Röm 12,10
C.Eichhorn
Demutsgeist und Streitgeist
Nichts tut durch Zank oder eitle Ehre, sondern durch Demut
achte einer den andern höher denn sich selbst! Phil. 2, 3
Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich! Einer
komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor! Röm. 12, 10
Das Wort für "Zank" bedeutet wörtlich: "Eigensucht". Wo sie
im Spiel ist, gibt es dann freilich Zank, Anstöße und
Zusammenstöße. Man behauptet sein Recht, will nicht
nachgeben und zurücktreten, sich nichts bieten und gefallen
lassen, macht aus allem einen Zankapfel. "Wenn jemand mit
dir rechten will und deinen Rock nehmen, dem laß auch den
Mantel!" Dann ist es mit dem Streit vorbei. "Nötigt dich
jemand eine Meile, so gehe mit ihm zwei!" Zur Zeit Jesu gab's
noch keine geordnete Post wie heute. Die Regierungen hatten
ihre Boten. Waren diese schwer mit Sendungen beladen, so
konnten sie einen Ortseinwohner, und wer ihnen sonst in den
Weg kam, aufgreifen und nötigen, ihnen eine Strecke Weges
tragen zu helfen. Das war jedem eine lästige Zumutung, der
er sich möglichst zu entziehen suchte. Jeder hatte eine
Ausrede und suchte einen andern vorzuschieben, der das
leichter vermöge. Jünger Jesu sollen nicht auf andere
abladen und sich drehen und winden, wenn etwas Unangenehmes
an sie herantritt, sich nicht empören und beschweren.
Im Gegenteil, statt zu murren, lieber das Doppelte von
dem Verlangten tun. Dann ist der Hader beseitigt.
Selbstsüchtige Menschen haben immer zu prozessieren. Sie
können zu Querulanten werden, die überhaupt vom Nörgeln und
Streiten nicht loskommen.
Die Sucht nach eitler Ehre ist auch eine unversiegbare Quelle
der Empfindlichkeit, des Übelnehmens und Grollens. Die Demut
macht das Zusammenleben frei von Reibereien und häßlichen
Störungen. Demütige Jünger und Jüngerinnen achten sich
keiner Ehre wert und sind dankbar für die völlig unverdiente
Ehre, ein Gotteskind heißen zu dürfen. Im Vergleich zu
dieser Ehre erscheint ihnen alle andere Ehre sogar nichtig.
Innerlich gebeugte Seelen sehen tief hinein in ihr sündiges,
verderbtes Herz. Sie kennen sich, und weil sie sich allein
ganz und viel besser kennen als andere, so stellen sie gern
jeden über sich. Sie beanspruchen keine besondere Ehre,
sondern kommen den anderen mit Ehrerbietung zuvor. Sind
wir solch demütige und selbstlose Friedenskinder, die
den Lammessinn des Heilands haben?
"Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor!" Was dem
Menschen seine Ehre gibt, ist das Ebenbild Gottes. Man soll
es auch im verkommensten Menschen noch achten. Wieviel mehr
sollten wir ein Gotteskind ehren, in dem das Ebenbild Gottes
wiederhergestellt ist! Finden wir noch manche Züge des
häßlichen Adamsbildes, dann wollen wir das Auge daran nicht
haften lassen, sondern auf das blicken, was Gottes Geist an
ihm zustande gebracht hat. Es wird uns nicht schwer werden,
den anderen höher zu achten als uns selbst, wenn wir an die
Abscheulichkeit unseres eigenen Wesens denken.
