Gal 6,2
C.Eichhorn
Die tragende Liebe (I)
Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi
erfüllen. Gal. 6, 2
Lasten tragen, nicht über sie klagen; andern das Leben
erleichtern und nicht noch erschweren: das ist unsere
Aufgabe. Die Liebe, die das Gesetz Jesu Christi ist, macht
tragwillig und tragfähig. Die Selbstsucht entzieht sich
möglichst der Last. Sie schüttelt sie ab und lädt sie
lieber andern auf. Mancher bricht unter seiner Last
zusammen, weil ihm niemand tragen hilft. Merkst du, daß
jemand beschwert ist, suche Annäherung! Erkundige dich mit
Teilnahme nach dem Kummer, nach der Sorge, die ihn drückt!
Es ist dem beschwerten Herzen eine Erleichterung, wenn es
sich einem mitfühlenden Menschen gegenüber aussprechen kann.
Nimm's mit auf dein Herz! Geteilter Schmerz ist leichter zu
tragen. Tritt im Gebet ein für den Bruder, die Schwester!
Fürbitte ist nur wirksam, wenn die fremde Last dich
selbst drückt. Vielleicht kannst du dem andern die Lage
erleichtern. Der fromme Wunsch "Gott helfe dir, er berate
dich!" hat keinen Wert, wenn du die Mittel hast, zu helfen.
Dann will Gott eben durch dich eingreifen. Fehlen dir die
Mittel, ist auch ein guter Rat eine Hilfe. Bist du gänzlich
ratlos, ist ein Trost aus dem göttlichen Wort ein wertvoller
Dienst. - Um Lasten aufzunehmen, muß man sich bücken.
Bleibt man steif und gerade stehen, kann man keine Lasten
aufladen. Hochmütige Menschen sind nicht geeignet zu
Lastträgern. Die Liebe bückt sich und verachtet kein
Geschäft, wo es zu dienen gilt, und mag es noch so
niedrig sein. Sie ist auch bereit, dem andern die Füße
zu waschen. Kranke pflegen, zumal wenn es ein ekelhaftes
oder ansteckendes Leiden ist, das heißt das Gesetz Christi
erfüllen. Er trug unsere Krankheiten. Seine Heilungen waren
nicht nur Wunderkunststücke. Er nahm allemal das Elend
innerlich auf sich. Darum seufzte er dort bei der Heilung
des Taubstummen. Er weinte am Grab des Lazarus. Das
menschliche Elend und der Tod legten sich ihm schmerzlich auf
die Seele. - "Wehe euch, die ihr hier lacht", die ihr euch
das Leben so leicht wie möglich macht! "Selig sind, die da
Leid tragen", die willig nicht nur eigenes, sondern auch
fremdes Leid auf sich nehmen und gern bekümmerte Seelen mit
dem Trost trösten, mit dem sie selbst von Gott getröstet
wurden! Gewiß werden solche dann gleichfalls in ihrem Leid
Brüder und Schwestern finden, die tragen helfen durch
Fürbitte, Zuspruch und tätige Hilfe.
Es gibt so viele Lasten. Die schwerste Last ist die
Sündenlast. Unser Wort steht im Zusammenhang mit Vers 1,
wo Paulus von Menschen redet, die von einem Fehler übereilt
worden sind. Wir sollen uns nicht selbstgefällig in den
Fehlern anderer spiegeln und an solchen, die in die Schlinge
Satans geraten sind, vorbeigehen (Luk. 10, 31 ff.). Vielmehr
sollen wir uns mit unter die Last des andern stellen. Da beugt
man sich mit, da schreit man um Gnade zur Buße, fleht um
Lösung der Ketten. Dazu braucht man ein offenes Auge, ein
erbarmendes Herz und eine helfende Hand wie der Samariter.
S.Keller
Gal. 6, 2: «Einer trage des andern Last, so werdet ihr das
Gesetz Christi erfüllen.»
Also doch Last? Ja, es wird von vornherein zugestanden,
daß ein Bruder dem andern durch seine Eigenart, auch durch
seine Unart, etwas zu tragen gibt. Das ist sogar zuweilen
ein bißchen viel. Es wird sogar sehr schwer, wenn man
durch Familienbande oder Berufspflichten oft und lange
zusammengehen muß. Insoweit können wir mit dieser
Anerkennung unserer oft schwierigen Aufgabe ganz
einverstanden sein. Aber jetzt heißt es nicht: Ihr Armen
habt es doch arg schwer! Ihr dürft mal ordentlich darüber
klagen und schwelgen in Mitleid mit euch selbst. Nein, es
heißt: Angefaßt! Tragen! - Nicht sich scheiden lassen,
nicht weglaufen, nicht jeden Umgang mit solchen Leuten
meiden, sondern diese Last auf die eigenen Schultern nehmen.
