Römerbrief

Röm 10,21 C.O.Rosenius Zu Israel spricht Er: ,,Den ganzen Tag habe Ich Meine Hände ausgestreckt zu dem Volk, das sich nicht sagen läßt und widerspricht." Röm. 10, 21.

Möchtest du klar sehen können, wie Gott der Herr gesinnt ist und was Er schließlich mit uns tun will, so blicke auf die Geschichte des Volkes Israel, wie Er mit diesem ungläubigen, widerspenstigen Volke handelte. Schaue hier, was Er mit denen tut, die Seinem Ruf zur Buße nicht folgen, sondern immer in der Sünde und der Eitelkeit verbleiben wollen. Schaue zugleich auch, was Er mit denen tun will, die bei großem Eifer um Gott, um Frömmigkeit und Gebet in alledem auch ihren Trost und ihre Gerechtigkeit haben und also ,,dem Evangelium nicht gehorsam" sind.

Was tat Gott mit den selbstgerechten, ungläubigen und unbußfertigen Juden? Das gleiche wird Er auch mit den ungläubigen und unbußfertigen Christen tun. Der Prophet sagt: ,,Sie erbitterten und entrüsteten Seinen Heiligen Geist; darum ward Er ihr Feind und stritt wider sie." Der Herr tat damit das, was Er an einer anderen Stelle (Spr. 1, 24) vorhergesagt hatte: ,,Weil Ich denn rufe und ihr weigert euch, so will Ich auch lachen in eurem Unglück und eurer spotten, wenn da kommt, was ihr fürchtet, und euer Unglück als ein Wetter. Dann werden sie nach mir rufen, aber Ich werde nicht antworten; sie werden Mich frühe suchen und nicht finden." So handelte der Herr in vielen Strafgerichten mit Israel, vor allem aber in dem letzten bei der Zerstörung Jerusalems. Dazumal war ein solches Beten in der Stadt, daß es Steine hätte erweichen können; aber der Himmel war ehern und allen Gebeten verschlossen. Jetzt war es die Zeit des Herrn, sie nicht zu hören, wie sie zuvor Ihn nicht hören wollten. So handelt der Herr. Zu einer Zeit streckt Er Seine Hände in Gnaden aus und lädt die Sünder ein, zu Ihm zu kommen; zu einer anderen Zeit aber, wenn der Gnadentag zu Ende ist, folgt ein unbarmherziges Gericht.

Gleichwie Gott aber ein erschrecklicher Richter über Seine Verächter ist, so ist Er auch unermeßlich gnädig gegen alle diejenigen, die Seine Stimme hören und Ihm zu Seinen Füßen fallen. Sieh, wie Er hier Sein unermüdlich langes Warten auf das ,,ungehorsame, widerspenstige Volk" beschreibt. Und bedenke wiederum, daß Gott zu allen Zeiten derselbe ist. Gerade so, wie Er jemals war oder sich beschrieb, ist Er auch noch heute. Und was sagt Er von sich? ,,Den ganzen Tag habe Ich Meine Hände ausgestreckt." So steht Er auch diesen Augenblick mit ausgestreckten Händen vor einem jeden, der glauben zu können und zu Ihm zu kommen wünscht. Und wie spricht Christus? ,,Kommet her zu Mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, Ich will euch erquicken." ,,Wer zu Mir kommt, den werde Ich nicht hinausstoßen." Wahrlich - dasselbe wie dieses: ,,Ich strecke Meine Hände aus." Aber nun sagst du: ,,Diese Gnade kann doch nur recht bußfertigen, gehorsamen Menschen angehören; ich dagegen bin beständig ungehorsam, habe nicht einmal einen ernsten Willen, auch keine Liebe zum Guten; wie kann ich dann einen Trost hieraus haben?" Antwort: Sieh doch, wie die Worte lauten. Er sagt nicht: Ich strecke Meine Hände aus zu einem gehorsamen, bußfertigen Volk, sondern Er sagt im Gegenteil: ,,Ich strecke Meine Hände aus zu einem Volk, das sich nicht sagen läßt und widerspricht." Und fragst du nun, wie das verstanden werden soll, denn ein solches Volk ist doch verworfen, so höre: Wenn du stets ungehorsam und widersprechend verbleibst, dann bist du gewiß unglücklich; Gott: der Herr, aber ist dennoch so, wie Er sagt. Die Frage war ja die, ob Gott gnädig sein kann, wenn du so ungehorsam bist. Höre darum und vergiß nie, daß die Gnade im Herzen Gottes ganz frei und unabhängig von deiner Frömmigkeit ist. Sieh, wie Er am Tage des Sündenfalls mit dem ersten Evangelium zu Adam kam, als dieser so voller Bosheit war, daß er in seiner Bitterkeit die Schuld seines Falles auf Gott schieben wollte. Dennoch brachte Gott Seine gnadenvolle Botschaft. Sieh ferner, wie der Vater des verlorenen Sohnes, als dieser ,,noch ferne von dannen war", ihm ,,entgegenlief, ihm um den Hals fiel und ihn küßte".

So hat der Herr Christus Seine Herzensgesinnung uns gegenüber beschrieben. Wenn du beständig wegbleibst in dem fernen Lande, dann bleibst du auch ewig fern von der Gnade und der Seligkeit Gottes; dennoch ist das Vaterherz unverändert, dennoch sind die Vaterarme gegen dich ausgestreckt, solange dein Gnadentag währt, solange du also noch gerufen wirst. ,,Er streckt Seine Hände den ganzen Tag aus zu einem ungehorsamen, widerspenstigen Volk." Wenn es aber nun dahin gekommen ist, daß du selbst deine Bosheit und deinen Ungehorsam strafst, gern glauben und gehorchen möchtest, täglich aber noch den Ungehorsam der Natur fühlst, der sich auch in Gedanken, Worten und Werken zeigt, wofür du doch zu den Füßen Jesu alle Gnade und sowohl Vergebung als auch Hilfe suchst, dann bist du gewiß von deinem himmlischen Vater gesucht und gefunden. Denn der Ungehorsam gegen das Evangelium ist dann gebrochen, und du bist schon in den Vaterarmen,

Möchten wir das in diesem Text Gesagte nie vergessen: Gott steht mit ausgestreckten Händen auch vor einem ungehorsamen Volke. So muß denn der Mensch, der innig wünscht, dem Herrn glauben und gehorchen zu können, mit Seiner ganzen Liebe und Freude von Ihm aufgenommen werden.

Nicht vollkomm'ne Frommen, Sünder sollen kommen, Sünder nimmt Er an; Die sich gottlos sehen Und um Gnade flehen, Die sind wohl daran. Wer die Kraft, die Gutes schafft, Gar nicht in sich selbst erblicket, Der wird hier umsonst erquicket.