Apg 22,24
A.Christlieb
Fanatismus.
Apostelgeschichte 22, 22 - 24.
Die wild schreienden Juden, die in rasender Wut Staub in die
Luft sprengen, sind ein besonders charakteristisches Beispiel
von Fanatismus.
Wir Menschen neigen von Natur zum Fanatismus. Selbst
Gotteskinder können noch dahineingeraten.
Fanatismus ist ein falscher, aus eigenem Geist stammender
Eifer, der mit einer von Gott gewirkten Festigkeit nichts zu
tun hat, obwohl beides manchmal verwechselt wird. Es gibt
allerlei Arten von Fantismus. Man kann fanatisch für seine
Lehrmeinung oder für seine Organisation und dergleichen
kämpfen und dabei meinen, für Gott zu streiten. Laßt uns in
diesem Text den Eifer jener Juden näher anschauen, damit wir
derartigen Fanatismus vom gottgewollten, heiligen Eifer
unterscheiden lernen. Wir sehen: die Entstehung, die
Handlungsweise und die Folgen des Fanatismus der Zuhörer
Pauli.
I.
Wie kam es zu diesem Ausbruch blinden Eifers? Das letzte
Wort des Paulus, der Bericht über seine göttliche Sendung in
die Heidenwelt, berührte einen wunden Punkt in den Herzen der
Hörer. Er tastete ihr Vorrecht, ihren Stolz, ihre eigene
Gerechtigkeit an. Wenn der himmlische König den Saulus mit
der Heilsbotschaft zu den Heiden sandte, so waren sie nicht
mehr das allein von Gott bevorzugte Volk, sondern wurden auf
gleiche Stufe mit den verachteten Heiden (,,Gojim") gestellt.
Sie verloren ihre Sonderstellung vor Gott, auf die sie sehr
viel hielten. Das ging ihrer Ehre zu nahe. Wenn Paulus
recht hatte mit seiner Botschaft von Jesus als dem Herrn der
Herrlichkeit, dann waren sie ja alle, die das Christentum
ablehnten, auf dem Irrweg, und dann waren sie Sünder und
Gottlose. Das ließen sie sich nicht gefallen. Hatten sie
bis dahin ruhig zugehört, so brach nun ihre Wut los. Wie
ein Zahnkranker den Arzt ruhig arbeiten läßt, bis dieser
mit seinem Bohrer den Nerv berührt, so ging es bei diesen
Zuhörern. Als es an ihren Stolz und ihre eigene
Gerechtigkeit ging, da wurde der Nerv berührt, und sie
schrien laut auf.
Geht es nicht auch heute noch so, daß manche Zuhörer sich die
Wortverkündigung ruhig gefallen lassen und still anhören.
Sobald aber ihre kranke Stelle berührt wird, sobald sie zu
,,S ü n d e r n " gemacht werden oder ihr Stolz sonstwie
angetastet wird, ist ihre Geduld zu Ende. Dann geraten sie
in wütenden Eifer gegen den Verkündiger, der solches zu tun
wagte.
Wer die g a n z e Wahrheit bezeugt, muß sich stets darauf
gefaßt machen, den fanatischen Eifer der Leute gegen sich zu
erregen.
II.
Wie handelt der Fanatismus?
Die fanatisch erregten Zuhörer unterbrachen den Apostel. Sie
wollten kein Wort mehr von ihm hören. Der Fanatismus trägt
immer das Kennzeichen der Ungeduld. Er verschließt sich
gegen ruhige, besonnene Unterweisung. Er ist unbelehrbar.
Weiter fällten die Zuhörer ein völlig ungerechtes Urteil über
Paulus. Sie erklärten ihn für einen todeswürdigen Menschen
(,,Hinweg mit solchem von der Erde! Denn es ist nicht
billig, daß er leben soll".)
Der Fanatismus trägt Scheuklappen. Darum ist er ungerecht im
Urteil gegenüber Andersdenkenden. Das schärfste Urteil ist
dem Fanatiker kaum streng genug. An seinem Gegner erscheint
ihm a l l e s als Sünde.
Was für Urteile werden oft von denen gefällt, die ihre
religiöse Sondermeinung oder ihre Partei und Organisation
gegen andere verteidigen wollen!
Endlich schrien jene Volksmassen, warfen ihre Kleider ab und
wirbelten den Staub in die Luft. Das Benehmen ließ nicht nur
jede ruhige Besonnenheit vermissen, sondern mußte bei einem
unbeteiligten Fremden den Eindruck erwecken, als habe man es
mit Tollhäuslern zu tun. Welch ein trauriges Bild, diese
Volksmasse von tobenden, schreienden Menschen, die den Staub
in die Luft wirbeln!