Dem andern wird wundersam zumute, wenn man ihn nicht fühlen
läßt: Ich kenne deine Charakterfehler, darum gehe ich dir aus
dem Wege! - sondern: Ich will dir helfen, sie tragen,
überwinden, ja einen Teil deiner Last zu meiner eigenen
machen, weil ich um Christi willen dich lieb habe und dich
lieb behalten muß. - Wo das nicht gesagt, aber getan wird,
da wird zweierlei erreicht: der andere wird dir solche Liebe
nie vergessen, und du wirst ihm dadurch am besten helfen, von
der Last loszukommen. Außerdem erfüllst du damit Jesu Gebot
der Liebe.
Ach, du holder Freund, vereine deine dir geweihte Schar,
daß sie es so herzlich meine, wie's dein letzter Wille war.
Amen.
W.MacDonald
»Einer trage des anderen Lasten, und so werdet ihr das Gesetz
des Christus erfüllen.« Galater 6,2
»... denn jeder wird seine eigene Bürde tragen.« Galater 6,5
Wenn man diese beiden Verse oberflächlich liest, wird man
leicht davon überzeugt sein, daß sie einen offensichtlichen
Widerspruch darstellen: Im ersten heißt es, wir sollen einer
dem anderen beim Lastentragen helfen, im zweiten aber, daß
wir jeder unsere eigene Last tragen müssen.
Das Wort, das in Vers 2 mit »Lasten« übersetzt ist, meint
alles, was einen Menschen geistlich, körperlich und
gefühlsmäßig niederdrückt. Im unmittelbaren Zusammenhang
bezieht es sich auf das schwere Gewicht von Schuld und
Hoffnungslosigkeit, die das Leben eines Mannes beschweren,
der bei einem Unrecht ertappt worden ist (s. Vers 1). Wir
helfen solch einem Bruder, wenn wir ihm liebevoll den Arm um
die Schulter legen und ihn zu einem Leben in der Gemeinschaft
mit Gott und mit Seinem Volk zurückgewinnen. Aber zu den
Lasten gehören auch Sorgen, Nöte, Versuchungen und
Enttäuschungen des Lebens, die wir alle gelegentlich zu
bestehen haben. Wir tragen einer des anderen Last, wenn
wir uns gegenseitig trösten, ermutigen, materielle Dinge
miteinander teilen und uns hilfreiche Ratschläge geben.
Das bedeutet, daß wir uns in die Probleme von anderen
hineinversetzen, selbst wenn das große persönliche Kosten
von uns verlangt. Wenn wir das tun, erfüllen wir das Gesetz
Christi, das eben die Liebe zu unserem Nächsten beinhaltet.
Wir zeigen unsere Liebe in ganz praktischer Weise, indem wir
etwas für andere ausgeben und uns auch für sie verausgaben.
Die »Bürde« in Vers 5 dagegen meint etwas anderes. Hier ist
die Last einfach etwas, was getragen werden muß, ohne einen
Hinweis darauf, ob sie leicht oder schwer ist. Paulus meint
hiermit, daß jeder seine eigene Last der Verantwortung tragen
muß, wenn er vor dem Richterstuhl Christi erscheint. Da wird
es keine Frage mehr sein, wie wir im Vergleich mit anderen
dastehen. Wir werden auf der Grundlage unserer eigenen Taten
beurteilt werden, so wie sie aufgezeichnet sind; und
entsprechend wird auch der Lohn verteilt.
Der Zusammenhang zwischen den zwei Versen scheint mir der
folgende zu sein: Wenn ein Mensch einen anderen aufrichtet,
der bei einem Unrecht ertappt worden ist, könnte er leicht
in eine andere Falle geraten, indem er sich nämlich sehr
überlegen vorkommt. Wenn er die Lasten seines gefallenen
Bruders mitträgt, könnte er denken, daß er selbst doch schon
auf einem höheren geistlichen Niveau steht. Er sieht sich
dann selbst als sehr gut an im Vergleich mit dem, der die
Sünde begangen hat. Paulus erinnert ihn aber daran, daß er,
wenn er einmal selbst vor dem Herrn stehen wird, Rechenschaft
ablegen muß für seine eigenen Taten und für seinen eigenen
Charakter und nicht für das Tun eines anderen. Dort muß er
seine Last der Verantwortung ganz allein tragen.
So widersprechen sich also diese beiden Verse nicht, sondern
gehören in einen ganz engen Zusammenhang.