Röm 8,19
C.O.Rosenius
Das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung
der Kinder Gottes ... Denn auch die Kreatur wird frei werden
von dem Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen
Freiheit der Kinder Gottes. Röm. 8,19-21.
Mit einer eindringlichen Darstellung des Seufzens der Kreatur
nach Erlösung will der Apostel hier den Kindern Gottes einen
weiteren Grund der Gewißheit und Größe ihrer zukünftigen
Herrlichkeit geben, von der er zuvor geredet hat. Gott hat
im Anfang alles, was auf Erden ist, zum Dienst und zur Freude
Seiner Kinder und damit zugleich zum Lob und zur Ehre Seines
herrlichen Namens erschaffen. Diese Schöpfung aber erhielt
durch unseren Sündenfall ihren Teil am Fluch, so daß sie
jetzt nicht ihre ursprüngliche Bestimmung erfüllen kann. Sie
dient den Kindern Gottes nicht so, wie sie ihnen gedient
haben würde, wenn die Sünde nicht hinzugekommen wäre. Sie
dient zumeist den Feinden und Lästerern des Schöpfers, ja,
der Sünde, weil die Kreatur von den meisten Menschen zur
Sünde mißbraucht wird. Dies ist eine Unterdrückung, eine
Knechtschaft, unter der die Schöpfung ohne ihren Willen,
ohne ihre Schuld, um dessentwillen leidet, der sie einer
solchen Knechtschaft unterworfen hat. Dieses Mißverhältnis
wird jedoch nicht immer währen. Die Schöpfung ist der
Knechtschaft der Eitelkeit ,,auf Hoffnung" unterworfen, so
daß auch sie einst davon befreit werden wird zur herrlichen
Freiheit der Kinder Gottes.
Gleichwie die Propheten von der vernunftlosen Schöpfung oft
wie von vernünftigen Wesen reden - wenn sie z. B. sagen,
daß Berge und Hügel sich freuen, daß die Bäume auf dem Felde
in die Hände klatschen, daß Sonne und Mond, wilde Tiere und
Fische den Herrn loben -, so sieht auch das geistliche Auge
des Apostels die ganze Schöpfung in einer leidenden,
unruhigen Sehnsucht, um an ihr Ziel zu gelangen. Er hört sie
nach der Erlösung der Kinder Gottes und nach ihrer eigenen
Erlösung aus der gegenwärtigen Knechtschaft sehnsüchtig
seufzen und sich ängstigen. Und dies alles schildert Paulus,
um alle Christen zu stärken und aufzumuntern. Er tut es
erstens mit der Gewißheit und Verbürgung der Offenbarung
unserer Herrlichkeit, die darin liegt, daß die Schöpfung
erst mit der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes zu ihrer
Bestimmung gelangen wird. Sie werden alsdann gewiß ein
anderes und besseres Leben zu erwarten haben, weil die
gegenwärtige Weltordnung nicht die rechte, vom Herrn
beabsichtigte sein kann. Nach Seiner Verheißung haben wir
einen neuen Himmel und eine neue Erde zu erwarten. - Zum
anderen müssen sie die Größe der Herrlichkeit bedenken, die
dann zum Vorschein kommt, wenn die ganze Schöpfung zur
Offenbarung der Herrlichkeit der Kinder Gottes erneuert und
verherrlicht werden wird und wenn alle erschaffenen Werke
Gottes, die dem neuen Himmel und der neuen Erde angehören
werden, nur deshalb gereinigt, erneuert und verschönert
sind, damit die Herrlichkeit der Kinder Gottes um so mehr
hervorleuchte.
Der Apostel will sagen, daß die Schöpfung, die um der Sünde
willen durch das Urteil Gottes der Eitelkeit unterworfen
wurde, von ihrer gegenwärtigen Erniedrigung, unter der sie
seufzt, wiederhergestellt werden soll. In Übereinstimmung
mit der Verheißung Gottes von einer Erneuerung wartet sie
darauf, zugleich mit den Kindern Gottes an der Befreiung aus
der Eitelkeit und dem Verderben teilzuhaben und mit ihnen in
die Herrlichkeit und Schönheit gekleidet zu werden, in der
sie einst aus der Hand des Schöpfers hervorging. Wenn eine
Tochter eines vornehmen Hauses sich trauen läßt, wird das
ganze Haus für die Feier gereinigt und geschmückt; alle
Gäste, ja, selbst die Bediensteten werden dann ihre
Feierkleider anlegen. - Die Schöpfung Gottes ist das reiche
Haus, in das Er den Menschen zum Kind und Erben einsetzte.
Wenn die Braut Christi in die Herrlichkeit ihres Bräutigams
eingehen wird, wenn die Kinder Gottes die Niedrigkeit und die
Verachtung ablegen werden, unter der sie hier verborgen
waren, und wenn sie in ihrer wahren Hoheit und Herrlichkeit
offenbart werden, dann wird auch alles, was ihrer Wohnung
angehört, erneuert, gereinigt und geschmückt werden. Petrus
sagt hierzu: ,,Die Elemente werden vor Hitze zerschmelzen,
und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden
verbrennen. Wir warten aber eines neuen Himmels und einer
neuen Erde nach Seiner Verheißung, in welchen Gerechtigkeit
wohnt." Die Dinge, die der neuen für die Kinder Gottes
bereiteten Erde angehören sollen, werden von dem Fluch
befreit sein und wieder in den Zustand der Vollkommenheit
versetzt werden, in welchem sie waren, als Gott im Anfang
alles ansah, was Er gemacht hatte, und erklärte, daß ,,alles
sehr gut" war.
