Röm 3,21
C.O.Rosenius
Nun ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit Gottes
offenbart. Röm. 3, 21.
Hier zeigt sich uns der Fels der Seligkeit, auf dem allein
unsere Seelen errettet werden müssen, wenn sie nicht ewig
verlorengehen sollen, zugleich aber auch ,,der Fels des
Ärgernisses", gegen den alle Stürme und Wogen des Unglaubens
sich beständig erhoben haben. Die Gerechtigkeit Gottes, von
der hier die Rede ist, ist das größte, uns jemals vorn Himmel
offenbarte Wunder der Gnade und Liebe Gottes, aber auch das
unseren eigenen Gedanken unbequemste Geheimnis, so daß, wenn
ich auch alles andere lernen und behalten kann, ich doch das
nie recht glauben und behalten kann, was ich von dieser
Gerechtigkeit Gottes lerne. Sie ist eine so rein himmlische
Offenbarung und streitet so gegen unsere ganze Natur, vor
allem gegen den tiefen Wahn eigener Fähigkeit, daß wahrlich
nicht nur die Ungläubigen mit aller Macht dagegen streiten,
sondern auch viele sonst erleuchtete und wohlmeinende
Menschen in diesem Punkt mehr oder weniger falsche Meinungen
haben. Und das rührt nicht von einer Unklarheit oder
Zweideutigkeit in den Worten der Schrift von dieser
Gerechtigkeit Gottes her, sondern daher, daß die Sache selbst
so gänzlich gegen unsere Natur, gegen unsere Gedanken und
Meinungen streitet.
Die Gerechtigkeit Gottes unterscheidet sich wesentlich von
aller anderen Gerechtigkeit. Sie unterscheidet sich gänzlich
von der Gerechtigkeit der Menschen und der Engel in bezug
auf ihren Urheber; denn sie ist ,,die eigene Gerechtigkeit
Gottes", eine Gerechtigkeit nicht der erschaffenen Wesen,
sondern des Schöpfers. ,,Ich, der Herr, schaffe sie,"
sagt der Herr ausdrücklich von der Gerechtigkeit, die die
Seligkeit mit sich bringen sollte. Sie ist eine göttliche
und ganz vollkommene Gerechtigkeit, denn sie ist ein Werk
Jahwes selbst, und dies in ganz demselben Sinn, wie die
Welt sein Werk ist. Der Vater hat sie durch den Sohn
zuwegegebracht, wie Er auch durch den Sohn die Welt erschuf.
Petrus sagt: ,,Denen, die einen gleich kostbaren Glauben mit
uns empfangen haben durch die Gerechtigkeit unseres Gottes
und Heilandes Jesus Christus" (gr. Text). Hier wird
Christus ,,unser Gott und Heiland", und die Gerechtigkeit,
auf die sich unser kostbarer Glaube gründet, ,,die
Gerechtigkeit unseres Gottes und Heilandes" genannt.
,,In den Tagen Seines Fleisches" erwarb der Sohn Gottes uns
diese Gerechtigkeit. Bevor Er in diese Welt kam, war Er
weder ein Mitglied noch ein Untertan im Reiche Gottes, - Er
war dessen Haupt. Er wirkte ,,in göttlicher Gestalt", d. h.
als Schöpfer und Befehlshaber der Welt, später dann in
,,Knechtsgestalt". Seine vollkommene Heiligkeit konnte zuvor
nicht ,,Gehorsam" genannt werden. Man könnte eher sagen, daß
das Gesetz mit Ihm, als daß Er mit dem Gesetz übereinstimmte.
Seine göttliche Heiligkeit erwies sich darin, daß Er das
Gesetz gab, nicht aber darin, daß Er dem Gesetz gehorchte.
In Seiner Knechtsgestalt stellte Er sich jedoch unter das
Gesetz, das Er für uns gegeben hatte, und trat in die für Ihn
als Sohn Gottes neue Übung, daß ,,Er Gehorsam lernte". Seine
Gerechtigkeit oder Sein Gehorsam ist also ein Gehorsam der
ehrenvollsten Person, die unter das Gesetz gestellt werden
konnte, des großen Herrn selbst, ,,der da ist Gott über
alles, hochgelobt in Ewigkeit". Es war eine Gerechtigkeit
von Immanuel, ,,Gott mit uns". Und dieser Gehorsam des
Sohnes Gottes in unserer Natur hat das Gesetz viel höher
verherrlicht und zufriedengestellt, als ein Gehorsam aller
erschaffenen Wesen dies hätte tun können, Auch tat Er dem
Gesetz eine viel größere Ehre an, als die Übertretungen der
ganzen Welt dasselbe hätten entehren können. Wenn andere dem
Gesetz gehorchen, dann erwerben sie sich dadurch selbst eine
Ehre. Als der Sohn Gottes dem Gesetz gehorchte, wurde
dagegen das Gesetz geehrt.
Was dem Gehorsam Christi aber auch diesen hohen Wert gibt,
ist dieses, daß dieser Gehorsam mit dem Willen und der
Verordnung des Ewig-Vaters übereinstimmte. Er war vom Vater
zu diesem Amt erwählt und gesalbt. Der Herr war vom Herrn
gesandt. Davon lesen wir bedenkenswerte Worte bei dem
Propheten Sacharja: ,,Ihr sollt erfahren, daß Mich der Herr
Zebaoth gesandt hat. Freue dich und sei fröhlich, du Tochter
Zion; denn siehe, Ich komme und will bei dir wohnen, spricht
der Herr ... , daß du sollst erfahren, daß Mich der Herr
Zebaoth zu dir gesandt hat." Außer allen jenen Stellen des
Alten Testaments, in welchen der Vater von der Sendung des
Sohnes, Seiner ,,Einsetzung auf dem heiligen Berge Zion" und
ähnlichem redet, gingen ja beständig aus dem Mund Christi
die Worte ,,Der Vater", ,,der Wille Meines Vaters", ,,der
Wille dessen, der Mich gesandt hat", ,,darum liebt Mich der
Vater, daß Ich mein Leben lasse, - solches Gebot habe Ich
empfangen von Meinem Vater". Er erklärte alles, was Er tat,
als Gehorsam dem Willen des Vaters gegenüber. Wenn wir
bedenken, daß das größte und wunderbarste, von unseren
Gedanken kaum zu fassende Werk Gottes, daß nämlich Gottes
Sohn Mensch werde, nur den Zweck hatte, daß durch Sein Tun
und Leiden das Gesetz für uns alle erfüllt werden sollte,
damit Sünder errettet werden könnten und das Gesetz dennoch
seine volle Ehre behielte, dann können wir uns gewiß keinen
zu hohen Gedanken von dem Wert machen, den dieser Gehorsam
vor den Augen des Vaters hat.
Ich kenne mich nicht mehr im Bilde
Der alten, seufzenden Natur;
Ich jauchze unter Gottes Schilde
Und kenne mich in Christo nur.
In Christi Schmuck, Triumph und Schöne
Heb' ich getrost mein Haupt empor,
Und mische meine Harfentöne
Schon in den ew'gen Siegerchor.