Galaterbrief

Gal 2,14 A.Christlieb Der Fehltritt des Petrus in Antiochien Galater 2, 11 - 14

»Da aber Petrus gen Antiochien kam, widerstand ich ihm unter Augen; denn es war Klage über ihn gekommen. Denn zuvor, ehe etliche von Jakobus kamen, aß er mit den Heiden. Da sie aber kamen, entzog er sich und sonderte sich ab, darum daß er die aus den Juden fürchtete. Und mit ihm heuchelten die andern Juden, also daß auch Barnabas verführt ward, mit ihnen zu heucheln. Aber da ich sah, daß sie nicht richtig wandelten nach der Wahrheit des Evangeliums, sprach ich zu Petrus vor allen öffentlich: So du, der du ein Jude bist, heidnisch lebst und nicht jüdisch, warum zwingst du denn die Heiden, jüdisch zu leben?«

Auch Männer voll Heiligen Geistes können in Fehler geraten. Menschen, die eine führende Stellung im Reich Gottes einnehmen, können straucheln. Sie mögen Tausende zum Herrn geführt haben, sie mögen Säulen in der Gemeinde Jesu sein und großes Ansehen haben. Alles das sichert sie nicht vor dem Hineingeraten in Irrtümer und Irrwege. Das beweist der in unserm Text erzählte Fehltritt des Petrus in Antiochien, den wir betrachten wollen.

1. Wie geriet Petrus auf den Irrweg?

Wie schön sind Rücksichtnahme und Nachgiebigkeit im Christenleben! Wir wollen sie immer besser üben. Wenn aber Nachgiebigkeit zur Schwachheit und Rücksichtnahme zur Verleugnung der Wahrheit wird, so ist das vom Übel. So war es hier bei Petrus.

Er hatte durch eine besondere Offenbarung Klarheit empfangen, daß Tischgemeinschaft mit Heiden Gott wohlgefällig und erlaubt sei (Apg. 10). Demgemäß hatte er gelebt, auch in Antiochien. Eines Tages kam eine Versuchung. Es erschienen einige Judenchristen bei ihm, die in der gesetzlichen Überzeugung lebten, daß die Tischgemeinschaft mit einem Heiden verunreinige und Sünde sei. Petrus sah, daß sein bisher mit Heidenchristen gepflegter Verkehr sie abstoßen würde. Was sollte er tun? Folgte er seiner Überzeugung, so verlor er - menschlich gesprochen - sein Ansehen bei diesen gesetzlichen Judenchristen. Richtete er sich nach ihren gesetzlichen Meinungen, so verleugnete er eine ihm von Gott gegebene Erkenntnis und war nicht wahr.

Petrus mied die Tischgemeinschaft mit den gläubigen Heidenchristen und fiel damit aus der Wahrheit heraus. Er verletzte auch die Liebe, indem er den Brüdern aus den Heiden wehe tat. Wie er einst aus Menschenfurcht den Heiland verleugnet hatte, so verleugnete er ihn hier in seinen Gliedern aufs neue, indem er sich so stellte, als ob er nicht zu ihnen gehörte.

Wie leicht fallen auch wir aus der Lauterkeit heraus, wenn wir die Ehre bei Menschen mehr suchen als die Ehre bei Gott! Wie gefährlich ist es, sein eigenes Ansehen mehr im Auge zu haben als den Willen Gottes! Wer mit kluger Berechnung einen besonders guten Eindruck bei diesem oder jenem zu erwecken sucht, ist aus der Einfalt gefallen. Laßt uns wachen und beten, daß wir nicht in die gleiche Versuchung geraten!

2. Welche schlimmen Folgen zog seine Heuchelei nach sich?

Die Heuchelei des Petrus zog schlimme Folgen nach sich. Er wollte bei seinem Irrweg einen guten Eindruck bei den strengen Judenchristen machen. Aber er hatte nicht bedacht, welch einen schlechten Eindruck sein Verhalten bei den übrigen Gemeinden erwecken würde. Das sollte sich bald zeigen.