Das Wort des Grundtextes für ängstliches Harren bezeichnet
eigentlich ein standhaftes Warten, bei dem man mit erhobenem
Haupte nach dem Erwarteten ausschaut. Ein Gottesmann sieht
deshalb hier das Bild einer Schar Menschen, die sich so
herzlich sehnen, ihren geliebten König kommen zu sehen, daß
sie mit ausgerecktem Hals sich übereinander erheben, um zu
sehen, ob er naht. So harrt auch die Schöpfung mit inniger
Sehnsucht auf eine Erscheinung. Und wonach sehnt sie sich so
innig? Der Apostel sagt: ,,Auf die Offenbarung der Kinder
Gottes." Sie wartet darauf, ,,daß die Kinder Gottes offenbart
werden sollen." Hier sind sie teils unter mancherlei eigenen
Gebrechen, teils auch unter den Trübsalen, dem Kreuz und den
Leiden dieser Zeit so verborgen, daß sie selbst nicht einmal
wissen, wer sie sind. Viel weniger kann die Welt sie kennen.
Dereinst aber wird ihre verborgene Herrlichkeit
hervorleuchten, und darauf harrt die ganze Schöpfung mit
inniger Sehnsucht.
O Jesu, mach ein Ende
Und führ' uns aus dem Streit!
Wir heben Haupt und Hände
Nach der Erlösungszeit.
J.Kroeker
Von unserer Erlösung.
"Denn wartet nicht die ganze Schöpfung gespannt und
sehnsuchtsvoll der Stunde, da Gottes Söhne sich enthüllen
sollen in ihrer vollen Herrlichkeit?" Röm. 8,19 f.
Mit als Beweis, dass die von Paulus erwartete Herrlichkeit
in Aussicht steht, dient ihm: Das Seufzen der Schöpfung, das
Seufzen der Söhne und das Seufzen des Geistes. Das ist das
große gewaltige Thema, das er hier behandelt. Es hat noch
nie jemand mit solchen Worten und mit solch einem tiefen
Empfinden das Sehnen der Schöpfung beschrieben wie der
Apostel Paulus.
Wie sollen wir uns das erklären? Woher hatte er jenes
Wahrnehmen des Geistes, dass er mit einem zarten Ohr das
Seufzen der ganzen Schöpfung zu hören vermochte? Hier liegt
ein tiefes Geheimnis! Wer wie er vertraut wird mit Gott, der
wird vertraut auch mit Gottes Schöpfung. Wer ein offenes Ohr
gewinnt für das Sprechen Gottes, der gewinnt auch ein offenes
Ohr für die Sprache der Schöpfung. Wer erst innerlich auf
Gott eingestellt ist, der fühlt die ganze Disharmonie, von
der die gegenwärtige Schöpfung beherrscht wird. Paulus Leben
war innerlich durch die Kraftwirkungen des Geistes auf Gott
eingestellt worden, daher verstand er diese Disharmonie, von
der die Schöpfung beherrscht wurde.
Er sagt uns zunächst, dass die ganze Schöpfung unter dem
Banne der Vergänglichkeit steht. Es ist dies aber nicht
geschehen durch die eigene Schuld. Der Herr der Schöpfung,
der Mensch hat sie mit in seinen Fall hineingezogen. Mit ihm
fiel auch sie. Das fühlt die Schöpfung. Sie ist gegenwärtig
ohne Herrscher, ohne ihren König, damit aber auch ohne
Erlösung. Ihre Hoffnung, heißt es hier, geht nun nicht
auf Gott, sie geht auf den erlösten Menschen. Die ganze
Schöpfung wartet auf das Sichtbarwerden der Söhne Gottes.
Unter der Herrschaft der Söhne wird auch sie wieder ihren
König und Herrscher finden, der sie allein aus ihrer
Knechtschaft zu erlösen und ihrer ursprünglichen Bestimmung
entgegenzuführen vermag.
"Ein jeder tat, was ihm recht dünkte", hieß es in der
Richterzeit von Israel. Das ist das Gepräge, das auch die
Kreatur jetzt trägt. Das Instinktleben der Kreatur wird
nicht beherrscht durch einen höheren Willen. Da der
erlösende Mensch fehlt, ist das ganze Sehnen der Schöpfung
gerichtet auf die Söhne. Und der Apostel gibt diesem Seufzen
der Schöpfung unter dem Druck der Vergänglichkeit hier mit
den wunderbaren Worten einen Ausdruck: "Die ganze Schöpfung
ist bis jetzt voll Klageseufzern und sie harrt unter Wehen
einer neuen Geburt entgegen!" Die neue Geburt kann für sie
aber erst kommen mit dem Offenbarwerden der Söhne Gottes in
Herrlichkeit. Erst der erlöste Mensch wird Vollmacht haben
und begnadet sein, auch eine unerlöste Schöpfung der ihr
bestimmten Erlösung entgegenzuführen.