Gal 3,24
C.O.Rosenius
Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister auf Christus gewesen.
Gal. 3, 24.
Hier sehen wir den eigentlichen Zweck der Sündenerkenntnis
sowie das Zeichen ihrer Rechtschaffenheit. Der Zweck ist
nämlich nicht der, daß Gott die Sünde sollte vergeben können,
denn dazu hat ein anderer Mann sie fühlen und bereuen müssen,
so daß Er dabei Blut schwitzte. Auch sollte die Sünde nicht
durch ihre bittere Erkenntnis ausgebrannt und überwunden
werden, denn dazu ist der Geist erforderlich, der durch
die Predigt vom Glauben kommt. Wohl ist es wahr, daß du aus
dem Sündengefühl lernen kannst, verschiedene äußere Sünden
abzulegen, sowie daß der Leichtsinn und das Toben der Sünde
sich legen und abnehmen; aber das eigentliche Verderben
steigt in demselben Grade innerlich. Der Zweck war dieser,
daß du zu Christus getrieben würdest, daß du nicht anderswo
als nur in der Freistadt Christus Ruhe finden solltest. Du
hast deine Sünden recht erkannt, wenn du nicht mehr hoffen
kannst, Gnade durch deine eigene Arbeit zu erlangen, sondern
die Versöhnungsgnade in Christus suchst.
Kannst du noch, wie früher, in der Welt und der Sünde
verbleiben, dann bist du noch nicht einmal erweckt,
nicht einmal in dich selbst und deine eigene Besserung
hineingetrieben, und dann kennst du gar nichts von der
Sünde. Bist du dagegen erweckt, hast aber bei dir selbst, in
deiner Besserung, deiner Reue, deinem Gebet und dergleichen
stehenbleiben können, und hast du darin deine Hoffnung,
deinen Trost und deine Ruhe, dann kennst du das Verderben
nicht recht, dann bist du noch außer Christus und ebenso
verloren wie ein sicherer Sünder.
Hier offenbart sich die falsche Sündenerkenntnis, die
Sündenerkenntnis Kains. Es gibt viele Menschen, die viele
Sünden fühlen und erkennen, ja, sich zuweilen ganz verdammt
fühlen, die sich bei allem aber doch helfen können. Sie
leben einen Tag nach dem anderen in demselben Zustand dahin,
und das wird gebilligt. Sie sind zwar nicht ganz zufrieden,
aber sie können es doch ertragen. Sie können essen und
trinken, arbeiten und schlafen, ja, lachen und scherzen,
obwohl sie wissen, daß sie die Gnade Gottes nicht besitzen,
vielleicht sogar frei bekennen, daß sie Kinder des Fluches
sind. Hören sie die freie, unverdiente Gnade angepriesen
oder ihnen angeboten, so streiten sie schnell dagegen und
entschlagen sich aus einer besonderen Demut ihrer Annahme,
wobei sie sprechen oder denken: ,,Nein, nein, ich bin nicht
so vermessen; meine Sünde ist schwerer, als daß ich mir die
Gnade so frei aneignen dürfte." Im stillen aber sind sie
zufrieden mit sich und meinen, es besser zu haben als diese
Gläubigen, die, wie sie meinen, nicht ihre Sündenerkenntnis
haben können.
Man sollte nicht glauben, und doch ist es der Fall, daß da
noch eine innere Selbstzufriedenheit, ein stolzer Geist
herrscht, der die Gewissensqual zu seinem Trost gemacht hat,
wodurch Christus und das Verdienst Seines Blutes und Seine
große, freie Gnade hintenangestellt werden. Wenn sich solche
mit ihren Sünden auch zu Tode plagten, so bleiben sie doch
fern von der Freistadt, von dem einzigen, was vor Gott gilt,
und werden in ihren Sünden sterben. Ihre Geschichte wird mit
treffenden Zügen in der Geschichte Kains geschildert. Auch
er sagte vor Gott: ,,Meine Sünde ist größer, als daß sie mir
vergeben werden möge." Er hatte wirklich ein geschlagenes und
erschrockenes Gewissen, einen unruhigen Geist, der schon vor
einem rauschenden Blatt erbebte. Er war fremd vor Gott und
unglücklich sein Leben lang. Dennoch besaß er die Kraft,
wegzugehen ins Land Nod, östlich von Eden, eine Stadt zu
bauen und Frau und Kinder zu haben. Er vermochte es zu
ertragen, daß Gott ihm zürnte, er brauchte nicht vor Gott
niederzufallen und sich Seiner Gnade zu vergewissern.
Sieh hier den Unterschied zwischen einem unruhigen Gewissen
und der Erweckung des Geistes, zwischen der Sündennot, die
die Sünde und das Gewissen verursacht haben, und jener
anderen, die der Geist Gottes durch das Wort bewirkt hat.
Man findet die erstere nach einigen Sündenausbrüchen auch bei
ganz Gottlosen; sie läßt diese aber unverändert, denn alles,
was vom Menschen, von einer menschlichen Kraft, z. B. von
seinem Gewissen, herrührt, kann ihm niemals zur Neugeburt
verhelfen; dazu ist der Geist erforderlich. Die Erweckung
und die Sündennot, die ein Werk des Geistes sind, treiben den
Menschen immer zur Buße und zum Glauben und bewirken eine
ganze Umwandlung.
Darum wird die Probe einer wahren Sündenerkenntnis stets die
schon genannte sein. Sie bewirkt nämlich eine Veränderung,
ein Aufstehen, ein Fliehen. Der Mensch kann nicht so
bleiben, wie er ist, sondern er sucht seine Errettung nicht
in sich selbst, sondern allein in Christus. Er kann erst
ruhen, wenn er in Ihm die Gewißheit der Gnade erhalten hat.
- Diese Gnade und diese Gewißheit bewirken den Frieden, die
Liebe und ein neues, williges Herz für Gott und das Gute.
Und dies war der Zweck der Sündennot, nicht, daß Gott dadurch
sollte Gnade geben wollen, sondern, daß wir sollten Gnade
annehmen wollen.
Herr, öffne mir die Tiefe meiner Sünden,
Laß mich auch seh'n die Tiefe Deiner Gnad';
Laß keine Ruh' mich suchen oder finden
Als nur bei Dir, der solche für mich hat,
Der meine Seel' so gern erquickt,
Wenn meine Sündenschuld mich drückt.