Es begann ein Klagen über den Apostel. Paulus schreibt: »Es war Klage über ihn gekommen.« Das konnte nicht anders sein. Die heidenchristlichen Glieder der Gemeinde in Antiochien mußten sich zurückgesetzt fühlen. Ihnen war das Benehmen des Petrus unverständlich. Die Zahl der Menschen, welche die innere Unlauterkeit des Apostels durchschauten, wird nicht klein gewesen sein. Indem Petrus sein Ansehen befestigen wollte, untergrub er dasselbe und verlor Vertrauen bei vielen. Das wiederholt sich oft. Auch heute heißt es leider bei manchem: »Es war Klage über ihn gekommen.« Wir irren, wenn wir durch kluges, berechnendes Verhalten unsere Stellung zu stärken meinen. Gott ist es, der uns das Vertrauen anderer schenkt. Er tut es, wenn wir in Einfalt und Lauterkeit ihm folgen.

Diese Erschütterung seines Vertrauens war nicht die einzige Folge vom Fehltritt des Petrus. Noch schlimmer war die Wirkung seines Beispiels auf andere. Er zog viele mit in seine falsche Bahn hinein. Je höher die Stellung eines Christen in der Gemeinde ist, desto größer ist seine Verantwortung, weil viele auf sein Beispiel sehen. Wenn ein führender Bruder in eine unrichtige Linie hineingerät, so gehen viele hinter ihm auf demselben Irrweg. Das sollte all denen das Gewissen schärfen, die Gott zu Führern berufen hat. Sie haben zwiefach vorsichtig zu wandeln. Wenn Petrus heuchelt, dann heucheln auch die andern Juden, die in ihm ihren Führer sehen. Ja, sogar Barnabas, ein Mann voll Heiligen Geistes (Apg. 11, 24), läßt sich mit in diese falsche Bahn hinein reißen.

Welch eine Macht ist doch das Beispiel! Wieviel böse Zungen wird der Fehltritt des Petrus in Bewegung gesetzt haben! Wieviel leichtfertige Christen mögen zu ihrem eigenen Verderben den gefährlichen Schluß gezogen haben: »Wenn sogar ein Petrus fehlte, wird es bei mir auch nicht so genau gehalten halten!« Hüten wir uns im Blick auf die Folgen auch vor der feinsten Unlauterkeit!

3. Wie kam er zurecht?

Nun laßt uns das Zurechtkommen des Petrus von seinem Irrweg anschauen!

In der Gemeinde Jesu wohnt und wirkt der Heilige Geist. Er straft, wenn der rechte Weg verlassen wird. Er tut dies still im Herzen und Gewissen. Er tut es auch oft durch andere Brüder, die seine Werkzeuge sind. So war es hier. Das Werkzeug, durch das der Herr dem strauchelnden Petrus zurecht half, war Paulus. Dieser schalt nicht etwa hinter dem Rücken des Petrus heimlich über die Heuchelei seines Kollegen. Er trat ihm offen entgegen. In Gegenwart der andern Christen hielt er dem Petrus die innere Unwahrhaftigkeit seines Verhaltens vor. Welch ein Augenblick mag dies gewesen sein, als ein Knecht Gottes der Bußprediger des andern wurde vor der Christengemeinde!

In dieser Szene sehen wir die Größe und Echtheit des Apostels Petrus. Größer als seine Wundermacht, mit der er einen Lahmen heilte (Apg. 3, 6) und einen Toten auferweckte (Apg. 9, 40), ist seine Demut, die sich hier sagen ließ. Wie weit Petrus davon entfernt war, dem Paulus diese öffentliche Rüge nachzutragen, wie sehr er in der Folgezeit gerade ihn, von dem er gestraft worden war, schätzte und liebte, beweist die herzliche Empfehlung der Paulusschriften, die wir aus dem Munde des Petrus vernehmen (2. Petr. 3, 15 b). Wer so sich beugt und die Strafe annimmt, der kommt zurecht und darf auch weiterhin im Reich Gottes dienen. Wer aber in der Sünde beharrt und Strafe von sich weist, der wird sich selbst durch seinen Hochmut aus der Zahl der treuen Zeugen ausscheiden (Spr. 12, 1).