S.Keller
Röm. 12, 10: «In Ansehung der Brüderlichkeit voll Zartheit
gegeneinander.» (Frei übersetzt)
Ein schneller Blick in einen sehr guten Spiegel zeigt uns
einen Flecken im Gesicht. So scheint mir es mit diesem Wort
des Apostels zu sein. Ist in dieser hellen Beleuchtung nicht
ein Fehler an meiner Liebesstellung gegen die Brüder? Die
Brüderlichkeit setzt das Wort als vorhanden voraus; ich
will das mal heute bei mir auch tun. Aber hat sie diesen
zärtlichen Charakter einer familienhaften Zuneigung? Gegen
einige Menschen, die mir gar nicht verwandt sind, gewiß. Ihr
Schmerz wäre mein Schmerz; ihr Glück würde meines erhöhen;
ihre Verunglimpfung würde mich erzürnen. Aber wie wenige
sind es unter den Tausenden, die vielleicht an meine
christliche Bruderliebe ihnen gegenüber glauben? Manchen
gegenüber finde ich in mir Gleichgültigkeit oder nur schwache
Ansätze von Interesse; andere liebe ich mit einem starken
Aber! Wo ist die neidlose Freude an meinen Brüdern? Auf
einmal scheint's mir, als ob meine brüderliche Liebe kleiner
geworden sei, seit ich sie so aufmerksam betrachte, und der
schwarze Flecken selbstischer Gefühle wächst. Und zart?
Rücksichtsvoll, sie schonend und hegend? Erst recht nicht!
Da ist kein Rat, Herr Jesus, du mußt dich ins Mittel legen.
Vergib mir das eigene Wesen so, daß es ausgewurzelt abfallen
kann, und gib mir deine Liebe zu den Brüdern so, daß sie fest
einwurzeln und stark wachsen kann und blühen und grünen zu
deiner Ehre und der Brüder Freude. Amen.
C.O.Rosenius
Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer
komme dem anderen mit Ehrerbietung zuvor. Röm. 12, 10.
Hier ist vor allem von der ,,brüderlichen Liebe", von der
Liebe zwischen den Brüdern in Christus die Rede, und der
Apostel redet davon in einer solchen Weise, daß gewiß viele
unter uns gestraft werden. Das Wort des Grundtextes für
,,herzlich" ist ein Wort, das von der zärtlichen Liebe
eines Vaters oder einer Mutter zu ihren Kindern und von der
besonderen Liebe leiblicher Brüder untereinander angewandt
wird. Eine solche herzliche Liebe, eine solche innige
Teilnahme soll unter allen Christen, die durch die himmlische
Kindschaft allesamt Brüder und Schwestern sind, vorhanden
sein. Hier wird jenes kalte, steife Wesen gestraft, mit
dem man vielfach den Gnadengeschwistern begegnet, wo es so
zugeht: Wenn man auch nichts Übles von ihnen denkt und redet,
so begegnet man ihnen doch auch nicht mit dieser nahen und
innigen Liebe, sondern man läßt sie gehen und für sich selbst
sorgen. Ein solches Verhalten ist weit entfernt von der
rechten Bruderliebe. Wenn wir wirklich Brüder für die
Ewigkeit sind, dann sollen wir uns auch allesamt als solche
anerkennen und lieben, ja, uns gegenseitig sowohl im Leid als
auch in der Freude mit inniger Teilnahme begegnen sowie auf
Duldsamkeit und Milde bedacht sein, wie sie liebevolle Eltern
ihren Kindern erweisen. Solches enthalten die Worte des
Apostels an dieser Stelle. Luther bemerkt hierüber: ,,Was
solche freundliche, brüderliche Liebe tut, leidet und trägt
am Nächsten, das lerne von einer leiblichen Mutter gegen ihr
Kind. So hat uns Christus auch getan und tut noch also, daß
Er uns unflätige, unvollkommene, gebrechliche, sündliche
Menschen trägt, daß es scheint, als seien wir nicht Christen;
aber Seine Liebe macht uns zu Christen, unangesehen unserer
Gebrechen."
