Röm 9,33
C.O.Rosenius
Siehe da, Ich lege in Zion einen Stein des Anlaufens und
einen Fels des Ärgernisses; wer an Ihn glaubt, soll nicht
zuschanden werden. Röm. 9, 33.
Wie geht dies zu? Wie kann Christus uns zum Schaden und zum
Verderben werden? Wie dies für die Juden zuging, sehen wir
deutlich in den Berichten der Evangelisten. Die Juden
stießen sich nicht nur an Seiner persönlichen Niedrigkeit und
an Seinem schmählichen Tod, sondern auch an Seiner Lehre und
an Seinen Urteilen, die schnurstracks gegen die ihrigen
stritten. In gleicher Weise geschieht es noch heute.
Erstens wissen wir, daß die ganze blinde Welt sich an
Christus und an Seinem Evangelium als an einer ,,törichten
Predigt", einer ,,Torheit" stößt. Die Menschwerdung und die
tiefe Erniedrigung des Sohnes Gottes, die Lehre von der
Versöhnung durch Seinen Tod und von den Sakramenten, dieses
alles ist dem natürlichen Menschen eine Torheit. Das
eigentliche ,,Ärgernis" aber, auf das unser Text - im
Zusammenhang betrachtet - zunächst hinzielt, ist die
Hauptlehre selbst, daß Jesus die unwürdigsten Sünder
begnadigt und selig macht, während Er die frömmsten
Werkheiligen verdammt.
Dies ist zu allen Zeiten der rechte ,,Stein des Anstoßes",
so daß es noch immer heißt: ,,Dieser nimmt die Sünder an" -,
,,wüßte Er, wer und welch eine Frau es ist, die Ihn anrührt,
denn sie ist eine Sünderin." Christus müßte nicht Sünder,
sondern nur Heilige annehmen. Dieses ,,Ärgernis" oder dieser
,,Anstoß" entsteht noch an allen Stätten, wo das Evangelium
im Geist und in der Wahrheit verkündigt wird, und zwar nicht
nur bei gleichgültigen Leuten, sondern auch bei vielen, die
,,um Gott eifern" und ,,nach der Gerechtigkeit trachten",
bei vielen, die zuvor für die erleuchtetsten und frömmsten
Christen galten, nun aber ganz irre werden und das
Evangelium, das doch das eigene gnadenvolle Wort Christi ist,
zu schmähen anfangen. Sie nennen es dann eine neue und der
Heiligung schädliche Lehre und werden geradezu Feinde des
Evangeliums. Es ergeht ihnen ganz so, wie bei dem Propheten
gesagt wird: ,,Sie werden verstrickt und gefangen." Wenn
Christus mit Seinem Evangelium nicht an ihren Ort gekommen
wäre, würden sie ungestört in ihrer Frömmigkeit verblieben
sein; nun aber werden sie so ,,verstrickt" und nur darum als
Feinde des Evangeliums offenbar, weil dasselbe in einem
klareren Lichte sowie in Beweisung des Geistes und der Kraft
zu ihnen kam.
Wer an Ihn glaubt, soll nicht zuschanden werden. Der Name
des Herrn sei gepriesen! Ob auch die Mehrzahl der Israeliten
und die Mehrzahl in der Christenheit sich an diesem Steine
stoßen und fallen, so gibt es doch andere, denen Er ein
,,köstlicher Eckstein", ein Fels der Seligkeit ist, auf den
sie ihren ganzen Trost im Leben und im Sterben bauen; und
ihnen wird hier nun diese Versicherung gegeben: ,,Wer an Ihn
glaubt, soll nicht zuschanden werden", das will besagen, in
seiner Hoffnung auf Ihn nicht getäuscht zu werden. Es wird nicht
fehlen, daß wir wirklich alles das empfangen werden, worauf
wir hier im Glauben an Christus gehofft haben. Daß aber eine
besondere Versicherung darüber gegeben wird, will uns zeigen,
daß die Gläubigen auch von der Furcht und Ungewißheit
angefochten zu werden pflegen: ,,Besitze und erhalte ich
auch wirklich das, was die Worte enthalten und verheißen?"
Daß die Heiligen von solcher Ungewißheit beschwert wurden,
sehen wir überall in ihrer Geschichte; auch wir fühlen
es alle bei uns. So verborgen ist das Leben in Gott, so
zahlreich sind unsere Mängel und Gebrechen, so schwach und
dunkel ist unser Glaube, daß wir wirklich oft nicht wissen,
ob wir selige Leute sind, wiewohl wir an Jesus glauben. Dann
kommt hier der Ewig-Vater und versichert uns: ,,Bauet mit
aller Zuversicht auf den Stein, den Ich in Zion gelegt habe,
Er läßt euch nimmer im Stich. Wer an Ihn glaubt, soll nicht
zuschanden werden." Und möchten wir nun besonders das Wort
,,Wer" (ein jeder) beachten und bewahren! Hier ist kein
Unterschied. Hier ist kein einziger Mensch ausgeschlossen -
ein jeder, der an Ihn glaubt - ein jeder, der in seiner
Sündennot zu Ihm hinflieht, - ein jeder, der an all seiner
eigenen Gerechtigkeit und all seinen eigenen Versuchen, sich
zu erretten, verzweifelt, in solcher Verlegenheit aber das
Evangelium von Christus hört und annimmt, d.h. so zu Ihm
hingezogen und mit Ihm verbunden wird wie die Sünder und
Sünderinnen, die in den Tagen Seines Fleisches Jesu Jünger
und Jüngerinnen und neue Menschen wurden, - ein jeder, der
so an Ihn glaubt, soll nicht zuschanden werden - kann nicht,
darf nicht zuschanden werden, - sondern wird das ewige Leben
haben, so wahr Gott getreu und wahrhaftig ist und die Seinen
niemals täuschen kann.
Jesus nimmt die Sünder an!
Saget doch dies Trostwort allen,
Welche von der rechten Bahn
Auf verkehrten Weg verfallen.
Hier ist, was sie retten kann:
Jesus nimmt die Sünder an!
Keiner Gnade sind wir wert.
Doch hat Er in Seinem Worte
Eidlich Sich dazu erklärt;
Sehet nur, die Gnadenpforte
Ist hier völlig aufgetan.
Jesus nimmt die Sünder an!