2. Petrusbrief

2Petr 1,6 C.Eichhorn Nicht einseitige, sondern allseitige Heiligung (II) Reichet dar neben der Erkenntnis Enthaltsamkeit, in Verbindung mit der Enthaltsamkeit die Ausdauer, neben der Ausdauer Frömmigkeit, in Verbindung mit ihr brüderliche Liebe, und mit der brüderlichen Liebe allgemeine Liebe! 2. Petr. 1, 6.7

Wer die Erkenntnis vernachlässigt, der verflacht. Das tiefere Eindringen in Gottes Wesen und seinen Reichsplan führt zur Anbetung und macht frei von engherzigem, kleinlichem Wesen (vgl. Joh. 8, 32). Wir bekommen einen weiten Horizont und werden auf eine höhere Warte gestellt. - Zur Erkenntnis muß sich aber auch die Enthaltsamkeit oder ein heiliges Maßhalten gesellen. Die Freiheit, zu der uns die Erkenntnis verhilft, kann ausarten in Zuchtlosigkeit. Die Nikolaiten, vor denen Jesus so ernstlich warnte, rühmten sich, daß sie die Tiefen Satans erkannt hätten (Offb. 2, 24). Sie setzten sich darum über diesen finsteren Geist leicht hinweg und glaubten, so hoch über die Sünde, insbesondere über die Fleischeslust erhaben zu sein, daß sie nichts mehr beflecken könne. Gefährlicher Erkenntnishochmut! Ernste Zucht an der eigenen Person muß sich mit dem freien Standpunkt verbinden, zu dem die Erkenntnis verhilft. Wenn ich auch weiß, daß mir alles erlaubt ist, so lasse ich doch, was mich irgendwie gefangennimmt; auch verzichte ich auf so manches, was ich für meine Person tun oder genießen könnte, um andern nicht Anstoß zu geben (Röm. 14, 9; 1. Kor. 10, 29). Wie hart und streng war Paulus gegen sich selbst (1. Kor. 9, 27)! Selbstverleugnung gibt sich nach zwei Seiten kund: man versagt sich des öfteren Angenehmes und ist willig, Unangenehmes auf sich zu nehmen. - Mit ernster Selbstzucht soll sich Ausdauer verbinden. Nehmt nicht bloß einen Anlauf in der Entsagung, beharrt auch darin und führt das Verleugnungsleben durch! Doch setzt auch nicht einseitig alles an die Selbstverleugnung in gesetzlicher Strenge und Härte! Sonst bildet sich eine Herbheit und Schroffheit, die für andere abschreckend ist. - Darum verbindet mit der Ausdauer auch Frömmigkeit, herzliche Gottesfurcht und Gottesliebe! Die Strenge, die bei sich und andern nichts durchgehen läßt, flößt Bewunderung ein, zieht aber niemanden an. Die Gottinnigkeit macht das Herz weich und warm. Menschen, die viel mit Gott umgehen, bekommen etwas Mildes und Leutseliges (Tit. 3, 4). Jedoch darf die Gottseligkeit nicht in frommes Genießen und müßige Beschaulichkeit ausarten. - Darum soll ihr die Bruderliebe zur Seite gehen. Verbindet mit der Hingabe an Gott die Hingabe an die Brüder! Beschränkt jedoch die Liebe nicht bloß auf den engen Kreis der Gläubigen, sondern laßt sie mit allgemeiner Liebe zu allem, was Mensch heißt, gepaart sein! Denn Gott will, daß allen Menschen geholfen werde. Tut Gutes jedermann, wenn auch die Genossen des Glaubens an erster Stelle stehen (Gal. 6, 10)! - Ein Christ, in dem das Leben aus Gott zu allseitiger Ausgestaltung kommt, vereinigt also ganz verschiedene Seiten in sich. Er beweist Tüchtigkeit im praktischen Leben und versäumt dabei nicht die Vertiefung in der Erkenntnis. Er ist heldenhaft und zugleich kindlich; er liebt die Brüder und hat ein Herz für alle Menschen.