H e i l i g e r Eifer, g e r e c h t e r Zorn wird stets auch
in den Schranken des Anstandes und der guten Sitte bleiben.
Wo man mit wüstem Geschrei, mit Niederbrüllen des Gegners und
mit wildem Toben etwas zu erreichen sucht, da sehe man wohl
zu, ob man nicht in dem Fanatismus jener Juden steckt, die in
ihrer Erregung jede Besonnenheit und jeden Anstand vermissen
ließen.
III.
Welche Folgen zog dieser Fanatismus nach sich? Nicht nur
brachten jene Zuhörer sich selbst um jede weitere Belehrung,
sie rissen auch einen ruhigen, sachlichen, unparteiischen
Menschen in die Ungesetzlichkeit mit hinein. Der Führer der
Tempelwache gab Befehl, den Paulus auszupeitschen. Man
wollte sicherlich nicht ungesetzlich handeln. Er wollte
sachlich und richtig die Streitfrage prüfen. Aber der
Fanatismus der Menge riß ihn doch so weit mit fort, daß
er irgendwelche schlimme Schuld bei Paulus vermutete.
Wie oft trübt der blinde, ungerechte Eifer das sachlich ruhig
urteilende Denken des nüchternen Menschen.
Wie anders gebärdet sich die ruhige, geheiligte Festigkeit
des Apostels, die er in dieser Rede zeigte.
Gott erfülle uns alle mit heiligem Eifer, bewahre uns aber
vor jeder Art von Fanatismus.
A.Christlieb
Der Befehl des Hauptmanns, Paulus zu geißeln,
Apostelgeschichte 22, 24,
zeigt uns einen dreifachen Fehler, der sich auch bei uns
wiederholt:
I.
Falsch war zunächst seine Beurteilung des Paulus. Der
Hauptmann meinte, irgendeine schlimme Tat von Paulus müsse
die Wut der ganzen Bevölkerung hervorgerufen haben. Diese
Meinung war begreiflich, aber irrig. Obwohl die äußeren
Anzeichen dafür sprachen, daß Paulus etwas Schlimmes getan
habe, war er doch völlig unschuldig.
Wie oft haben auch wir uns in der Beurteilung eines
Mitmenschen geirrt! Laßt uns doch behutsam im Urteil werden
und nicht schnell einen anderen für einen Übeltäter halten,
weil allerlei Gründe darauf hinzudeuten scheinen.
II.
Aus diesem ersten Fehler entstand der zweite: u n g e r e c h t e
S t r e n g e u n d S c h ä r f e in der Behandlung des Apostels.
Es war damals ein Rechtsbrauch, einen Verbrecher, der seine
Tat nicht eingestehen wollte, durch Geißelung zum Geständnis
zu zwingen.
Diesen Rechtsbrauch wandte der Oberhauptmann hier bei Paulus
an. Das war eine große Ungerechtigkeit. Wenn auch das
römische Reich bei gewissen Übeltätern die Folterung beim
Verhör erlaubte, so durfte man dies Verfahren doch nicht ohne
weiteres bei einem Mann anwenden, dessen Schuld noch gar
nicht erwiesen war. Der Hauptmann durfte nicht ohne jegliche
Schuldprüfung den Apostel in eine Linie mit schlimmen
Verbrechern stellen. Solche Schärfe war voreilig.
Beim Anblick dieses zweiten Fehlers müssen wir eingestehen,
daß er auch von uns mannigfach begangen ist. Jeder Leiter
einer Gemeinde, einer Schule, einer Gemeinschaft oder eines
Vereins kann in diesem Punkte leicht fehlgreifen und dadurch
oft für lange Zeit bei Jungen oder Alten das Vertrauen
verlieren. Auch für Väter und Mütter gilt es, bei der
Untersuchung einer Sache nie voreilig zu strengen und
scharfen Maßnahmen zu greifen, die Schaden anrichten könnten.
III.
Bei seinem übereilten Vorgehen machte sich der Oberhauptmann,
ohne es zu wissen und zu wollen, selbst einer
Gesetzesübertretung schuldig. Er ahnte nicht, daß der
Gefesselte das römische Bürgerrecht besaß. Mit seinem
Befehl, den Paulus zu geißeln, hatte er seine Befugnisse
überschritten und sich strafbar gemacht.
Wie leicht übertreten auch wir, besonders in Zeiten der
Unruhe und Aufregung die bestehende Rechtsordnung und müssen
für die Folgen einstehen.
Was bei dem Hauptmann vorkam, kann auch uns begegnen. Nur
einer hat niemals gefehlt in der Beurteilung und Behandlung
anderer Personen. Seine bewahrende Hand wollen wir suchen,
daß des Hauptmanns Irrungen nicht die unsrigen werden.