Eph 4,32
W.Nee
Seid gegeneinander gütig, barmherzig, und vergebet einander,
wie auch Gott durch Christus euch vergeben hat. Epheser 4,32
Wenn du einem Bruder vergibst, teilst du dem Leib Christi
Leben mit, auch wenn du die Vergebung nicht aussprichst. Und
wenn du einen Bruder wirklich liebst, trägt deine Liebe zum
Aufbau des Leibes bei, auch wenn du dem Bruder nicht sagst,
wie sehr du ihn liebst. In England fand ich mich einmal
unvorhergesehenerweise auf dem Rednerpult bei einer
Konferenz, bei der auch ein Bruder aus Japan sprechen sollte.
Wir waren uns noch nie begegnet - und unsere Völker lagen im
Krieg miteinander. Ich weiß nicht, was dieser Bruder
empfand, wir konnten nur kurz miteinander reden. Ich weiß
nur, daß ich, während er dann sprach, die Gemeinschaft und
Liebe eines Bruders im Herrn spürte, eine Liebe, die über
alle nationalen Trennwände hinwegsprang und keiner Worte
bedurfte, um sich zum Ausdruck zu bringen.
S.Keller
Ephes. 4, 32: «Seid aber untereinander freundlich, herzlich
und vergebet einer dem andern, gleich wie Gott euch vergeben
hat in Christo.»
Solch eine schlichte Ermahnung bekommt einen scharfen
Akzent, sobald man an das Wörtchen ,,gleichwie" aufmerksamer
herantritt. Die Großartigkeit des Erbarmens, wie wir es in
Christo erfahren haben, können wir natürlich nicht nachmachen
wollen: das Verhältnis zu unsern Nächsten ist ja nie so wie
das von Gott zu uns. Und doch ist die eigentliche Triebfeder
unserer Liebe nicht nur zu Gott, sondern auch zu unseren
Brüdern, daß uns viel vergeben worden ist. Schmerzte uns
eine bestimmte Sündenerfahrung besonders tief, und die
Vergebung Gottes in Christo nahm so freundlich die ganze Last
von unserer Seele, dann müßte es doch wunderbar zugehen, wenn
wir nicht jetzt am aufgeschlossensten wären zum Lieben?
Jetzt wissen wir, wie das tut, geliebt zu werden; jetzt
strahlt noch das Licht in unsern Augen: eh es abnimmt, laß
einen andern etwas Freundlichkeit erfahren. Gott läßt uns in
Christo Vergebung anbieten; wie wenn in deinem Handel mit
deinem Bruder es nur auf diesen Schritt von deiner Seite
ankäme, daß du ihn spüren läßt, wie herzlich gern du ihm
diese verzeihende Liebe entgegenträgst?
Herr, lehre uns lieben, wie du uns geliebt hast. Hilf uns so
verzeihen, daß keine bittere Wurzel nachbleibt! Gib du uns
alle die Herzlichkeit und Freundlichkeit, auf die der Nächste
sehnsüchtig wartet, damit dein Reichtum an uns Armen offenbar
werde. Amen.
D.Rappard
Seid untereinander freundlich, herzlich, und vergebet
einer dem andern, gleichwie Gott euch vergeben hat
in Christo.
Eph. 4,32.
Der freundliche Herr will f r e u n d l i c h e Diener
haben, ja, wenn sein Sinn und Geist in ihnen wohnt, muß und
wird er aus ihnen hervorleuchten. Und h e r z l i c h sollen sie
sein untereinander, nicht kalt berechnend, nicht kritisch richtend,
sondern aufrichtig wohlwollend. ,,Man ist nur ganz gerecht gegen
einen Menschen, den man liebt", hat ein erfahrener Christ
gesagt.
Mit hoher Weisheit fügt unser Schriftwort gleich das
Mittel hinzu, durch welches wir zu solch freundlich herzlichem
Verkehr gelangen. Das Mittel ist göttlich einfach und heißt:
Vergeben.
Auch Gottes Kinder lassen es wissentlich oder unwissentlich
vielfach fehlen an Liebe und Zuvorkommenheit gegeneinander.
Das soll uns beugen und zu mehr Wachsamkeit anspornen. Aber
wenn w i r nun in irgendeiner Weise verletzt worden sind,
sollen wir es allemal vermerken, oder gar nachtragen, oder uns
darüber aussprechen wollen? Ich glaube nicht. Es gibt Fälle,
wo eine Verständigung oder Abbitte notwendig ist, aber unser
heutiges Wort scheint mir auf einen anderen Weg zu weisen,
nämlich auf den Weg des ganz s e l b s t v e r s t ä n d l i c h e n,
b e d i n g u n g s l o s e n, g e g e n s e i t i g e n Vergebens. -
Der Strom der vergebenden Heilandsliebe, die wir fortwährend
erfahren, soll ebenso ununterbrochen durch uns fließen auf unsere
Umgebung.
Ein herzlich Wesen und Kindlichkeit
Sei unsere Zierde zu jeder Zeit;
O Jesu, mach uns dazu bereit!
