Apg 19,30
A.Christlieb
Paulus bleibt auf Anraten der Jünger dem Aufruhr fern.
Apostelgeschichte 19, 30.
1. Auch gute Pläne großer Gottesmänner müssen bisweilen
unterbleiben.
Unser Text führt uns aus der lärmenden, tobenden
Volksversammlung in die stille Friedensluft des
Jüngerkreises. Dort zeigt sich uns ein scheinbar unwichtiges
aber doch sehr lehrreiches Bild. Paulus will hinaus in die
Volksversammlung, fügt sich aber dem gemeinsamen Widerstand
der Jünger und gibt sein Vorhaben auf.
Dieses Zurückbleiben des Paulus auf das Anraten der Jünger
soll uns beschäftigen. Der Mann, welcher hier einen
Entschluß faßt, ist der gesegnetste Zeuge und Apostel Jesu,
ein Mann von lauterster Gesinnung. Sein Plan, unter das Volk
zu gehen, war durchaus edel. Er entsprang aus Liebe. Seine
beiden Gefährten Gajus und Aristarchus waren vom Volkshaufen
ergriffen und mitgeschleppt worden (Vers 29). Die gegen ihn
selbst gerichtete Wut hatte sich auf diese zwei geworfen.
Lag es da nicht für den Apostel nahe, sich zur Verfügung zu
stellen, damit diesen zweien Erleichterung und Hilfe zuteil
würde? Ihm lag nur das Beste am Herzen. Liebe zu den
Brüdern und Sorge um die Sache des Evangeliums trieben ihn zu
seinem Entschluß. Er hatte die Absicht, der verführten
Volksmenge Klarheit und der in Unruhe geratenen Stadt wieder
Ruhe und Frieden zu verschaffen. Und doch zeigte es sich,
daß dieser gute Plan besser unterblieb. Er selbst gestand
dies durch die Tat ein.
Wenn ein Mann von solcher Nüchternheit und Klarheit, von so
tiefer Erkenntnis der Wege und des Willens Gottes, von
solcher Aufrichtigkeit und Selbstlosigkeit einen Plan
aufgeben mußte, wieviel Ursache haben wir dann, gegen unsere
eigenen Pläne und Entschlüsse mißtrauisch zu sein, die wir
doch alle an innerer Erleuchtung und göttlicher Erkenntnis
unendlich tief unter Paulus stehen. (Römer 12, 17 a; 1.
Samuel 25, 13)
2. Es liegt in der Gemeinschaft der Jünger Jesu eine
bewahrende Macht.
Paulus stand den Christen in Ephesus als Hirte und Lehrer
gegenüber. Er war ihr Führer. Seine Überlegenheit
in geistlichen Dingen schloß aber nicht aus, daß die
eingeborenen Gemeindeglieder ihn an praktischem Blick für
die Gefahr, an richtiger Einschätzung der Volksleidenschaft
übertrafen. Mit dieser ihrer Erkenntnis hielten sie nicht
zurück. Sie stimmten nicht etwa in falscher Ehrfurcht dem
großen Apostel in jedem Stück ohne weiteres zu. Vielmehr
blieben sie in ihrem Urteil ihm gegenüber trotz aller
Ehrerbietung durchaus selbständig. Sie wagten es, seinen
Plan nicht gut zu heißen, sondern abzulehnen. Sie setzten
seiner Meinung ihre berechtigte Überzeugung entgegen.
Auch ein Paulus mußte sich dies gefallen lassen. Er mußte
sich durch Brüder aufmerksam machen, warnen und berichtigen
lassen.
Eine rechte Gemeinschaft duldet nie, daß der einzelne ein
unnahbarer Papst wird. Einer tritt dem andern, wo es nötig
ist, entgegen, warnt ihn und hält ihn von gefährlichen Wegen
zurück. So ergänzen, erziehen und bewahren sich die
Gläubigen untereinander.
Die Ewigkeit wird einmal all den Segen offenbaren, den Gott
uns durch Brüder, besonders durch selbständige, anders
urteilende Christen gegeben hat. Laßt uns diesen Segen recht
schätzen und ihm nie aus dem Wege gehen. (1. Korinther 12,
21 - 26; 1. Samuel 25, 26; 1. Thessalonicher 5, 11)
3. Das echte Kennzeichen eines Gottesmannes ist die Demut,
die sich raten läßt.
Es gibt Menschen, die es nicht vertragen können, wenn Brüder
anderer Meinung sind als sie selbst. Zu solchen gehörte
Paulus nicht. Die Verschiedenheit der Meinungen hat in jenen
Augenblicken auch nicht den leisesten Schatten auf das schöne
Verhältnis zwischen beiden Teilen geworfen. Paulus wurde
nicht verstimmt, gekränkt und beleidigt. Er wollte nicht
recht behalten. Er verlangte nicht, das letzte Wort zu sagen
und den Ausschlag geben zu müssen. Vielmehr war Paulus
demütig genug, sich dem Rat der Brüder zu fügen.
Diese Demut zeigt uns den echten Gottesmann. Sein
apostolisches Ansehen litt durch dieses Nachgeben keinerlei
Schaden. Im Gegenteil! Seine Demut läßt ihn im Urteil jedes
biblisch denkenden Menschen nur noch höher steigen.
Diothrephes würde nicht so gehandelt haben (3. Johannes 9.
10). Paulus war das Gegenteil jenes stolzen und
herrschsüchtigen Mannes. Laßt uns der Demut des Paulus, die
sich von Brüdern sagen ließ, nachfolgen (Jakobus 3, 17;
Sprüche 11, 2 b; Zephanja 2, 3)