Titusbrief

Tit 1,12 A.Christlieb Die Kreter sind immer Lügner, böse Tiere und faule Bäuche. Titus 1, 12

Dieser Ausspruch des Paulus läßt uns einen Blick tun in die Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe des Apostels Paulus. - Es war Weise von Paulus, diese messerscharfen, aber wahren Worte der Kritik über die Kreter nicht als sein eigenes Urteil auszusprechen, sondern als das eines berühmten Propheten der Kreter. Paulus hätte sich nicht wegen Mangel an eigener Autorität bei diesem Urteil mit dem Ausdruck eines anerkannten kretischen Dichters decken müssen. Aber es war weise von ihm, das zu tun. Hätte Paulus von sich aus die Kreter als Lügner, böse Tiere und faule Bäuche bezeichnet, so würde dies Urteil gewiß heftigen Widerspruch hervorgerufen haben. Jeder Kreter, der das gehört, hätte sich tiefgekränkt gefühlt und dem Paulus für immer den Rücken gewandt. Man läßt doch sein eigenes Volk nicht schlecht machen! Da Paulus aber Worte eines in Kreta als Prophet anerkannten Mannes zitiert, kann niemand dieses Urteil als Verunglimpfung der Kreter durch einen jüdischen ,,Ausländer'' hinstellen. Daß Paulus sein Urteil über die Kreter so einkleidete, wie zu lesen, war eine Befolgung des Heilandswortes: ,,Seid klug wie die Schlangen" (Matth. 10, 16). - Diese Klugheit besaß Nathan, als er das Urteil über David nicht selber aussprach, sondern in gottgeschenkter Weisheit den König veranlaßte, seine Tat selbst zu verdammen. - Auch wir dürfen von dieser Schlangenklugheit lernen. Wie oft ist es nötig, in persönlicher Seelsorge oder in öffentlicher Rede auf Sünden und Schwächen hinzuweisen, die gestraft werden müssen. Wie hilfreich ist es dann, die notwendige Kritik nicht als eigene Meinung auszusprechen, sondern sie mit den Worten etwa eines Luther oder Bismarck oder eines sonstwie anerkannten Mannes zu bringen, unter den die Angeredeten sich ohne weiteres beugen. - Wenn schon Paulus so vorsichtig war, wieviel mehr bedürfen wir dann dieser Weisheit!





A.Christlieb Die Kreter sind immer Lügner, böse Tiere und faule Bäuche. Titus 1, 12

Neben der Weisheit des Paulus tritt uns hier die Gerechtigkeit des Apostels entgegen. Auf den ersten Blick scheint uns dieses Urteil fast zu scharf und ungerecht zu sein. Aber unmittelbar vorher (Vers 10 f.) greift er ebenso hart das jüdische Volk an, zu dem er selbst gehört. Er schreibt: ,,Es sind viele unnütze und freche Schwätzer und Verführer, besonders die aus den Juden, welchen man den Mund stopfen muß, die lehren, was nichts taugt." Hier sehen wir, daß Paulus beim Aufdecken von Sünden unerbittliche Gerechtigkeit walten läßt. Die Liebe zu seinem Volk durfte sein Urteil über die Sünde nie trüben. Er verurteilte dieselbe aufs schärfste, mochte sie sich bei Gliedern des eigenen oder eines fremden Volksstammes finden. - Solche Gerechtigkeit ist besonders wichtig in einer Zeit, wo der Geist des Hasses unter den Völkern das Urteil vieler Menschen trübt. Ein wahrer Christ muß jede Sünde gleich scharf beurteilen, ob sie sich bei dem eigenen oder einem fremden Volk zeigt. - Laßt uns auch die Liebe des Apostels betrachten. Aus ihr leuchtet ein Strahl der göttlichen Liebe. Wenn wir andere Menschen durchschauen und sie als unaufrichtige Lügner, böse Raubtiere und faule Bäuche erkennen, dann ziehen wir uns von solchen Menschen am liebsten völlig zurück und geben sie auf. Wir meinen, es lohne sich nicht, an solchen Menschen zu arbeiten. Ganz anders Paulus! Er sagt nicht: ,,Überall kann man für Jesus arbeiten, nur nicht auf Kreta." Er gibt vielmehr dem Titus als Anweisung für seine Arbeit das Ziel an: ,,...auf daß sie gesund seien im Glauben." - Hier haben wir gute Botschaft. Die Liebe hofft alles. Sie traut dem Herrn Jesus zu, daß er auch den schlechtesten und verlogensten Menschen retten und heilen könne. - Wir wollen mit Paulus glauben, hoffen, lieben, bis Gottes Sieg offenbar wird.