Hebr 9,24
C.O.Rosenius
Christus ist eingegangen in den Himmel selbst, nun vor dem
Angesicht Gottes für uns zu erscheinen. Hebr. 9, 24.
Christus war vom Vater gegeben und verordnet, um als der
andere Adam an unserer Statt vor dem Gesetz zu stehen. Von
der Krippe bis zum Grabe war und handelte Er an unserer
Statt. Das lehrt die Schrift ausdrücklicher als irgend etwas
sonst. ,,Den, der von keiner Sünde wußte, hat Gott für uns
zur Sünde gemacht." Er übernahm unsere Pflichten und Schulden
- ,,unter das Gesetz getan, auf daß Er die, so unter dem
Gesetz waren, erlöste." Was Er tat, das taten wir; was Er
litt, das haben wir erlitten - ,,sintemal wir halten, daß, so
einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben."
Nachdem Er nun alle Gerechtigkeit für uns erfüllte und wir
sie in Ihm erfüllten, kehrte Er unter dem Freudengesang des
Himmels wieder dahin zurück, woher Er gekommen war. Und was
tut Er nun für uns im Himmel? Der Apostel sagt: ,,Auf daß Er
erscheine, sich zeige, sich darstelle vor dem Angesicht
Gottes für uns." Er stellt sich dem Vater dar, nicht nur mit
Seinen verklärten Narben als Zeichen Seines überschwenglichen
Gehorsams, sondern in dem ganzen schönen Schmuck der
vollkommenen Erfüllung des Gesetzes für uns. Als solcher ist
Er das ganze Wohlgefallen, die Freude und Wonne des Vaters.
,,Aber das ist Er ja von Ewigkeit her gewesen", dürftest du
sagen. Beachte! Er ist es nicht nur als das ewige Wort, das
im Anfang bei Gott war, sondern jetzt ist Er dieses alles als
der Menschensohn, als der andere Adam, als das Haupt und der
Bürge Seines menschlichen Geschlechts. Nicht allein, daß Er
sich dem Vater darstellt, Er vergegenwärtigt oder vertritt
in Seiner Person zugleich alle Seine Glieder vor dem Vater.
Beachte, wie der Apostel redet: ,,Er erscheint vor dem
Angesicht Gottes für uns" - ,,für uns" - beachte, ,,für uns!"
So wie der ewige Vater einst das ganze Menschengeschlecht in
dem einen Adam sah, so sieht Er jetzt alle Glieder Christi
allein in Christus. In Christi Gestalt sieht Er unsere
Gestalt, in Christi Reinheit, Schönheit und Liebenswürdigkeit
sieht Er die unsrige. Jesus sagt ausdrücklich:
,,Ich heilige Mich selbst für sie, auf daß auch sie geheiligt
seien in der Wahrheit." Und Paulus sagt: ,,Er hat uns
angenehm gemacht in dem Geliebten." Aber wenn der Vater uns
in Christus sieht, dann folgt daraus, daß Er uns in Christus
auch liebt, ,,mit der Liebe, mit der Er Ihn liebt", und die
deshalb in der Schrift Seine ,,Liebe in Christus Jesus"
genannt wird.
Dieser himmlische Ratschluß, dieses herrliche Verhältnis kann
mit keinem irdischen Bild verglichen werden. Laßt uns
deshalb als ein schwaches Beispiel uns vorstellen, es habe
der König Pharao - dem Joseph alles in allem seine rechte
Hand und des Volkes Retter war - im Blick auf die anderen
Söhne Jakobs das gleiche Bild wie das des Joseph vor Augen
gehabt. So hielt er sie dann alle in demselben Maße für
liebenswürdig, liebte sie darum mit derselben Innigkeit und
bestimmte für sie dieselben Ehren, Wohltaten und Vorzüge, die
dem Joseph erwiesen wurden. In dieser Weise hätte Pharao
dann den Ruben, den Simeon, den Benjamin usw. in Joseph
geschaut, sie in Joseph umarmt, und Joseph hätte seine Brüder
vor dem König vertreten und in seiner eigenen Person die
ihrige vor das Auge des Pharao gebracht. Nun, in solcher
Weise vertritt Christus uns vor dem Vater, mit dem großen
Unterschied allerdings, daß der himmlische Vater sich unsere
Gleichheit mit Christus nicht einbildet, sondern wir besitzen
dieselbe auch wirklich, nämlich nach dem göttlichen
Zurechnungsgesetz und durch die wirkliche Vertretung Christi
an unserer Statt, Seine wirkliche Erfüllung aller
Gerechtigkeit für unsere Rechnung. Möchte sich aber niemand
eine so irrige Vorstellung davon machen, als ob Gott nicht
wüßte, daß wir unreine Sünder sind. Das weiß Er wohl. Darum
führt Er uns durch alle jene Läuterungsflammen, in denen wir
häufig so ganz verschmachten wollen. Er betrachtet, Er
richtet uns aber nicht mehr nach dem, was wir in uns selbst
sind, sondern nach dem, was wir in Seinem geliebten Sohne
sind. Deshalb liebt Er uns auch über alles, ja, weit mehr
als unser Verstand es fassen kann, auch mitten in den
mancherlei Schwachheiten und Gebrechen, die uns plagen.
Während wir seufzen und meinen, daß wir ganz
verabscheuungswürdig vor Ihm seien, hat Er Seine Augenweide
an uns, weil Christus für uns vor dem Angesicht Gottes
erscheint.
Nun kommt es nur darauf an, daß wir uns hieran genügen lassen
und in nichts anderem erfunden werden wollen als in Christus.
Willst du dich nicht trösten lassen, bevor du selbst heilig
bist, dann willst du in deiner eigenen Heiligkeit erfunden
werden. Willst du an Gottes Freundschaft zweifeln, weil du
deinen Glauben nicht so findest, wie er sein soll, dann
willst du in deinem Glauben erfunden werden. Glaubst du,
Gott könne dich nicht lieben, solange du dich so trocken und
kalt in deinem Herzen fühlst, dann willst du dich in deinen
warmen Empfindungen erfinden lassen. Meinst du, Gott werde
dich mehr lieben, wenn diese oder jene Tugend in vollendeter
Schönheit an dir zu sehen sei, dann sind es deine Tugenden,
in denen du erfunden werden willst. Du willst selbst dein
Hoherpriester sein, du willst in deinem eigenen Namen selig
werden. Hüte dich vor dem Aufruhr des Unglaubens gegen den
Gesalbten des Herrn! ,,Es ist in keinem andern Heil, ist
auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben,
darin ,,wir sollen selig werden, denn allein in dem Namen
Jesus Christus."
Ich weiß sonst nichts zu sagen,
Als daß ein Bürge kam,
Der meine Schuld getragen,
Die Rechnung auf sich nahm
Und sie so völlig hingezählt,
Daß von der ganzen Menge
Auch nicht ein Stäublein fehlt.