1. Timotheusbrief

1Tim 1,13 D.Rappard Mir ist Barmherzigkeit widerfahren. 1. Tim. 1,13.

In einem hochgelegenen Bergdorf stand ich einst beim Kirchlein unter den stillen Ruhestätten vergangener Geschlechter. Ein Grabstein fesselte meine Aufmerksamkeit. Auf einfacher, weißer Marmortafel sind dort in markiger Schrift die vier Worte eingegraben: ,,M i r i s t E r b a r m u n g w i d e r f a h r e n". Ein Sonnenstrahl streifte die vergoldeten Buchstaben, daß sie helle hinunter grüßten in das dunkelnde Tal. Der stille Schläfer, der sich diese Grabschrift gewählt, war nicht etwa ein Verbrecher, sondern im Gegenteil ein reichgesegneter Knecht Jesu Christi, wie denn auch der Mann, der die schönen Zeugenworte erstmals geprägt hat, kein anderer ist als der heilige Apostel Paulus.

Als ich dort im Hochgebirge die goldne Inschrift durch den dämmernden Abend leuchten sah, deuchte es mich, das wäre so recht der Stempel, der allen Gotteskindern auch im Leben aufgedrückt sein sollte. Es ist ein Wort der Demut. Denn wer es rühmt, Barmherzigkeit erlangt zu haben, gibt damit zu verstehen, daß er arm, sündig, gering ist. Es ist aber auch ein Wort seliger Zuversicht. Erbarmung i s t mir widerfahren. Gott h a t sie mir zugewandt. Sie ist mein. Ein demütig gebeugter und dabei in Gott getroster Sinn ist die Signatur eines wahren Christen.

Herr, gib mir diesen Sinn, zeige mir meine tiefe Armut, aber auch den Reichtum Deiner Barmherzigkeit!