Diese gegenseitige zärtliche, brüderliche Liebe unter den
Christen hat auch tiefe, bedenkenswerte Gründe. Der Herr hat
sie in Seinem Worte befohlen. Jesus hat uns mit Seiner Liebe
zu uns ein deutliches ermunterndes Beispiel solcher Liebe
gegeben. Schließlich aber sind wir ja wirklich Brüder, von
demselben Vater geboren und zu demselben Erbe bestimmt, wie
Jesus uns darum auch beten lehrte: ,,Unser Vater, der Du bist
im Himmel." Das sind nun tiefe, kräftige Gründe für die Liebe
zu den Brüdern, eben weil sie unseres Vaters Kinder, unsere
Brüder sind. Zunächst müssen wir sie um des Vaters willen
lieben. Sodann: Da wir unsere leiblichen Brüder mit einer
besonderen Liebe lieben, wie sollten wir dann auch diejenigen
lieben, die unsere Brüder nach der hohen Kindschaft bei Gott
sind! Möchten alle Christen dies tief beachten: Weil wir uns
mit allem Recht Brüder und Schwestern nennen, müssen wir auch
in unseren Herzen eine solche Liebe und Teilnahme haben, wie
diese Worte sie enthalten. Der Apostel Petrus sagt: ,,Vor
allen Dingen habt untereinander eine brünstige Liebe!"
Einer komme dem anderen mit Ehrerbietung zuvor! Hier lernen
wir, daß Christen einander nicht nur von Herzen lieben und in
wesentlichen Dingen dienen, sondern auch im Umgang und im
Verhalten sich gegenseitig Achtung und Ehre beweisen sollen.
,,Einer soll dem anderen mit Ehrerbietung zuvorkommen."
D.h.: Jeder soll der erste darin sein, dem anderen Ehre
und Aufmerksamkeit zu erweisen, und dies nicht nur mit
äußerlichen Gebärden, sondern auch mit wirklicher
Herzensachtung. Der Apostel ermahnt: ,,Durch Demut achte
einer den anderen höher als sich selbst." Eine nur äußerliche
Höflichkeit zur Schau zu tragen, während die ihr
entsprechende innere Hochachtung fehlt, heißt eine einem
Kind Gottes unwürdige Rolle zu spielen. Haben wir aber erst
Demut, Liebe und Achtung im Herzen, dann müssen wir, diesem
Texte gemäß, solches auch in unserem Benehmen zeigen.
Christen sollen keine plumpen, unhöflichen Leute sein,
sondern, wie hier gelehrt wird, auch im Umgang sich demütig,
höflich und dienstfertig erweisen. Wir wissen, wie Jesus
dies Seinen Jüngern beim Fußwaschen einschärfte, daß nämlich
ein jeder der Geringste und des anderen Diener sein sollte.
Dabei stellte Er sich zum Vorbild dar. Luther sagt davon:
,,Das bringt mit sich die Liebe und Freundlichkeit Christi
zu uns, daß wir einer den anderen müssen hoch und herrlich
halten um Christi willen, der in uns ist. Und (es) leidet
(ziemt) sich nicht, daß ich jemand verachte um seiner
Gebrechen willen; sondern ich muß denken, mein Herr wohnt
in dem schwachen Gefäß und ehrt ihn mit Seiner Gegenwart.
So denn Christus denselben würdig achtet, dem Er hold und
herzlich günstig sei, daß er ebensoviel an Christus hat als
ich, so muß ich mich vor ihm bücken und (ihn) ehren als
meines Herrn lebendigen Tempel und Stuhl. Was liegt dir
daran, wie gering der Stuhl ist, darauf der Herr sitzt? Ist
er dem nicht zu geringe, daß Er darauf sitzt und ehrt ihn,
warum wolltest du, Knecht, ihn nicht ehren?". Auch diese
Lehre ist ja eine heilsame; möchte Gott uns nur Gnade geben,
sie zu befolgen!
Wer hat dich so hoch gesetzt,
Daß du andre kaum betrachtest
Und verachtest?
Wer hat dich den Neid gelehrt,
Der dich stört?
Mensch, wer hat dich vorgezogen?
Du bist von dir selbst betrogen,
Und dein Herz hat dich betört.