Röm 7,6
C.O.Rosenius
Nun aber sind wir von dem Gesetz los und Ihm abgestorben,
das uns gefangenhielt. Röm. 7, 6.
Der Apostel schildert hier das Gesetz als ein Gefängnis,
in dem wir gefangengehalten wurden. Seine Gebote und Urteile
waren die Eisengitter, Türen und Schlösser, die uns zum Tode
verwahrten. Zunächst muß beachtet werden, daß das Gesetz uns
schon wegen der in unserer Natur liegenden Sünde verdammt,
ja, wir haben die Sünde und den Tod als Erbe von Adam; und
das Gesetz sagt: ,,Verflucht sei jedermann, der nicht bleibt
in alledem, das geschrieben steht im Buch des Gesetzes, daß
er es tue". Zum anderen: Wenn wir nicht glauben, daß wir
schon verurteilt sind, ob wir jetzt auch nie mehr sündigten,
sondern mit unserer Besserung unsere Schuld zu verkleinern
suchten, um die Gnade Gottes zu gewinnen, - dann ist unsere
ganze Natur so mit der Bosheit und dem Verderben erfüllt,
daß wir unausgesetzt aufs neue sündigen und unsere Schuld
vermehren, wodurch das Gewissen beständig gegen die Urteile
des Gesetzes verstößt und von ihnen wie von Eisengittern und
Schlössern gefesselt wird. Wohin wir uns auch wenden, werden
wir stets ,,gefangengehalten".
Ein solches Gefängnis ist das Gesetz. So sagt der Apostel
Gal. 3, 23: ,,Ehe denn der Glaube kam, wurden wir unter dem
Gesetz verwahrt (bewacht) und verschlossen (eingeschlossen)
auf den Glauben, der da sollte offenbart werden." Aber in dem
Bild, daß das Gesetz ein Gefängnis ist, liegt nicht nur, daß
wir unter demselben zum Tod verurteilte Gefangene sind,
sondern wir werden dadurch auch an die Art der vom Gesetz
bewirkten Frömmigkeit gemahnt. Luther redet davon in
folgender Weise: ,,Des Gesetzes Amt ist, uns unter dem Gesetz
zu verwahren gleich als in einem Kerker. Dies ist ein sehr
feines Gleichnis, das anzeigt, was das Gesetz ausrichtet
und wie fromm es die Leute macht. Kein Dieb, kein Mörder
oder Räuber ist, der seinem Stock oder Kerker, darinnen er
gefangen ist, hold sei; ja, wenn er könnte, machte er zu
Aschen und Pulver beide, den Kerker und Stock, samt den
Fesseln und Ketten. Zwar, weil er im Kerker ist, enthält er
sich wohl, daß er nichts mißhandelt; doch nicht aus gutem
Willen oder aus Liebe zur Gerechtigkeit, sondern daß ihm
der Stock und der Kerker solches wehrt. Er liebt dennoch im
Herzen seine Dieberei und Schalkheit, ja, er trauert darüber,
daß er nicht frei und unverhindert stehlen, rauben usw.
darf. Den Kerker haßt er, und wenn er frei wäre, triebe er
sein Handwerk nach wie vor. Das Gesetz verwahrt die Leute
weltlich und geistlich innerhalb gewisser Schranken. Gleich
also geht's zu mit dem Vermögen des Gesetzes und seiner
Gerechtigkeit, daß es uns zwingt, äußerlich fromm zu sein,
weil es den Übertretern mit schwerer Strafe und Pein dräuet.
Da sind wir dann dem Gesetz wohl gehorsam aus Furcht vor
Strafe, aber von Herzen ungern und mit großer Beschwerung.
Was ist das aber für eine Frömmigkeit, da einer Schalkheit
und Böses aus Furcht vor Strafe unterlassen muß? Darum ist
die Gerechtigkeit der Werke des Gesetzes, wenn man's beim
Lichte besehen will, nichts anderes, denn der Sünde von
Herzen hold und der Gerechtigkeit feind sein, Gott mit Seinem
Gesetze verfluchen und die ärgste Schalkheit für Heiligtum
anbeten und ehren. Denn so sehr ein Dieb den Stock und
Kerker, darin er gefangen ist, liebhat und der Dieberei feind
ist, ebensosehr und willig gern sind wir dem Gesetz untertan
und tun, was es gebietet, und lassen, was es verbietet, wenn
wir in demselben gefangen sind." - Soweit Luther.
Derart ist unsere Frömmigkeit unter dem Gesetz. Wie ganz
anders wird es im Herzen, wenn ein im Gesetzeskerker
ermüdeter, verdammter und verlegener Sünder mit einem Male
alles geschenkt erhält, wenn alles das, woran er unter dem
Gesetz arbeitete und was er sich selbst suchte, ihm von einem
anderen geschenkt wird, und wenn er Gott den Herrn jetzt in
einem ganz neuen Licht als einen liebevollen Vater sehen
darf, der nur darauf wartet, uns Gutes tun zu können und uns
deshalb auch in dieser Weise unter dem Gesetz ermüdete. Wenn
ein Mensch versteht, daß alle Forderungen und Urteile des
Gesetzes hauptsächlich den Zweck haben, uns zu ermüden
und niederzuschlagen, damit wir das fruchtlose Bestreben
aufgeben, mit eigener Gerechtigkeit vor Gott zu bestehen,
weil Er sowohl Gerechtigkeit als auch Heiligung als freie
Gabe geben will - wenn ein ermatteter Sünder dieses versteht
und sich jetzt im Lichte des Geistes gänzlich von dem Gesetz
befreit sieht, wenn er die große Liebe Gottes in Christus
sieht und glaubt, dann empfängt er ein ganz neues Herz
für Gott und für das Gesetz; dann wird der Haß in Liebe
verwandelt; dann kann er Gott mit inniger Lust und Liebe
dienen. Jetzt sagt er von Herzen: ,,Seine Gebote sind
nicht schwer"; ,,ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem
inwendigen Menschen." Jetzt ist das Gefängnis in einen Palast
verwandelt. Und das bewirkt die Freiheit vom Gesetz. Jetzt
lieben wir die Gebote und die Rechte des Herrn so sehr, daß
jedes Straucheln ein Schmerz ist und wir uns von Herzen
grämen würden, wenn jemand die heiligen Gebote umstoßen oder
wegdeuteln wollte. Solches bewirkt der Geist, wenn man von
den Drohungen und Urteilen des Gesetzes befreit und einer
ewigen Gnade vergewissert wird.
Kommt her, umsonst zu kaufen!
Das eig'ne Wollen, Laufen,
Begehren und Betreiben
Wird ohne Früchte bleiben.
Die Seligkeit der Armen
Liegt einzig im Erbarmen,
Das muß die Seelensachen
In allem richtig machen.