2Kor 4,8
W.Nee
In Zweifel versetzt, aber nicht in Verzweiflung.
2. Korinther 4,8
Von dem Tage an, da ich mich bekehrte, bemühte ich mich
ehrlich, ein wahrer Christ zu sein. Natürlich hatte ich
meine eigene Vorstellung davon, wie ein Christ zu sein habe.
Ein wirklicher Christ, dachte ich, müsse von morgens bis
abends nur lächeln! Sobald er eine Träne vergieße, gehe er
des Sieges verlustig. Ich dachte auch, er müsse einen
unerschütterlichen Mut haben; wenn er unter irgendwelchen
Umständen die geringste Angst zeige, beweise dies, daß es
ihm ernstlich an Vertrauen auf den Herrn fehle.
Aber das Christenleben, so merkte ich bald, ist ganz anders.
Es ist ein Widerstreit von Stärke in Schwachheit, von Freude
inmitten von Schmerz, von Glauben, der trotz mancher Zweifel
den Sieg davonträgt. Gerade wenn ein Christ sich am
stärksten in der Kraft des Herrn fühlt, spürt er am meisten
sein eigenes Unvermögen; in Augenblicken des größten Mutes
und der reinsten Freude können Angst und Trübsinn in ihm
aufbrechen. Nur die alles überwindende göttliche Kraft hebt
ihn hinan.
S.Keller
2. Kor. 4, 8: «Wir haben allenthalben Trübsal, aber wir
ängsten uns nicht.»
Wenn die Trübsal uns hat, dann umgibt sie uns mit solch einem
Nebel von Vorstellungen und belastet uns mit solcher Wucht
von Last und Schmerz, daß wir alle vernünftige Überlegung
verlieren. Was es dann für eine Allmacht der Angst geben
kann, zeigt die Panik der Leute im brennenden Theater. Darum
sagt der Apostel: Wir bleiben die Besitzer der Trübsal, auch
wenn es wirklich wahr ist, daß sie uns allenthalben umlagert.
Unsere Selbstentscheidung ist dadurch nicht ausgeschaltet.
Der Zusammenhang mit Gott ist nicht unterbrochen. Wir
wissen, daß wir ewig sind, und jene Trübsal ist vergänglich.
Uns hat Gott lieb; jene Trübsal wird weggeworfen, wenn sie
uns nichts mehr zu sagen hat. Darum ängsten wir uns nicht.
Trübsal geht das irdische Empfinden an; Angst wäre eine
Erkrankung der Seele und des Glaubens. Wie der unangenehme
kalte Wind und Platzregen den Leib erreicht und nicht an die
Seele und unsere innere Persönlichkeit tastet, so bleibt die
Trübsal draußen. Die goldenen Gassen und die reingewordenen
Menschen bedürfen ihres Dienstes nicht mehr.
Herr, wir bitten dich um heilige Spannkraft der Seele, daß
wir uns nicht von der Trübsal, die zeitlich und leicht ist,
blenden lassen, sie für wichtiger zu nehmen, als sie ist.
Lasse sie uns zum Segen ihre Aufgabe erfüllen und dann erlöse
uns von allem Übel! Amen.
S.Keller
2. Kor. 4, 8: «... Uns ist bange, aber wir verzagen
nicht.»
Ist das unser christliches Heldenvorbild, daß keine
Erschütterung unserer mutigen Stimmung eintreten kann? Für
den fleischlichen Helden mag das zu seiner Rolle gehören.
Wir sind aber durch das Innewohnen Christi nicht Übermenschen
geworden, denen die menschliche Schwäche gegen Schmerz,
Gefahr und Beunruhigung ausgemerzt wäre. Nein, wir können
noch ganz einfach bange werden, wenn die Drohungen der
Sorge oder die Gefahren der Seele wie mächtige Wasserwogen
daherbrausen. Dafür aber sind wir in solchen Zeiten an einem
andern Punkt den Weltmenschen überlegen. Sie sehen keine
Rettung; ihnen gilt kein Trost Jesu; von der Gewißheit
des endlichen Sieges ahnen sie nichts. Wir aber haben
eine Zukunft, seine herrliche Zukunft. Darum hat unsere
Leidenslandschaft einen lichten Fernblick. Wir sehen schon
den untern Rand der Wolke, die jetzt über uns steht, goldig
umsäumt. Darum können und dürfen wir nicht verzagen. Mitten
in der Spannung und unter dem Druck der bitteren Gegenwart
spähen wir nach dem herrlichen Einst seiner Zukunft. -
Was muß doch an mir krank sein, wenn die Bangigkeit sich
auswächst zum Verzagen? Glauben und Lieben und Hoffen
müssen ineinandergreifen zum Starkmachen!
Herr Jesus Christ, du nur bist unserer Hoffnung Licht. Stell
uns vor und laß uns schauen jene immergrünen Auen, die dein
Wort verspricht. Amen.