W.MacDonald
»Seid aber gegeneinander gütig, mitleidig, einander
vergebend, gleichwie auch Gott in Christus euch vergeben
hat.« Epheser 4,32
In Verbindung mit schriftgemäßer Vergebung gibt es eine genau
festgelegte Reihenfolge, die wir beachten müssen. Wenn wir
dieser Reihenfolge gehorchen würden, könnten wir uns dadurch
eine Menge Kopf- und Magenschmerzen ersparen.
Wenn uns Unrecht geschehen ist, so ist der erste Schritt, dem
Betreffenden innerlich von Herzen zu vergeben. Wir sagen ihm
noch nicht, daß wir ihm vergeben haben; aber indem wir ihm
von Herzen vergeben, belassen wir die Sache zwischen dem
Herrn und ihm. Dies bewahrt unsere Magensäfte davor, sich
in Schwefelsäure zu verwandeln und erspart uns eine Menge
anderer schlimmer physischer und emotioneller Störungen.
Als nächstes gehen wir zu dem Bruder und weisen ihn
unter vier Augen zurecht (Lukas 17,3). Anstatt anderen
weiterzusagen, daß uns Unrecht getan worden ist, macht
die Schrift deutlich: »Überführe ihn zwischen dir und
ihm allein« (Matthäus 18,15). Wir sollten versuchen, das
Problem möglichst zwischen uns, d.h. so privat wie möglich
abzumachen.
Wenn er nicht bekennt und um Vergebung bittet, dann gehen wir
mit einem oder zwei Zeugen zu ihm (Matthäus 18,16). Das ist
nach der Schrift eine ausreichende Grundlage, um ein
zuverlässiges Zeugnis hinsichtlich der Haltung des
Übertreters zu gewinnen.
Wenn er sich immer noch nicht beugt, dann bringen wir die
Sache in Begleitung der Zeugen vor die Versammlung. Wenn er
auch auf das Urteil der Versammlung nicht hören will, muß
er natürlich aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden
(Matthäus 18,17).
Aber wenn er irgendwann im Verlauf des Geschehens Buße tut,
dann haben wir ihm zu vergeben (Lukas 17,3). Wir haben ihm
bereits im Herzen vergeben, aber jetzt wenden wir ihm die
Vergebung praktisch zu. Hierbei ist es wichtig, über die
Sache nicht leichtfertig hinwegzugehen. Wir sollten nicht
sagen: »Ach, das geht schon in Ordnung. Du hast mir im
Grunde genommen nichts getan.« Wir sollten lieber sagen:
»Ich vergebe dir sehr gern. Damit ist die ganze Sache
abgeschlossen. Gehen wir auf die Knie und beten zusammen.«
Die Scham, bekennen und Buße tun zu müssen, hält ihn
vielleicht davon ab, uns wiederum Unrecht zu tun. Aber
selbst wenn er seine Sünde wiederholt und wiederum bereut,
müssen wir ihm auch wiederum vergeben. Sogar wenn er
siebenmal am Tag sündigt und siebenmal Buße tut, müssen
wir ihm vergeben - ob wir nun glauben, daß er es ehrlich
meint oder nicht (Lukas 17,4).
Wir dürfen niemals vergessen, daß uns eine Unsumme vergeben
wurde. Deshalb dürfen wir nicht zögern, anderen eine Schuld
quasi in Taschengeldhöhe zu vergeben, wie uns der Herr im
Gleichnis gebietet (Matthäus 18,23-25).
C.O.Rosenius
Vergebet einer dem andern, gleichwie Gott euch vergeben hat
in Christus! Eph. 4, 32.
Wir sehen hier die entscheidende Bedeutung der Worte Luthers:
,,Christi Reich ist ein Reich der Vergebung", wenn wir sie
auf das gegenseitige Vergeben zwischen den Menschen als einer
Bedingung alles christlichen Gemeinschaftslebens auf Erden
anwenden Wir wissen, daß die Summe des Gesetzes die Liebe
ist. Paulus sagt: ,,Wer da liebt, der hat das Gesetz
erfüllt. Denn was da gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen,
du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst
nicht falsch Zeugnis geben, dich soll nicht gelüsten, und so
ein ander Gebot mehr ist, das wird in diesem Worte verfaßt:
Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Die Liebe
tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des
Gesetzes Erfüllung."
Das ganze christliche Leben ist also in der Liebe enthalten.
Was ist aber die Bedingung einer ständigen Liebe zwischen den
Menschen? Eben dasselbe, was die Bedingung einer beständigen
Freundschaft zwischen Gott und den Menschen ist, nämlich die
beständige Vergebung. Man würde gern seine Mitmenschen
lieben, und man würde ein Himmelreich auf Erden haben voller
Freude und Liebe zwischen den Mitmenschen, Hausleuten und
Nachbarn, wenn sie nur nicht ihre verdrießlichen Fehler und
Unarten hätten. Durch diese ermüdet man aber in der Liebe
und kann sie nicht lieben - und sogleich fällt es schwer,
ihnen Gutes zu tun, während es dagegen immer leichtfällt,
denen Gutes zu tun, die man liebt.
