Röm 7,14
W.Nee
Wir wissen, daß das Gesetz geistlich ist; ich aber bin
fleischlich, unter die Sünde verkauft. Römer 7,14
Wenn du einen sehr ungeschickten Diener hast, dann tritt
seine Ungeschicklichkeit, solange er bloß dasitzt und nichts
tut, kaum in Erscheinung. Wenn er den ganzen Tag nichts tut,
ist er dir zwar wenig nütze, aber dafür richtet er auch
keinen Schaden an. Wenn du jedoch zu ihm sagst: »So, jetzt
los, verplempere nicht deine Zeit mit Müßiggang; steh auf und
tu etwas!« dann geht der Ärger sofort los. Er wirft beim
Aufstehen den Stuhl um, stolpert nach zwei Schritten über
eine Fußbank, macht eine wertvolle Schüssel kaputt, kaum daß
er sie in die Hand nimmt. Sobald du von ihm etwas verlangst,
kommt seine unbeholfene Art sofort zutage. Wie bei uns allen
waren die Anforderungen richtig, das Verkehrte lag an dem
Mann! Wie bei uns. Die Anforderungen sind richtig. Aber
wir sind Sünder. Das Schlimme ist, daß wir das ohne das
Gesetz nicht wissen. Solange Gott nichts von uns verlangt,
scheint alles ganz gut zu gehen. Erst wenn er Anforderungen
an uns stellt, kann unsere Sündhaftigkeit sieh so recht
zeigen, »auf das die Sünde überaus sündig würde durchs
Gebot«.
C.O.Rosenius
Ich bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. Denn ich weiß
nicht, was Ich tue; ich tue nicht, was ich will, sondern was
ich hasse, das tue ich. Röm. 7,14,15.
Das schrecklichste Übel, das die Schlange in unsere Natur
pflanzte, war die Einbildung, daß wir unsere eigenen Helfer
und Erlöser sein würden. Das Wort ,,Ihr werdet sein wie
Gott" griff tief in unsere Natur und hinterließ tiefe
Merkmale, nämlich allerlei Hochmut und vor allem die
schädliche Einbildung, daß wir selbst Kraft haben würden,
dem Bösen zu widerstehen und das Gute zu tun. Der ,,freie
Wille in dieser Bedeutung ist ein Traum, aus dem sowohl alle
Sicherheit als auch alle Verzweiflung herrühren. Könnte der
erweckte Mensch nur davon überzeugt werden, daß er gar nichts
vermag, sondern daß der freie Wille verloren ist und daß er
,,unter die Sünde verkauft ist", dann würde er gar bald in
Christus Trost erhalten, die Arbeit seiner Selbstbefreiung
aufgeben und sich auf eitel Gnade hin vor Jesu Füße werfen.
Unaufhörlich aber heißt es, ,,Du hast es noch nicht recht
versucht, dich nicht recht angestrengt, nicht recht gewacht,
gebetet und gekämpft; morgen willst du es besser machen."
So geht es einen Tag nach dem anderen und immer ebenso
unglücklich und unaufhörlich heißt es: ,,Du hast es noch
nicht recht versucht, bist noch nicht ernst genug, vor der
Sünde nicht bange genug gewesen; du willst es morgen besser
machen." Der arme Mensch vermag nicht zu begreifen, daß
gerade das nicht in seiner Macht steht, recht aufrichtig,
ernst und vor der Sünde bange zu sein, zu wachen, zu beten
und zu streiten. Er kann nicht einmal seine Gedanken
regieren. Wir ,,sind nicht tüchtig von uns selbst, etwas zu
denken". Wir sind ganz verlorene Sünder. Christus muß alles
tun, Er ,,muß selig machen, was verloren ist." Paulus sagt:
,,Das Gesetz ist geistlich. Ich aber bin fleischlich, unter
die Sünde verkauft." Beachte ,,unter die Sünde verkauft", wie
ein Sklave an seinen Herrn verkauft ist. Und wiederum sagt
er: ,,Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das
Böse, das ich nicht will, das tue ich, denn ich tue nicht,
was ich will, sondern was ich hasse, das tue ich." Wo ist
hier der freie Wille?
