Röm 12,16
C.Eichhorn
Demut adelt
Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch
herunter zu den Niedrigen! Röm. 12, 16
Der geistliche Hochmut ist ein gefährlicher Feind. Ein
Gotteskind ist vor vielen bevorzugt. Aber es soll sich
darum nicht für vorzüglicher halten. Von Natur ist ein
wiedergeborener Mensch um kein Haar besser. Er hat dasselbe
verderbte, zu allem Bösen fähige Herz wie die anderen.
Erleuchtete Gotteskinder empfinden ihre Abscheulichkeiten
tiefer, je weiter sie fortschreiten in der Heiligung. "Ein
Scheusal bin ich ohne dich", heißt es in einem Lied. Dieses
starke Wort unterschreibt jeder, dem der Geist Gottes sein
Inneres gründlich aufgedeckt hat. Wahre Christen stechen
hervor in ihrem Leben und Wandel. Aber sie wollen nie etwas
Hervorstechendes sein. Sie haben etwas Besonderes, wollen
aber nichts Besonderes vorstellen. Sie sind ein geadeltes
Geschlecht. Aber sie halten sich herunter zu den Niedrigen,
verschwinden gern in der Menge der Kleinen und wenig
Beachteten. Sie sind heilig. Aber sie prunken nicht mit
ihrer Heiligkeit, sondern rühmen sich am liebsten ihrer
Schwachheit. Es geht Glanz von ihnen aus. Aber sie wollen
nicht glänzen. Ungeheuchelte Demut ist der schönste Schmuck
eines Gotteskindes. Wo sie fehlt, sind alle anderen Tugenden
nichts als glänzende Laster. Denn heimliche
Selbstbespiegelung und Selbstüberhebung ist vor Gott ein
Greuel. Auch stößt der geistliche Hochmut die Welt mit Recht
ab. Unter Weltmenschen ist ein großer Unterschied. Die
einen sind böswillig und verlästern alles, was göttlich
ist. Die anderen sind für Besserung empfänglich. Wo ihnen
aufrichtige und wahrhaft demütige Christen begegnen, fühlen
sie sich angezogen, gewinnen Vertrauen, schließen sich auf
und an. Aber leider werden sie oft abgestoßen durch ein
liebloses, hochmütiges Wesen derer, die sich wahre Christen
nennen. Paulus schreibt an die Galater: "Seid wie ich, denn
ich bin wie ihr." Denkt nicht, daß ich von Natur besser bin
als ihr! Was ich bin, bin ich nur durch die Gnade des Herrn.
Dasselbe könnt auch ihr werden, wenn ihr den Heiland ergreift
und euch von ihm bilden laßt. Laßt uns nie anderen ein
Übergewicht zu fühlen geben! Wir wollen uns auch nicht
weigern, der Sündenbock zu sein, auf den alle Schuld
geschoben wird. Wir wollen bereit sein, den untersten Platz
einzunehmen und zu den Allergeringsten, ja Schlechtesten
gerechnet zu werden. Wir wollen, wie Luther sagt, den Füßen
gleichen, die das Ganze tragen und zum Lohn dafür mit Kot
bespritzt werden. Hüten wir uns vor allem Schein der Demut!
Wahre Demut fürchtet sich nicht vor dem Verdacht des
Hochmuts. Laßt uns demütig sein vor Gott, der das Herz
durchforscht! Nur keine heuchlerische Demut, die nichts
anderes ist als versteckter Hochmut!
W.MacDonald
»Sinnt nicht auf hohe Dinge, sondern haltet euch zu den
Niedrigen.« Römer 12,16
Unsere natürliche Neigung geht dahin, mit der sogenannten
besseren Gesellschaft freundschaftlich verkehren zu wollen.
In jedem menschlichen Herzen steckt der Wunsch, sich mit
denen, die berühmt, wohlhabend oder adelig sind, eng vertraut
zu machen. So steht also der Rat des Paulus in Römer 12,16
unserer eigentlichen Natur entgegen. Er sagt: »Seid nicht
stolz, sondern immer bereit, euch mit einfachen und
unbedeutenden Leuten zusammenzutun.« In der Gemeinde
Gottes gibt es eben kein Kastenwesen. Christen sollten
Klassenunterschiede ignorieren. Von Fred Elliot wird dazu
eine bezeichnende Begebenheit erzählt. Eines Morgens, als
er und seine Familie eben eine Andacht am Frühstückstisch
hielten, hörte er lautes Geklapper und Gerumpel vor dem Haus.
Es war die Müllabfuhr, die draußen vorbeikam. Elliot legte
seine aufgeschlagene Bibel auf den Tisch, ging zum Fenster,
machte es auf und rief dem Müllmann einen fröhlichen Gruß zu.
Dann kehrte er zurück und beendete die Andacht. Für ihn war
es genauso heilig und wichtig, dem Müllmann einen guten
Morgen zu wünschen wie in der Bibel zu lesen. Ein anderer
Diener des Herrn, der unseren Text ganz wörtlich nahm war
Jack Wyrtzen. Er leitete jeden Sommer in Schroon Lake
im Staat New York eine Bibel-Freizeit. Bei einer der
Konferenzen für Erwachsene war ein Gast dabei, der körperlich
schwer behindert war. Da er seine Gesichtsmuskeln nicht gut
unter Kontrolle hatte, konnte er auch sein Essen nur mit
großen Schwierigkeiten schlucken. Vieles davon fiel ihm
wieder aus dem Mund und bekleckerte das Zeitungspapier, das
er sich vorsorglich über die Brust und auf den Schoß gelegt
hatte. Ein solcher Anblick war für die anderen nicht gerade
appetitlich, und deshalb saß dieser Mann gewöhnlich allein an
einem besonderen Tisch. Wegen seiner vielen Aufgaben kam
Jack Wyrtzen oft zu spät in den Eßsaal. Immer, wenn er in
der Tür erschien, winkten ihn die Leute aufgeregt zu sich
heran und wollten gern, daß er sich an ihren Tisch setzte.
Aber das tat er nie. Er ging immer zu dem Tisch, an dem
der behinderte Mann allein saß. Auch er hielt sich zu den
Niedrigen. Choice Gleanings erzählt etwas Ähnliches: »Ein
christlicher General wurde einmal dabei beobachtet, wie er
sich mit einer sehr armen alten Frau unterhielt. Später
machten ihm einige Freunde Vorhaltungen und sagten: 'Du
solltest doch immerhin an deine hohe Stellung denken! ' Doch
der General erwiderte nur: 'Was wäre wohl geschehen, wenn
mein Herr nur an seine hohe Stellung gedacht hätte?'« In
seinem Gedicht »Trotz alledem« erinnert Robert Burns daran,
daß, auch wenn jemand nur eine geringe Position im Leben
einnimmt, er trotz alledem ein Mensch bleibt. Und er sagt,
daß einer, der unabhängig denkt, nur lachen kann über
die große Schau in Flitter und Seide, die die Narren
veranstalten. Wenn wir darüber nachdenken, wie weit sich
unser Heiland erniedrigt hat, um mit uns zu leben, dann ist
es undenkbar, daß wir es mit anderen nicht genauso machen
sollten.