Dieses mächtige Hindernis für die Liebe, nämlich alle Fehler
und Unarten des Nächsten, wäre mir sofort aus dem Wege
geräumt, wenn ich nur das vortreffliche Mittel ,,Vergebung"
anwendete. In anderer Weise kann das genannte Hindernis
nicht weggeräumt werden. Dieses ist eine der Ursachen,
weshalb Christus so ganz besonders und so oft von der
Vergebung sprach und ausdrücklich sagte, daß das Himmelreich
gleich sei einem Könige, der seinem Knecht die Schuld von
zehntausend Pfund erließ, dann aber wollte, daß dieser seinem
Mitknecht die Schuld von hundert Groschen auch erlassen
sollte. Und als Er uns ein Gebet lehrte, das wir täglich
beten sollten, da legte Er die gleiche Lehre hinein und gebot
uns zu sagen: ,,Vergib uns unsere Schuld, gleichwie wir auch
vergeben unseren Schuldigern." Jedermann merkt hieraus, daß
Christus einen ganz besonderen Eifer um die Vergebung gehabt
hat. Denn es ist nur die Vergebung, die in unserem
gefallenen Zustand der einzige Grund eines guten
Verhältnisses einmal zwischen Gott und dem Menschen, zum
andern zwischen den Menschen untereinander ist. Das ist die
Summe des Wortes, so daß Johannes, als er in einem kurzen
Spruch alles zusammenfassen wollte, sagte: ,,Das ist Sein
Gebot, daß wir glauben an den Namen Seines Sohnes Jesus
Christus und lieben uns untereinander, wie Er uns ein Gebot
gegeben hat." So hat man Frieden mit Gott und den Brüdern;
und das ist das Himmelreich auf Erden, das Paradies im
Jammertal!
Dagegen welch eine Hölle auf Erden, welche peinigenden,
nagenden Qualen, welche finsteren Herzen und Angesichter,
welcher Haß und Neid und welche Unruhe, wo man diese Stücke
nicht übt, weder glaubt noch liebt, vielmehr in eigenen
Sünden und in den Fehlern anderer wühlt und dazu noch im
Unglauben und in der Unversöhnlichkeit lebt! Solche Menschen
sind bedauernswerte Märtyrer des Teufels! Und doch könnte
allem durch Vergebung abgeholfen werden! Wenn du auch noch
so garstige Mitmenschen hast und sie dir noch so schweres
Unrecht zugefügt, dich belogen und beleidigt haben, so
überlege doch ernstlich, ob deine eigenen Sünden gegen Gott
nicht um ein Vielfaches schwerer und zahlreicher sind.
Christus sagt, daß alles, was ein Mitmensch gegen dich
versehen haben kann, im Vergleich zu deinen Schulden vor Gott
nur wie hundert Groschen gegen zehntausend Pfund ist. Und
nun will Gott dir alle deine Schuld vergeben und erlassen,
solltest du darum nicht auch deinem Nächsten alle seine
Fehler vergeben? Willst du das nicht, willst du die hundert
Groschen nicht erlassen und vergessen, so fordere sie ein,
zähle die Fehler deines Nächsten; aber - nimm dann auch deine
eigene Schuld vor dem Herrn, die zehntausend Pfund, wieder
auf dich, und du sollst sie bezahlen bis auf den letzten
Heller. So urteilt der Herr. Und wenn du nun um die
Vergebung der Sünden bitten willst, dann wirst du nicht
anders beten dürfen, als: Vergib Du mir, O Gott, in derselben
Weise, wie ich meinem Nächsten vergebe!
Sagst du nun: ,,Ich habe meinem Bruder so oft vergeben, er
aber hört nie damit auf, mir zuwiderzutun, man muß wohl
einmal des Vergebens müde werden," so antwortet der Herr:
,,Auch Ich habe dir so oft vergeben, aber du sündigst noch;
auch Ich muß dann ermüden, dir zu vergeben." Bemerkenswert
ist hier die Antwort, die Petrus auf die Frage erhielt:
,,Wie oft muß ich denn meinem Bruder vergeben? Ist es genug
siebenmal?" - ,,Ich sage dir, nicht siebenmal, sondern
siebzigmal siebenmal", d. h. unendlich. Beachte hier
zuerst zum Trost für dein eigenes Herz, daß Christus dir
gewiß auch so vergeben wird, nämlich nicht siebenmal, sondern
siebzigmal siebenmal, oder ohne Aufhören; denn Er will gewiß
selbst das tun, was er uns zu tun lehrt. Er will uns im
Vergeben gewiß nicht nachstehen. Sollte dies dich dann nicht
erwärmen, so daß auch du deinem Bruder ohne Aufhören
vergibst? Wisse: Hier ist kein anderer Rat, keine andere
Hilfe als ein unausgesetztes, unendliches Vergeben; denn das
ganze Reich Christi verbleibt ein Reich der Vergebung.
Schäflein, sucht einander so,
Eurem Hirten zum Vergnügen,
Lieb zu kriegen,
Wie Er's euch vor Seinem Tod
Noch gebot,
Zum Beweis, daß ihr Ihn kennet
Und in Seiner Liebe brennet
Und Gemeinschaft habt mit Gott.