Röm 12,13
C.O.Rosenius
Nehmet euch der Notdurft der Heiligen an. Herberget gern.
Röm. 12,13.
Die Christen sollen die Notdurft oder die Bedürfnisse ihrer
armen Glaubensbrüder wie ihre eigenen betrachten. Es muß
ihnen ebenso angelegen sein, diesen wie sich selbst zu
helfen. Wir sollen eine so wahre und so herzliche Liebe
haben, daß es nach den Worten geht: ,,So ein Glied leidet, so
leiden alle Glieder mit", oder nach dem großen Liebesgebot:
,,Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." Wenn der Apostel
besonders die Heiligen nennt, dann lernen wir auch hier wie
aus Gal. 6, 10, daß wir, obwohl wir nach dem allgemeinen
Liebesgesetz ,,jedermann Gutes tun" sollen, dies doch ,,am
allermeisten denen, die unsere Mitbrüder im Glauben sind",
erweisen sollen.
Zwar zeigt uns diese Stelle von der ,,Notdurft der Heiligen",
daß die Gütergemeinschaft, die anfangs in der ersten Gemeinde
eingeführt war, schon aufgehört hatte - ohne Zweifel wegen
des Mißbrauchs, den einige leichtsinnige, schnell der
Gemeinde beigetretene Personen damit getrieben hatten. Und
wir lernen daraus, daß wir mit beurteilender Unterscheidung -
nicht aber zur Unterstützung des Leichtsinns und des Lasters
- nur den wirklich Notleidenden und Bedürftigen geben sollen.
Dies sollen wir dann aber auch um so williger tun, nämlich
,,an der Notdurft der Heiligen teilnehmen", d. h. mit
zarter, brüderlicher Liebe diejenigen unterstützen, die
wirklich bedürftig sind.
Wer sind nun ,,die Heiligen", diese ,,armen Heiligen", wie
der Apostel sie in Kap. 15, 26 nennt? O, daß wir einmal das
Wort ,,heilig" recht verstehen lernten! Wir werden überall
in den Briefen der Apostel finden, daß alle gläubigen
Christen mit dem hohen Namen Heilige bezeichnet werden. Es
sind nicht etwa besonders hervorragende Christen - wie z. B.
die Apostel oder Propheten -, die ,,Heilige" genannt werden,
sondern alle, die in der Neugeburt durch den Geist von der
Welt erwählt und Gott dem Herrn, abgesondert sind. Diese
Wiedergeborenen sind in zweifacher Beziehung wirklich heilig
vor Gott. Erstens wird ihnen die vollkommene Heiligkeit
Christi zugerechnet, und zweitens hat die Heiligung des
Geistes in ihnen angefangen. Diese beiden Umstände
bezeichnet der Apostel so: ,,Ihr seid geheiligt durch den
Namen des Herrn Jesus und durch den Geist unseres Gottes."
Wir sind also, obwohl in uns selbst nicht sündenfrei, die
Heiligen Gottes. David sagt, indem er zunächst sein schweres
Sündenelend erwähnt, hierzu überzeugend: ,,Um deswillen
werden alle Heiligen zu Dir beten zur rechten Zeit." Wir sind
darum einzig und allein in Christus recht heilig und lernen
verstehen, wenn Luther sich so stark und nachdrücklich über
unsern Text äußert: ,,Paulus redet hier von den Heiligen auf
Erden, das sind die Christen, und nennt sie ,,Heilige" zu
Ehren des Wortes und der Gnade Gottes, durch welche sie ohne
alle Werke im Glauben heilig sind. Denn es wäre eine große
Schande und Lästerung Gottes, so ein Christ wollte leugnen,
daß er heilig wäre; denn damit bekennte er, daß auch Christi
Blut, Gottes Wort, Geist und Gnade und Gott selbst nicht
heilig wären, welches doch Gott alles an ihn gewandt hat, daß
er sollte heilig sein."
Dieses sind nun die Heiligen. Und an ihrer Notdurft sollen
wir so herzlich teilnehmen, als wäre sie unsere eigene, und
damit ihrer Not abhelfen oder sie zu lindern suchen. Wenn
wir das nicht tun, sondern all unser Hab und Gut für uns
behalten, leben wir wahrlich nicht in der Liebe Gottes.
Etwas anderes ist es, wenn wir uns aus Schwachheit vergehen
oder in ihr das tun, was wir nicht wollen. Keine Liebe
aber zu haben, noch sie zu beweisen, das zeugt von etwas
bedenklicherem, nämlich davon, daß wir nicht von der Liebe
Gottes leben. Johannes sagt dazu ausdrücklich: ,,Wenn jemand
dieser Welt Güter hat und sieht seinen Bruder darben und
schließt sein Herz vor ihm zu -, wie bleibt die Liebe Gottes
bei ihm?"
Herberget gern! Diese Mahnung kommt oft vor (siehe Hebr.
13, 2; 1. Petr. 4, 9), und zwar deshalb, weil die ersten
Christen während der Verfolgung oft aus ihrem Heim vertrieben
wurden und in fremde Gegenden auswanderten, in denen man zu
damaliger Zeit nur wenige öffentliche Herbergen für Reisende
hatte. Solche verjagten Christen sollten die Glaubensbrüder
nun mit froher, williger Liebe beherbergen, ja, danach
trachten, das tun zu dürfen. - Ob nun die Zeitverhältnisse
sich auch ändern, so bleibt doch immer das Liebesgesetz
bestehen, daß wir unserem Nächsten in allen möglichen Fällen
dienen und die Liebe nicht nur mit schönen Worten, sondern
mit Werk und Tat - ob auch mit einiger Mühe und Aufopferung -
beweisen sollen. Das Beherbergen kann auch heute noch unsere
Pflicht werden. Wenn es zuweilen auch etwas Beschwerde mit
sich bringt, uns aber nicht unmöglich ist, so sollen wir
stets mit fröhlichem Herzen und Angesicht dem bedürftigen
Bruder dienen. Der Apostel Petrus bemerkt hierzu, daß es
,,ohne Murren" geschehen müsse. Würden wir nicht dasselbe
wünschen, wenn wir der Dienste unseres Nächsten bedürften?
Das Hauptgebot in bezug auf den Nächsten kann also nur
heißen: ,,Alles, was ihr wollt, das euch die Leute tun
sollen, das tut ihr ihnen auch!"
Lehr mich froh dem Nächsten dienen,
Herr, mein Gott, zu jeder Frist
Und versteh'n, daß Deine Liebe
Ursach' meiner Rettung ist.