Römerbrief

Röm 7,9 C.Eichhorn Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde Ich lebte weiland ohne Gesetz. Da aber das Gebot kam, ward die Sünde lebendig in mir. Ich aber starb. Röm. 7, 9.10

Der Apostel unterscheidet einen dreifachen Zustand: ohne, unter, im Gesetz. "Ich lebte weiland ohne Gesetz." Damit meint der Apostel nicht die Zeit seiner Kindheit, sondern diejenige Zeit seines Lebens, in der er noch nicht von der Wucht des göttlichen Willens innerlich getroffen war. Die Forderungen des heiligen Gottes waren ihm noch nicht in ihrer Tiefe zum Bewußtsein gekommen. So geht es den allermeisten Menschen. Sie kennen die Gebote Gottes wohl; man glaubt ihnen auch gerecht zu werden, weil man sich nicht gerade gegen den Buchstaben verfehlt. Man "lebt", d.h. man befindet sich nicht in dem Todeszustand, von dem Paulus nachher redet. Am äußeren Gesetz gemessen, war Paulus unsträflich, ja sogar ein Eiferer fürs Gesetz (Phil. 3, 6). So geht es vielen mit der christlichen Lehre, sie erfassen sie mit dem Verstand, aber der innere Gehalt bleibt dem Herzen verschlossen. Erst als das Gebot ihm innerlich nahetrat, ward die Sünde lebendig, und Paulus starb. Vorher war er im Innersten noch unberührt davon. Besonders fiel ein Gebot mit ganzer Wucht auf sein Herz. Es war das Gebot: Laß dich nicht gelüsten! Bisher war dieses Gebot ganz außerhalb seines Gesichtskreises. Er meinte: "Ich habe es alles gehalten von Jugend auf." Er wußte nur von Tatsünden. Die bösen Gedanken und Lüste, die aus dem Herzen aufsteigen, kannte er noch nicht in ihrer Verwerflichkeit. Wie viele unter uns trösten sich mit dem Gedanken: "Ich tue ja nichts Schlechtes!" Sie haben die Sünde in ihrer Tiefe noch nie erkannt und das Wort des Heilands: "Aus dem Herzen kommen arge Gedanken, Gedanken des Mords, des Ehebruchs, der Hurerei" noch nie innerlich erfaßt. Erst wenn dieses Gebot das Gewissen trifft, wacht es auf. Die Sünde wird lebendig. Der Mensch wird nun erst ein Sünder. Zuvor war die Sünde tot. Sie ist zwar vorhanden, aber sie ist in der Seele wie ein Krankheitsstoff, der im Innern des Körpers lagert und durch bestimmte Arzneimittel ausbricht. So erregt auch das göttliche Gesetz, sobald es der Mensch innerlich vernommen hat, allerlei böse Lust. Der verborgene Schaden tritt heraus. - Der selbstgerechte Mensch, dem noch die eigentliche Sündenerkenntnis fehlt, genießt ein gewisses Leben oder Wohlsein. Doch es ist nur ein Scheinleben. - "Ich aber starb." Sobald die Sünde "lebendig wird", tritt ein Sterben ein. Das sorglose Dahinleben, der sichere Zustand der Selbstgerechtigkeit hat ein Ende. Der Mensch empfindet seine todeswürdige Schuld, aber auch seine Todesohnmacht, seine völlige Untüchtigkeit zu allem Guten. So wird er durch das Gesetz oder genauer durch die Sünde, die durch das Gesetz lebendig wird, dem Tod überliefert. Die Sünde wird nun erst in ihrer furchtbaren Macht offenbar. Wenn der Mensch das Gesetz erfüllt, gereicht es ihm zum Leben. Aber keiner kann es erfüllen, und so überliefert es dem Tod.