Viele haben sich darüber verwundert, weshalb Luther so heftig
gegen die Lehre von dem freien Willen streitet. Das hat
seine guten Gründe. Wenn Christus auch hundertmal für uns
gestorben und uns noch so herrlich verkündigt worden wäre,
so kann das alles durch den einen Irrtum fruchtlos gemacht
werden, nämlich durch diesen Wahn, daß wir selbst Kräfte dazu
besitzen würden, all das Gute zu tun, was wir wollen. Wenn
der erweckte Mensch das nun an sich vermißt, dann ist alle
Predigt von Christus vergeblich, er kann nicht glauben; denn
wenn er Kräfte dazu besitzt, das zu tun, was er soll, es aber
nicht tut, dann kann er sich auch nicht die Gnade Gottes
aneignen. Wir müssen deshalb die Wahrheit tief in unser Herz
prägen: ,,Ich tue nicht, was ich will, sondern was ich hasse,
das tue ich." Auch wenn Christus uns durch den Glauben
,,recht frei" gemacht hat von der Herrschaft der Sünde und
des Teufels, haben wir selbst doch nicht die Kraft dazu, all
das Gute zu tun, was wir wollen; denn Er behält die Macht für
sich, Er überläßt sie uns nicht, damit wir mit ihr haushalten
sollen.
Gerade diejenigen, die aus der Macht des Teufels zu Gott
geführt und durch den Sohn recht frei geworden sind, seufzen
und klagen am meisten über ihre jämmerliche Ohnmacht, wenn
der Herr sie in der Versuchungsstunde verläßt. Sie kämpfen,
sie weinen, sie beten und rufen zu Gott um Hilfe, alles
aber scheint vergeblich zu sein. Sie sind nahe daran zu
verzweifeln. Wo ist nun der freie Wille? Weshalb sind sie
nicht fromm und rein? Hätten sie selbst Kraft dazu, weshalb
sollten sie dann klagen, jammern und beten? Sie brauchten
nur das Böse hinwegzuweisen und könnten stark und froh sein.
Könnten sie alles durch Gebet überwinden, weshalb sollten sie
dann verzweifeln? Demgegenüber zeugen die Psalmen Davids und
die Klagen aller Heiligen davon, daß der Mensch nicht mehr
einen freien Willen oder die Fähigkeit dazu hat, das Gute zu
tun, das er will. Gewiß hätte Petrus lieber immer so stark
sein wollen, wie er versicherte und wie er sich dann in
Gethsemane zeigte: Als er aber bald nachher auf die Frage
einer Magd so schrecklich das erste, zweite und dritte Mal
fällt, weint er bitterlich und erkennt nun, daß er die Kraft
nicht in seiner Gewalt hat. - Paulus flehte dreimal um
Erlösung von ,,dem Pfahl in seinem Fleische"; er flehte
vergeblich, und er lernte nun das Geheimnis: ,,Wenn ich
schwach bin, so bin ich stark."
Der freie Wille ist ein Traum von den Tagen des Paradieses
her. Er ist nie im Menschen gefunden worden, seit Adam ihn
mißbrauchte. Seitdem ist der Mensch zum Bettler geworden,
der jedes bißchen Kraft von Gott erbitten muß; und wenn er
sie erbitten muß, dann kann er sie ja nicht nehmen, bevor
sie ihm gegeben wird. Wenn der Herr uns losläßt, fahren wir
immer dem Abgrund entgegen. Das ist das Bild des Menschen
nach dem Fall Adams.
Was soll ich tun?
Ich kann ja leider nichts aus meiner eigenen Kraft.
Herr, gönne mir den Geist der Kraft, des Lichts,
der alles in mir schafft!
Mein Geist ist in mir selbst zerschlagen,
Ich muß von ganzem Herzen sagen:
Ich kann nichts tun!