Offb 3,1
C.O.Rosenius
Ich weiß deine Werke; denn du hast den Namen, daß du lebst,
und bist tot. Offb. 3, 1.
Dieses ist ein furchtbarer Zustand! Der Herr redet hier von
der feineren, verborgeneren Art der Heuchelei, in der ein
Mensch bei aller Beweisung des Christentums unsträflich
lebt. Dabei ist er vielleicht sogar ein unter den Brüdern
ausgezeichneter Christ, der sowohl von der Bekehrung als auch
vom Glauben, von der Gnade und von der Heiligung zu reden
weiß und außerdem in Übereinstimmung mit seinem Bekenntnis
und den christlichen Sitten gemäß lebt, so daß er von den
Menschen, die nur das sehen, was vor Augen ist, mit gutem
Grund für rechtschaffen gehalten wird.
Bei allem aber findet sich in seinem verborgenen,
verschwiegenen Innern ein wichtiger Mangel, nämlich die
Erfahrung des geistlichen Lebens. Er kennt z. B. nicht den
Geist der Furcht des Herrn, der die lebendigen Christen
auszeichnet und der sich im Mißtrauen gegen sich selbst,
in der Furcht davor, sich zu betrügen oder auch in der
Unzufriedenheit und Betrübnis über das inwendige Böse äußert,
welches alles des Gesetzes Werk in jedem wahren Christen ist.
Infolgedessen erfährt er auch nicht die Erquickung und die
Ruhe, die Jesus den Mühseligen und Beladenen gibt. Er
schmeckt nie die doppelte Labung des über begangene Fehler
betrübten Kindes bei der Annahme der Vergebung. Er hat
nie die kindliche Freude am Evangelium, die zu seiner
Verwunderung aus den Augen der einfältigen, aber
rechtgläubigen Kinder hervorleuchtet und die das Leben
verrät. - Er liest in der Heiligen Schrift alle diese
Lebenszeichen, diese Früchte des Geistes als Beweise des
wahren Lebens, und obwohl sie ihm fehlen, fährt er fort, das
Beste von sich zu glauben, läßt sich auch nicht durch die
bestimmten Zeichen der Schrift warnen, sondern glaubt sich
selbst mehr als diesen und verbleibt ungerührt. Das muß wohl
heißen, die Gnade auf Mutwillen zu ziehen.
Die Beschreibung des wahren Gnadenlebens, die der Geist
Gottes uns in der Schrift gegeben hat, nicht aus eigener
Erfahrung zu kennen und trotzdem noch ruhig zu bleiben, indem
man meint, die große, reiche Gnade müsse auch diesen Mangel
zudecken, das freilich ist eine feinere, verborgenere Weise,
die Gnade auf Mutwillen zu ziehen, und doch ist sie ebenso
grob wie jene, unter dem Deckmantel der Gnade in groben
Werken des Fleisches dahinzuleben. Davon ist hier nicht die
Rede, daß die Gnade nicht so groß sei, dies alles vergeben
zu können; die Sache ist aber diese: ,,Dein Herz ist nicht
rechtschaffen vor Gott", du lebst in einem heimlichen
geistlichen Tod. Und eben diese feinere Art des Mißbrauchs
der Gnade erwähnt Jesus so nachdrücklich und ernst, wenn Er
sagt: ,,Ich weiß deine Werke; denn du hast den Namen, daß du
lebst, und bist tot." Beachte wohl! ,,Du hast den Namen, daß
du lebst", du führst ein solches Bekenntnis und einen solchen
Wandel, daß du als ein lebendiger Christ angesehen wirst; du
gehörst nicht der Welt, die den Namen, daß sie lebt, nicht
hat, sondern der Schar der lebendigen Christen an, aber - du
bist tot. Denselben heimlichen Tod erwähnt Jesus in Matth.
25, 1-12 im Gleichnis von den zehn Jungfrauen, von denen fünf
klug und fünf töricht waren. Alle zehn waren sich in allen
äußeren Dingen ganz gleich. Sie waren alle Jungfrauen, d.
h. getrennt von der Welt und der Befleckung mit Lastern.
Sie hatten alle ihre Lampen, gingen alle dem Bräutigam
entgegen, niemand ahnte einen Mangel. Aber inwendig in der
Lampe, da war der Mangel, ein so bedeutender Mangel, daß
ihrer fünf auf ewig von der Hochzeit ausgeschlossen wurden.
Sie hatten kein Öl, es fing kein Feuer, es brannte nicht,
es war tot. Hätten die unglücklichen Jungfrauen solches
vermutet, dann würden sie wahrlich das Innere ihrer Lampen
im voraus geprüft haben.
In diesen heimlichen Mißbrauch der Gnade auf Mutwillen zu
geraten, ist ein rechtschaffener Christ in Gefahr, wenn
er ,,den Geist der Furcht des Herrn" verliert, so daß er
aufhört, das innere Leben und die innere Kraft seines
Glaubens zu untersuchen. Er ist verblendet und zufrieden mit
der Erkenntnis und dem Schein, und zufrieden damit, daß es
einen Zugang zur Gnade im Herzen Gottes gibt, gleichgültig
dafür, ob er das Leben der Gnade in seinem eigenen Herzen
hat. Ja, er fängt an, mit sich selbst zufrieden zu sein,
verliert das Gefühl der Sünde und des inwendigen Streites,
und es fällt ihm immer leicht zu glauben. Dahin kann er
leicht kommen, wenn er der Gefahr der entgegengesetzten Seite
gewahr geworden ist - der nämlich, dieses innere Leben, diese
Gnade im eigenen Herzen zum Grunde seines Glaubens und seines
Trostes zu machen -, und zwar durch den feineren Irrtum der
Eigengerechtigkeit, daß man nicht zum Verdienste Christi
fliehen dürfe, bevor man nicht das Werk und Leben der Gnade
im eigenen Herzen habe. Hat er diesen Irrtum zu verstehen
gelernt, dann kann er leicht zum Entgegengesetzten übergehen,
so daß er die Ermahnung des Apostels: ,,Prüfet euch selbst,
ob ihr im Glauben seid", in fleischlicher Sicherheit
verachtet. Der heimliche Tod aber und die heimliche Kälte,
die den ewigen Tod zur Folge haben, bestehen darin, daß du
deine Kälte und Gottlosigkeit nicht so stark fühlst, daß du
dadurch getrieben wirst, wirklich zu Christus zu fliehen.
Du nahst Ihm nur mit dem Mund und ehrst Ihn mit den Lippen
und mit einem starken, toten Glauben, der keinen Hunger und
Durst des Herzens nach Ihm und keine Freude in Ihm hat. Aus
alledem können wir erkennen, daß ,,der Weg schmal" und ,,das
gottselige Geheimnis groß" ist.
Forschet nach, wie steht's im Herzen,
Sucht, durchsucht den faulen Grund.
Macht euch gleich die Prüfung Schmerzen,
Wird doch so die Wahrheit kund.
Ist denn Zweifel gleich vom Teufel?
Nein, der Herr steht vor der Türen,
Macht nur auf, Ihn einzuführen.