Röm 5,19
C.O.Rosenius
Gleichwie durch eines Menschen Ungehorsam viele Sünder
geworden sind, also werden durch Eines Gehorsam auch viele
Gerechte. Röm. 5, 19.
Gleichwie alle Kinder Adams durch seinen Ungehorsam zu
Sündern verurteilt wurden, so wird auch der ganze Same
Christi durch Seinen Gehorsam gerecht gesprochen. Durch
Eines Gehorsam! Hier sagt der Apostel ausdrücklich, worin
die Gerechtigkeit Christi besteht: Es war Sein Gehorsam,
Seine eigene persönliche Erfüllung des ganzen Willens des
Vaters. Wie der Sündenfall in ,,eines Menschen Ungehorsam"
bestand, so sollte dessen Wiedergutmachung durch ,,Eines
Gehorsam" geschehen. Das ganze Leben Christi auf Erden, von
der Krippe bis zum Kreuz, war Gehorsam. ,,Die Liebe ist des
Gesetzes Erfüllung", sagt der Apostel. Christus hatte eine
vollkommene Liebe, sowohl zu Seinem Vater als auch zu uns
Menschen. Aus Liebe zu uns und aus Gehorsam gegen Seinen
Vater kam Er auf die Erde und wurde unser Bruder. In Liebe
und Gehorsam ging Er umher, tat wohl und half allen. Aus
Liebe zu uns und aus Gehorsam gegen Seinen Vater wollte Er
,,den Tod für alle schmecken". ,,Er ward gehorsam bis zum
Tode, ja, zum Tod am Kreuz." Und nichts Geringeres als
ein so vollkommener Gehorsam konnte die Menschen von der
Verdammnis erretten, die durch eines Ungehorsam über uns
gekommen war. Sieh nun hier in diesem vollkommenen Gehorsam
Christi das, was den beständigen Ungehorsam aller Menschen
zudeckt.
Die geistliche Not und Klage aller Heiligen ist diese, daß
sie Gott nicht recht gehorchen können, sondern noch beständig
gegen Ihn sündigen. Wo der Geist willig und heilig ist, da
ist das angeborene Verderben stets als ein Ungehorsam nur um
so fühlbarer und drückender. Alle Sünden im Herzen oder im
Wandel, in Gedanken, in Begierden, Worten und Werken sind
stets ein Ungehorsam gegen Gott, der in Seinem heiligen
Gesetz all dieses Böse verbietet. Dann ängstigen die
Gläubigen sich, erschrecken und jammern als Ungehorsame
gegen ihren Gott.
Aber sieh nun hier: Gegen all unseren Ungehorsam hat Gott
den Gehorsam Seines Sohnes gesetzt. Sein Gehorsam soll
unser Gehorsam sein. So sagt es dieser Text. ,,Durch Eines
Gehorsam werden viele Gerechte." Gerade dazu sandte Gott
Seinen Sohn unter das Gesetz, auf daß Er die, die unter
dem Gesetz waren, erlöste. Als Gott von Ewigkeit her alle
Menschen unter der Sünde, dem Urteil des Gesetzes verfallen
und mit einem solchen Verderben erfüllt sah, daß kein
einziger dem Gesetz vollkommen gehorchen oder es erfüllen
konnte, da beschloß Er in Seiner ewigen Barmherzigkeit,
dieses alles ,,durch Einen" gutzumachen. Sein Sohn sollte
,,der Same eines Weibes", ein wahrer Mensch werden, aber
mit vollkommenem Gehorsam. Als ein neuer Stammvater sollte
Er für uns das Gesetz erfüllen und dessen Fluch erleiden.
Wie wir durch den Ungehorsam des ersten Stammvaters Sünder
wurden, so sollen wir nun durch des anderen Gehorsam gerecht
werden. Und gerade dieser vollkommene Gehorsam Christi ist
die eigentliche Gerechtigkeit, mit der wir vor Gott bestehen.
,,Derhalben sieht der Glaube", sagt die Konkordienformel,
,,auf die Person Christi, wie derselbe für uns unter das
Gesetz getan, unsere Sünden getragen und in Seinem Gang zum
Vater den ganzen und vollkommenen Gehorsam Seinem himmlischen
Vater für uns arme Sünder geleistet und damit allen unsern
Ungehorsam, der in unserer Natur wohnt und in derselben
Gedanken, Worten und Werken steckt, zugedeckt hat, so
daß dieser (unser Ungehorsam) uns nicht zur Verdammnis
zugerechnet wird, sondern aus lauter Gnaden, allein um
Christi willen, uns verziehen und vergeben wird."
Darum muß ein jeder, der gern ein Christ sein und Gottes
Gnade glauben will, aber von seinem eigenen mannigfachen
Ungehorsam behindert und bedrückt wird, ernstlich diesen
Trost fassen und sprechen: ,,Christi Gehorsam ist mein
Gehorsam. Mit meinem eigenen Gehorsam und meiner eigenen
Gerechtigkeit ist es so ganz und gar verloren, daß ich
gänzlich verzweifeln und nimmermehr an die Seligkeit denken
könnte, wenn ich nach dem Gesetz gerichtet werden sollte.
Aber deshalb ist Christus unter dem Gesetz gewesen und hat
einen vollkommenen Gehorsam bewiesen, auf daß Er dadurch
,,uns erlöste, die wir unter dem Gesetz waren. Denn um
Seinetwillen brauchte Er ja wahrlich nicht unter dem Gesetz
zu sein; sondern dieses alles tat Er für uns, an unserer
Statt und uns zugute. Das ist meine einzige Gerechtigkeit,
nämlich nicht mein Gehorsam, sondern Sein Gehorsam; denn
selbst, wenn mein neuer Mensch gehorsam sein will, ist die
alte Natur in mir doch voller Ungehorsam. Deshalb ist dies
mein einziger Trost, daß Christus Jesus für uns gehorsam
war."
In dieser Weise sollten wir uns diesen trostreichen Text
zunutzemachen. Wenn jemand sagt: ,,Was hilft es mir, daß
Jesus gehorsam war, wenn ich es selbst nicht sein kann?",
dann wird geantwortet: Wenn Christi Gehorsam nicht dein
Gehorsam ist, dann bist du ewig verloren. Hier sagt uns der
Apostel, daß wir nur ,,durch Eines Gehorsam" gerecht werden.
Wir sollen darum mit großem Eifer und Ernst diese teuren
Worte ,,durch Eines Gehorsam" in unser Herz einprägen.
Sonst werden wir wegen der Einflüsterungen des Gefühls, des
Gewissens und des Unglaubens immer wie Späne auf dem wilden
Meer umhergetrieben. - Welch ein seliger Trost dagegen,
welch eine Ruhe für einen armen, ermüdeten Sünder, auf diesem
festen Felsen, dem Ewigkeitsratschluß Gottes, ruhen zu
dürfen. Gleichwie wir alle durch eines Menschen Ungehorsam
Sünder wurden, so werden wir auch durch Eines Gehorsam
gerecht!
Wenn ich mich selbst betrachte,
So wird mir angst und weh;
Wenn ich auf Jesum achte,
So steig ich in die Höh',
So freut sich mein erlöster Geist,
Der durch das Blut des Lammes
Gerecht und selig heißt.