2Kor 12,10
W.Nee
Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark. 2. Korinther
12,10
Dieses Paradox gehört zu den Kernstücken wahrer christlicher
Erfahrung. Mir wurde dies klar bei einer Prüfung, die über
mich kam und bei der ich - wie Paulus mit seinem Pfahl im
Fleisch - auf mein Gebet um Befreiung die Antwort »Nein«
bekommen hatte. Da mußte ich an einen Flußdampfer denken,
der einen tiefen Engpaß nicht passieren kann, weil sich dort
ein Felsblock befindet, der ungefähr zwei Meter vom Grund des
Flußbettes aufragt. In meinem Leid hatte ich den Herrn
gebeten, diesen Felsblock hinwegzuräumen. Nun kam mir die
Frage: Wäre es besser, den zwei Meter hohen Fels aus dem Weg
geräumt zu bekommen oder Ihn den Wasserspiegel um zwei Meter
heben zu lassen? Die Antwort, die Paulus auf sein Flehen
erhielt, lautete: »Meine Gnade ist genug.« Ja, natürlich war
es besser, wenn der Wasserspiegel gehoben würde! Mein
Problem war gelöst. Denn beim Christsein geht es nicht um
Beseitigung von Felsblöcken, sondern darum, daß man tieferes
Wasser hat!
S.Keller
2. Kor. 12, 10: «Darum bin ich guten Mutes in Schwachheiten.»
Nietzsche sagt: ,,Alles, was aus der Schwachheit stammt, ist
schlecht." Und wenn man es nicht so versteht, wie er es
meint, dann hat er recht. Was aus meiner natürlichen Stärke
stammte, war das Schlechteste meines Lebens. Denn da wollte
ich ohne Gott mit dem Kopf durch die Wand und richtete mir
und andern eitel Herzeleid an. Als aber Jesus mich in seine
Armenschule des Geistes aufnahm, lernte ich das umgekehrte
Stadium des Reiches Gottes kennen: hier besteht man das
Examen in die höhere Klasse, wenn man wieder ein Stück
weniger leistet als früher in eigener Kraft, und sich vom
Lehrer mehr vorsagen läßt. Wenn man ganz schwach und hilflos
geworden, daß man nur noch singt: ,,Ich kann allein nicht
gehen, nicht einen Schritt; wo du wirst gehn und stehen,
da nimm mich mit." - dann kommt man in die Klasse der
Meisterschüler. Jetzt hat seine Stärke Raum und Möglichkeit,
sich auszuwirken - und darum bin ich guten Mutes in
Schwachheiten. Meine Schwachheit ist auch an sich schlecht,
nutzlos, leer, ein unbeschriebenes Blatt; was nur aus ihr
stammt, wäre auch verloren - aber sie ist der Rahmen, die
Schale, die Hand geworden, die Jesu Stärke füllt.
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir
Gutes getan hat, da er dir alle deine Stärke zerbrach und
dich erst so ganz schwach machte, daß du ihm dich ganz
überlassen konntest. Meine Seele, Herr Jesus, preist deine
Stärke. Halleluja!
C.H.Spurgeon
Der Schwache stark, und der Starke schwach.
"Es wird von Laurence Saunders, dem Märtyrer, erzählt, daß
er eines Tages auf dem Lande zusammentraf mit seinem Freund
Dr. Pendleton, einem eifrigen Prediger unter König Eduards
Regierung, und mit ihm darüber verhandelte, wie man sich
am besten verhielte in der gefährlichen Zeit, die Marias
Thronbesteigung herbeigeführt hatte. Saunders bekannte, sein
Geist sei willig, aber er fühle, sein Fleisch sei zur Zeit zu
schwach für vieles Leiden. Pendleton jedoch ermahnte ihn und
schien voll Mut und Eifer, jeder Gefahr entgegenzutreten. Beide
kamen durch den Drang der Umstände nach London, und als dort
Gefahr nahte, schrak Pendleton vor dem Kreuz zurück, und
Saunders nahm es entschlossen auf."
Viele Leser haben wahrscheinlich diese Geschichte schon früher
gelesen, aber es wird ihnen nicht schaden, die Lehre wiederum
zu lernen. Wir sind sicher stärker, wenn wir unsre Schwachheit
fühlen, als wenn wir uns unserer Stärke rühmen. Unsere
pastorale Aufsicht über eine sehr große Gemeinde hat uns dahin
gebracht, daß wir erwarten, furchtbare Fehltritte bei denen
zu sehen, die den Kopf hoch tragen unter den Brüdern. Arme,
schüchterne Seelen, die bange sind, einen Fuß vor den andern
zu setzen, aus Furcht, daß sie einen Zoll breit vom rechten
Wege abweichen, gehen weiter von Jahr zu Jahr in lieblicher,
bescheidener Heiligkeit, und dieselben Christen, welche diese
verurteilten und sie durch ihre zuversichtlichen Anmaßungen
ängstigten, fallen währenddessen wie Luzifer, um niemals wieder
zu hoffen.
Der Fehler, in den andere geraten sind, mag auch an mir gesehen
werden, wenn mich der Herr nicht davor bewahrt. Es ist keine
Zeit zum Prahlen, solange wir noch in Feindesland sind.
(Th.Manton)