Apg 22,1
A.Christlieb
Drei naheliegende Fehler, die Paulus in der Rede nach seiner
Gefangennehmung vermied.
Apostelgeschichte 22, 1 - 6.
1. Paulus klagt nicht über die ihm widerfahrene
Ungerechtigkeit.
Nachdem Paulus von dem Hauptmann die Genehmigung zu einer
Ansprache an das Volk erhalten hatte, hielt er eine längere
Rede (Vers 1 - 21). In dieser ist nicht nur das, was er
sagte, für uns lehrreich, sondern auch das, was er nicht
sagte. Zuerst hätte Paulus mit vollem menschlichen Recht
über die geradezu empörende Behandlung, die ihm widerfahren
war, Klage führen und den Zuhörern darüber Vorwurfe machen
können. Wie ungerecht und roh war er überfallen, verleumdet
und geschlagen worden!
Bis dahin hatte Paulus noch gar nicht zu Worte kommen und auf
alles antworten können. Nun er aber jetzt das Wort ergreifen
konnte, hätte mancher es nach allen Vorkommnissen für
selbstverständlich gehalten, daß er nun alle Verleumdungen
mit Entrüstung zurückgewiesen hätte und zum Gegenangriff in
Vorhaltungen über ihr Benehmen übergegangen wäre. Nichts
davon hat Paulus getan. Kein Wort der Klage und Beschwerde
ist in seiner ganzen Rede zu finden. Kein Ton des Zornes
oder des Unwillens klingt irgendwo durch.
Laßt uns hier vom Paulus lernen! Er war ein rechter Schüler
des Meisters, ,,der ein solches Widersprechen von den Sündern
wider sich erduldet hat" (Hebräer 12, 3). Er folgt dem,
,,welcher nicht wiederschalt, da er gescholten ward, nicht
drohte, da er litt" (1. Petrus 2, 23). Wohl allen, die ihm
darin nachfolgen! (Römer 12, 19).
2. Paulus triumphierte nicht über das Mißlingen des Planes
seiner Feinde.
Die Juden aus Asien und die durch sie erregte Menge hatten
die Absicht gehabt, Paulus zu töten (Kap. 21, 31).
Dieser Plan war durch das Dazwischentreten des römischen
Wachkommandos vereitelt worden. Paulus war ihrer Macht
entrissen und unter militärische Deckung gestellt worden.
Wie sehr sich die Feinde über das Mißlingen ihres Planes
ärgerten, beweist ihr ohnmächtiges Wutgeschrei bei seiner
Fortschaffung (Vers 36).
Nun hätte Paulus aus seiner gesicherten Lage heraus
irgendwelche Schadenfreude über dieses Mißlingen ihres
Planes zeigen können, wenn auch in feinerer Form. Unserer
natürlichen menschlichen Art hätte dieses recht naheliegen
können. Aber dadurch wären die jüdischen Gegner noch mehr
gereizt, verbittert und in maßlose Wut versetzt worden.
Paulus vermied diesen Fehler. Er kränkte niemand durch einen
spöttischen Hinweis auf das abermalige Entrinnen aus ihrer
Macht.
Auch darin wollen wir in seine Fußstapfen zu treten suchen.
Wenn Gott einen Plan unserer Feinde gegen uns zuschanden
macht, so haben wir nie die Aufgabe, diese unsere Gegner noch
mehr zu erregen durch Bespötteln ihrer mißlungenen Absicht
(Epheser 5, 15; Kolosser 4, 5).
3. Paulus flehte nicht ängstlich um Rücksichtnahme auf seine
Person und um Befreiung.
Paulus war der Freiheit beraubt worden. Was seiner in der
Gefangenschaft wartete, wußte er nicht. Jedenfalls hätte
er mit großer Sorge in die Zukunft schauen und um sein
Leben und seine Freiheit besorgt sein können. Unter diesen
Verhältnissen lag es wohl recht nahe, die zahlreichen Zuhörer
um Mithilfe anzuflehen, daß er bald wieder in Freiheit
gesetzt und vor jeder Verurteilung bewahrt würde.
Auch dies geschah nicht. Paulus zitterte nicht für sein
Leben. Er wußte sich nicht von der Stellungnahme seiner
Zuhörer, sondern von seinem Gott abhängig. Das verleiht
seinen Worten eine getroste Festigkeit, die allein geeignet
war, auf diese Hörer Eindruck zu machen. Auch wir wollen
Gnade suchen, daß wir in Stunden großer Gefahr nicht in eine
Ängstlichkeit und Furcht hineingeraten, die der Gotteskinder
unwürdig ist. Wer sich in Gottes Hand weiß, redet getrost,
auch wenn drohende und wutschnaubende Feinde ihn umgeben
(Psalm 118, 11 - 13; Nehemia 6, 9 11).