Apg 18,17
A.Christlieb
Die Mißhandlung des Sosthenes.
Apostelgeschichte 18, 17.
Eine recht wüste Szene, die trotz allem zum Gegenstand
unserer Erbauung werden kann. Der Wortführer jener Ankläger
des Paulus erhält von den Zuschauern der Gerichtsverhandlung
eine Tracht Prügel.
Nicht zur Stillung einer Neugier, nicht zur Erregung einer
ungöttlichen Leidenschaft, sondern zum Spiegel unseres
eigenen bösen Herzens wollen wir dieses Bild näher ansehen,
indem wir die Schuld des Sosthenes und seines Anhangs, die
Schuld der Griechen und die Schuld des Gallion an diesem
Vorkommnis erwägen.
1. Die Schuld des Sosthenes.
Zuerst war Sosthenes selbst Schuld an dem, was ihn hier
traf. Er war Anführer der Feinde des Evangeliums gewesen. Er
vertrat die Leute, welche sicherlich wünschten, daß Paulus
wie dort in Philippi (16, 22) mißhandelt würde. Das war
unrecht. Sosthenes mußte die gerechte Strafe für das
gehässige Vorgehen der Judenschaft gegen Paulus an seinem
Leibe zu fühlen bekommen.
Der Anblick dieses geschlagenen Synagogenvorstehers soll
denjenigen zur Warnung dienen, die heute noch eine feindliche
Stellung gegen Gottes Wort einnehmen. Es kommt einmal die
Stunde, wo das Böse, das sie den Jüngern Jesu wünschten oder
antaten, sie selbst treffen wird (Prediger 10, 8; Sprüche 26,
27; Psalm 7, 16; Esther 7, 9. 10).
Es scheint übrigens, daß jene bittere Erfahrung jenem
Sosthenes zum Segen wurde. Die meisten Ausleger nehmen an,
daß der spätere Mitarbeiter des Paulus und Mitschreiber des
1. Korintherbriefes (,,Paulus und Bruder Sosthenes", 1.
Korinther 1, 1) eben dieser frühere Wortführer der Feinde
gewesen ist, der sich demnach später ganz dem Christentum
zuwandte. Wohl allen, die sich durch gründliche
Enttäuschungen zur Umkehr auf den rechten göttlichen
Pfad leiten lassen.
2. Die Schuld der Griechen.
Die Griechen ließen hier einer längst vorhandenen Abneigung
gegen die Juden die Zügel schießen. Sie bemerkten wohl einen
gewissen Unwillen bei dem Landvogt, der erst durch eine recht
deutliche Sprache die Juden zum Weggehen bewegen konnte (Vers
16). Diesen Zeitpunkt hielten sie für geeignet, um ihren Haß
an einem Vertreter dieser Nation auslassen zu können.
Diese auf Sosthenes losschlagenden Griechen erinnern uns an
manche ungöttlichen, gehässigen Gefühlswallungen, die sich in
unserem eigenen Herzen beim Anblick gewisser fremder Völker
regen, die nicht nach unserem deutschen Geschmack sind. Für
Jünger Jesu ziemt es sich aber nicht, die Abneigung gegen
irgendein Volk der Erde Raum zu geben im Herzen. Laßt uns
nie jenen Griechen ähnlich werden, auch nicht in unserem
Herzen (5. Mose 10, 18. 19; 24, 17 - 22).
3. Die Schuld des Gallion.
Dieser drückte beim Anblick jener Mißhandlung ein Auge zu.
Einerseits mochte er selbst den Juden nicht sehr gewogen
sein, andererseits mochte er die Gunst der Griechen gewinnen
wollen, indem er ihnen dies durchgehen ließ. Auf alle Fälle
handelte dieser sonst wohl edel denkende und gerechte Beamte
in diesem Stück falsch. Die rohe Behandlung des Sosthenes
war ungesetzlich.
Wenn ein Beamter in hoher, leitender Stellung in seiner
nächsten Nähe Übertretungen des Gesetzes duldet, so schwächt
er damit das Ansehen der Gesetze, für deren Geltung er Sorge
zu tragen hat.
Laßt uns für die Obrigkeit bitten, daß sie vor diesem Fehler
bewahrt werde.
Die Schwäche des Gallion findet sich übrigens auch bei
manchen Eltern und Erziehern wieder, welche vor ihren Augen
manches geschehen lassen, wogegen einzuschreiten sie die
unbedingte Pflicht hätten. Laßt uns also nicht über Gallion
richten, wenn wir selbst in seinen Fehler hineingeraten.