Offb 5,1
C.O.Rosenius
Und ich sah in der rechten Hand dessen, der auf dem Thron
saß, ein Buch, beschrieben inwendig und auswendig, versiegelt
mit sieben Siegeln. Offb. 5, 1.
Überaus gewaltig und herrlich ist der in diesen Worten
enthaltene Trost. Wenn unsere Augen nur geöffnet würden,
ihn zu erblicken und in einem wachen Glauben für Wahrheit
zu halten, würden wir wohl alle unsere Besorgnisse von uns
werfen und sagen: ,,Nun will ich nichts mehr! Jetzt mag Gott
in allen Dingen das mit mir tun, was Er will. Ja, jetzt
mögen alle bösen Geister und bösen Menschen mit mir tun, was
sie vermögen; ich fürchte mich vor nichts." Laßt uns darum
das angeführte Bibelwort etwas näher betrachten! Johannes
sieht ein Buch in der rechten Hand dessen, der auf dem Thron
sitzt. Und was enthält dieses Buch? Es enthält, wie die
erste Stimme aus dem geöffneten Himmel sagte, ,,was nach
diesem geschehen soll" (Kap. 4, 1). Was mit der ganzen Welt
und vor allem auch mit dem Volke Gottes auf Erden geschehen
soll.
Ein solches Buch in der rechten Hand dessen, der auf dem
Thron sitzt, bedeutet: Gott weiß aufs genaueste alles, was
uns widerfahren wird, wie ja das, was in ein Buch geschrieben
ist, stets vor Augen liegt. Da das Buch in Seiner rechten
Hand, der wirkenden Hand, ruht, so ist damit bezeichnet, daß
der große, allmächtige Gott alles leitet und regiert. Dazu
trägt Er um das, was uns widerfahren soll, eine so genaue
Fürsorge, daß Er es in einem Buch aufgeschrieben hat; denn
wir wissen, das Buchführung über das, was getan wird, die
genaueste Fürsorge andeutet.
Aber nun: Ist nicht gerade das, was hernach geschehen soll,
der Gegenstand aller unserer Besorgnisse? Unsere Herzen sind
gewöhnlich voller Unruhe und voller Gedanken über das, was
uns widerfahren wird. Auch derjenige, der so glücklich ist,
nicht von der Traurigkeit der Welt, die den Tod wirkt,
verzehrt zu werden, sondern ein gläubiger Christ geworden
ist, hat dennoch eine neue Welt von Besorgnissen in bezug auf
mancherlei wichtigere Dinge: Hier unsere eigene Seele, unsere
Sünden, Versuchungen, Kämpfe, die Gefahren vor Fall und
Abweichungen, dort die Seelen unserer Angehörigen und anderer
Menschen und wie es ihnen ergehen wird; hier die Zukunft der
Kirche oder was der Gemeinschaft widerfahren wird, dort eine
Menge von Kleinigkeiten, die uns doch oft aufs bitterste
beunruhigen. Denn abgesehen davon, daß die Christen die
Liebesfürsorge haben, daß alles wohl gehen möge, und einen
erleuchteteren Blick auf solches, was andere für ein Nichts
ansehen, so sind sie auch stets die Zielscheiben aller
feurigen Pfeile des Teufels, dieses ruhelosen Feindes, der
mit Versuchungen, Anfechtungen und allen möglichen falschen
Eingebungen unseren Frieden zu stören sucht, so daß Gottes
Kinder oft weder Tag noch Nacht Ruhe haben. Worauf sollen
sie sich dann verlassen? O, daß es mir gegeben würde, zu
sehen, was hierin liegt, daß alles, was uns widerfahren kann,
in ein Buch geschrieben ist, das in der rechten Hand dessen
ruht, der auf dem Thron sitzt, wie auch schon David sah und
zum Troste seines Herzens sang: ,,Alle Tage waren in Dein
Buch geschrieben, als derselben keiner da war." Wir haben
noch einen treuen Vater im Himmel, der sich mit so zärtlicher
Fürsorge um alles kümmert, was uns betrifft, daß Er es in ein
Buch geschrieben hat, das Er in Seiner rechten Hand hält.
Wenn wir eine solche Zärtlichkeit und Fürsorge Gottes um uns
sehen und glauben könnten - glaubst du dann nicht, daß unsere
armen Herzen eine selige Ruhe und einen hohen Frieden und
Trost in allen kommenden Tagen haben würden?
Aber hier kommt nun der Heide in unserer Brust - unser
ungläubiges, finsteres Herz und unsere Vernunft - und
sagt: ,,Ja, die großen Weltbegebenheiten oder das, was der
ganzen Kirche widerfahren soll, das hat Gott in sein Buch
geschrieben, nicht aber, was so kleine, einzelne Wesen wie
mich angeht." Gewiß scheint es zuviel zu sein, gewiß ist es
unserem Verstand ganz und gar unbegreiflich, wenn wir sagen
sollten, daß Er auch alles, was dir und mir widerfahren wird,
in Sein Buch geschrieben hat. Aber, was soll man tun, wenn
derselbe große Herr, der auf dem Thron sitzt, sagt, daß Er
nicht nur für jeden einzelnen Menschen und dessen geringsten
Angelegenheiten, sondern sogar für jeden Vogel auf Erden
sorgt? (Matth. 10, 29-31.) Was sollen wir aus diesem Herrn
machen? Einerseits sagt unsere Vernunft: ,,Das ist ganz
unmöglich, unmöglich!" und andererseits steht die ganze
sichtbare Schöpfung voll unzähliger Zeugen gegen uns auf und
ruft mit tausend Stimmen: ,,Siehe, was Gott erschaffen hat!
Siehe, welche großen Werke, und siehe, welche Kleinigkeiten!"
Und da Er nun einmal alle diese Kleinigkeiten gemacht hat,
ist es Ihm wohl ebenso leicht, sie zu sehen und zu behüten.
Ach, daß wir aus der jämmerlichen Finsternis unseres
Unglaubens aufwachen könnten! Wir leben mitten in dem
unendlichen Reichtum an Zeugnissen von der Macht und der
Herrlichkeit Gottes und sehen doch nichts! Es ist der Herr
selbst, der da sagt: ,,Kauft man nicht zwei Sperlinge um
einen Pfennig? Doch fällt derselben keiner auf die Erde ohne
euren Vater. Auch sind die Haare auf eurem Haupte alle
gezählt."
Sollt' Er was sagen und nicht halten?
Sollt' Er was reden und nicht tun?
Kann auch der Wahrheit Kraft veralten?
Kann auch Sein wallend Herze ruhn?
Ach nein! Sein Wort steht felsenfest;
wohl dem, der sich auf Ihn verläßt!