgemeines
Laster, aber so wenig geachtet und wahrgenommen ist, daß, wo
man sie alle an Galgen hängen sollte, was Diebe sind und doch
nicht heißen wollen, soll die Welt bald wüste werden und an
Henkern und Galgen gebrechen".
Wir reden jetzt nicht vom Herzen oder davon, wie Gottes Augen
auf dich als auf einen Dieb gerichtet sind, während du das
Eigentum deines Nächsten noch nicht um einen Heller
verkleinert hast, auch wenn du Lust dazu hast und nur aus
Furcht und Vorsicht davon abgehalten wirst. Wir reden noch
vom Diebstahl im Werk und in der Tat. Und dann wiederholen
wir es noch einmal und bitten einen jeden, ernstlich zu
bedenken, was darin liegt, daß jede Weise, das Eigentum des
Nächsten zu verkleinern, tatsächlich Diebstahl ist. Man
stiehlt nicht nur, wenn man Kisten und Taschen plündert,
sondern auch, wenn man auf dem Markte oder in den Kaufläden
für eine
Ware zuviel verlangt oder zuwenig gibt, oder wenn man in der
Werkstatt schlechte oder betrügerische Arbeit verrichtet und
volle Bezahlung nimmt, oder wenn ein Knecht oder eine Magd
im Hause nicht treu arbeitet oder etwas verderben läßt, mit
einem Wort, nicht um das Beste der Hausherrschaft besorgt
ist, oder wenn man in teurer Zeit auf Grund der Verlegenheit
und Not des Bedürftigen unbillig hohe Zinsen auf ausgeliehene
Gelder nimmt usw. In solcher Weise kannst du deinem Nächsten
bald zehn, zwanzig, fünfzig oder hundert Mark entwenden und
bist dennoch frei, während mancher wegen viel Geringerem im
Gefängnis gewesen ist, nur weil er sich einer anderen Weise
des Diebstahls bediente.
In jedem Gebot ist aber nicht nur etwas verboten, sondern
auch etwas befohlen. Das ist auch bei dem siebenten der
Fall. Es enthält nicht nur, daß wir nicht stehlen sollen,
sondern daß wir, wie es im Kleinen Katechismus Luthers
ausgedrückt wird, auch ,,unserem Nächsten sein Gut und seine
Nahrung bessern und behüten helfen". Wenn wir bedenken, daß
der Herr mit demselben Ernst, mit dem Er das Böse verbietet,
auch das Gute von uns fordert, dann wird dieser Teil der
Betrachtung noch tiefer auf uns eindringen und auch die zu
Sündern machen, die es im vorigen noch nicht geworden sind.
Dazu aber ist es erforderlich, daß wir nicht auf das Ansehen
der Werke schauen, sondern daß Gott selbst für uns von
Bedeutung ist. Die Welt und die Vernunft sagen: ,,Wenn ich
einem anderen nichts nehme, dann darf ich frei und nach
Belieben mit dem handeln, was mir gehört." Im Reiche Christi
aber gilt ein anderes Gesetz: ,,Du sollst deinem Nächsten
nicht nur nichts Böses zufügen, sondern im Gegenteil ihm mit
den Gaben und den Mitteln, die Gott dir dazu verliehen hat,
alles Gute tun. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich
selbst." Wer nichts Böses tut, begeht doch große Sünde, wenn
er nicht das Gute tut, was er tun kann und soll. Denn Gott
hat uns unser irdisches Gut nicht gegeben, damit wir nur uns
selbst damit dienen, sondern auch unseren Nächsten Gutes
damit tun, als die Verwalter unseres Herrn, die kein Recht
dazu haben, mit Seinen geschenkten Gaben zu tun, was sie
gelüstet, sondern was Seine heiligen Liebesabsichten fordern.
Das ist der Grund einer ganzen Kette von Pflichten, von denen
die Welt nichts weiß. Laßt uns darum auf der Goldwaage des
Liebesgebotes noch besser unser Verhalten dem siebenten Gebot
gegenüber wägen. Wir werden dann mit Erstaunen finden, wie
fast alle unsere Werke, unser Essen und Trinken, unsere
Arbeit und Ruhe, unsere Sparsamkeit und Freigebigkeit, alles,
alles mit der Sünde gegen dieses Gebot befleckt und
durchsäuert ist.
Herr, öffne mir die Tiefe meiner Sünden,
Laß mich auch seh'n die Tiefe Deiner Gnad';
Laß keine Ruh mich suchen oder finden,
Als nur bei Dir, der solche für mich hat,
Der meine Seel so gern erquickt,
Wenn meine Sündenschuld mich drückt.