Offb 1,9
A.Christlieb
Eine merkwürdige Verbannung
Offenbarung 1, 9 f.
»Ich, Johannes ..., war auf der Insel, die da heißt
Patmos, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses Jesu
Christi. Ich war im Geist an des Herrn Tag.«
Hier wird von einer merkwürdigen Verbannung berichtet. Was
ist daran merkwürdig?
1. Wer ist der Verbannte?
Wer wurde auf jene einsame, öde Insel verbannt? Ein
Verbrecher? Ein politischer Verschwörer oder Aufrührer?
Nein, der Lieblingsjünger Jesu, der reich gesegnete Apostel
Johannes. In seinem Alter traf ihn noch dieses harte Los.
Von vielen lieben Gefährten und Brüdern mußte er sich
trennen. Auf seine Heimat mußte er verzichten. Als einer,
der nicht wert erschien, in der menschlichen Gesellschaft zu
leben, wurde er ausgestoßen.
In jungen Jahren gewöhnt man sich verhältnismäßig leicht an
einen neuen Wohnort und an neue Verhältnisse. Aber noch im
Alter in fremde Gegenden auswandern müssen, ist schwer. Die
Ruhe des Alters wurde Johannes versagt. Statt Ehre und
Anerkennung bei der Welt zu genießen, traf ihn die Verbannung
durch den römischen Kaiser. Wundern wir uns, daß gerade
solch ein Mann so schwer betroffen wurde?
Das Wort »Ich, Johannes, war auf der Insel Patmos« gibt uns
zu denken. Es sagt uns: Auch die besten und treuesten Jünger
Jesu können schwer heimgesucht werden. Niemand von uns hat
einen Anspruch auf ein bequemes, dem Fleisch angenehmes
Leben. Seine nächsten Freunde läßt Jesus durch Wüsten und
Dornen gehen. Fort mit der törichten Meinung, als ob die
Liebe Gottes weichlich sei und den treuen Bekennern alles
Unangenehme erspare! Wenn ein Johannes nicht von Trübsalen
verschont wurde, wer will dann meinen, sein Weg müsse ohne
Ungemach sein?
2. Warum wird er verbannt?
Was war denn die Ursache jener furchtbaren Strafe der
Verbannung? Hatte Johannes eine unvorsichtige Äußerung gegen
die römische Obrigkeit getan? Hatte er einem Mitmenschen
irgendwelche Kränkung zugefügt? Nichts davon war der Fall.
Vielmehr war er nach Patmos verbannt worden »um des Wortes
Gottes willen und des Zeugnisses Jesu Christi«. Es hat je
und je Christen gegeben, die sich durch einen Fehltritt eine
berechtigte Strafe von seiten der Obrigkeit zugezogen haben.
Aber das Vergehen des Johannes bestand darin, daß er die
schönste und beste Tätigkeit ausgeübt hatte, die es auf Erden
gibt. Er hatte Gottes Wort verkündigt und den Heiland
bezeugt.
Hätte er die Welt in Ruhe gelassen mit diesem Zeugnis von
Jesus, so hätte er sich manches Leid ersparen können. Aber
das durfte er nicht, weil Jesu Wort die Jünger zu Zeugen
bestimmt hatte und sein Geist sie dazu antrieb. Gern fügte
sich Johannes allen Anordnungen der römischen Obrigkeit.
Aber wenn es galt, den Worten seines Heilandes gehorsam zu
sein, so wich er auch vor dem römischen Kaiser nicht zurück.
Das heilige Wächteramt, das der Herr ihm gegeben hatte,
wollte er treu ausrichten. Von seiner Heimat konnte er sich
trennen, aber von dem Willen seines Meisters niemals. Lieber
ging er in die Verbannung, als daß er ein »stummer Hund«
wurde.
Wie beschämt dieser um seines treuen Zeugnisses willen
verbannte Johannes uns ängstliche, furchtsame Christen! Laßt
uns aus seinem Anblick neu Mut und Freudigkeit schöpfen,
unsern Heiland allezeit zu bekennen!
3. Welcher Segen kommt aus der Verbannung?
Darauf wollen wir abschließend achten. Johannes wird in
Patmos im Geist an den Tag des Herrn versetzt. Er hört den,
der das A und das O, der Erste und der Letzte ist (V. 11).
Ihm wird die Geschichte des Reiches Gottes bis in weite Ferne
hinaus enthüllt. Nicht in der Heimat in Jerusalem, sondern
im öden Verbannungsort sollte Johannes die wunderbaren Blicke
tun, die Gott ihm bestimmt hatte. Der Strafort verwandelt
sich für ihn in den herrlichsten Platz der Welt. Die öde
Insel wird zum Bethel, wo Engel auf- und niedersteigen. Als
er das irdische Jerusalem nicht mehr sehen darf, zeigt ihm
Gott das neue Jerusalem im Himmel. Da wo er spärlich oder
fast nie eine Nachricht von der Christengemeinde erhält,
gibt Gott ihm Nachricht von der Kirche Christi bis in die
letzte Zeit hinein. Da wo er von allem Einfluß auf andere
ausgeschaltet ist, übt er den aller größten Einfluß aus durch
das Buch, das Gott ihn schreiben heißt.
Wahrlich, die Feinde haben sich verrechnet, als sie Johannes
nach Patmos schickten. Sie konnten ihn wohl verbannen. Aber
statt ihn zu schädigen, mußten sie ihm zu neuen Erquickungen
und Segnungen verhelfen. Johannes stand eben in einer
höheren Hand. Jener vom Haß eingegebene Befehl des römischen
Kaisers wurde ihm zur Segensführung seines Gottes.
Das ist bis heute die Art unseres Herrn: Er nimmt den Seinen
die Angst vor dem Haß der Christusfeinde, indem er sie stärkt
und ihre Wege zum besten wendet. Er macht aus einem öden
Patmos in unserm Leben eine Stätte, wo wir seine Herrlichkeit
sehen.