Apg 17,22
A.Christlieb
Die Verbindung von Schlangenklugheit und Taubeneinfalt in der
Predigt des Paulus.
Apostelgeschichte 17, 22 - 31.
I.
Schlangenklugheit und Taubeneinfalt in der Einleitung der Rede.
In der Predigt des Apostels Paulus in Athen findet sich eine
wunderbare Verbindung von Schlangenklugheit und Taubeneinfalt
(Matthäus 10, 16). Dies beweist schon der erste Satz seiner
Rede. In demselben ruft er den Athenern ein freundliches
Wort zu, das zu einer Brücke zwischen ihm und den Zuhörern
werden konnte. Er sagt: ,,Ihr Männer von Athen, ich sehe an
allem, daß ihr mehr als andere auf die Verehrung der Götter
gebt!" (Wörtliche Übersetzung.) Paulus erkennt an, daß die
Athener sich um die Gottheit bekümmerten.
Diese Tatsache, daß sie in ihrer Art ein religiöses Interesse
bekunden, nutzt er als Anknüpfungspunkt und verschafft sich
dadurch Eingang in die Herzen. Das war Schlangenklugheit.
Mit ihr verband er aber die rechte Lauterkeit und
Taubeneinfalt. Denn das freundliche Entgegenkommen seines
ersten Satzes ging nur soweit, als die Wahrhaftigkeit es
zuließ. Daß die Athener sich um die Verehrung der Gottheit
bemühten, war Wahrheit. Damit sagte er nicht zuviel. Hätte
er aber die Art und Weise, wie sie die Gottheit verehrten,
irgendwie anerkannt, so wäre er nicht in der Wahrheit
geblieben. Aber er beschränkte sich auf die Erwähnung des
vorhandenen religiösen Eifers, ohne ihn weiter zu beurteilen.
Dieses durch und durch lautere Einhalten der Wahrheitsgrenze
beweist die Taubeneinfalt.
Wie leicht kann es vorkommen, daß ein Redner in der Absicht,
die Hörer zu gewinnen, schmeichelhafte Worte gebraucht, die
über die zarten Grenzen der inneren Wahrhaftigkeit
hinausgehen. Damit verläßt er den Boden der Taubeneinfalt,
die nicht minder wichtig ist als die Schlangenklugheit.
(Philipper 4, 8; 2. Korinther 7, 14 b).
II.
Schlangenklugheit und Taubeneinfalt in dem Thema der Rede.
Als Paulus zur Darlegung seiner ,,neuen Lehre" (Vers 19) auf
den Areopag geführt wurde, befand er sich in einer heiklen
Lage. Die Verkündigung neuer Gottheiten war in Athen durch
ein Gesetz verboten. Was sollte er da tun? Brachte er ohne
weiteres die Lehre des Evangeliums, so übertrat er jenes
Gesetz. Verschwieg er dieselbe, so war er unwahr, und die
göttliche Botschaft blieb unausgerichtet.
Hier war Schlangenklugheit nötig. Dies bewies Paulus durch
die Anknüpfung an die Inschrift des Altars. Diese bot ihm
einen Ausweg aus seiner Schwierigkeit. Indem Paulus diese
Inschrift zum Thema seiner Rede machte, sagte er gleichsam:
Ich möchte einer bei euch bereits vorhandenen und ausgeübten
Gottesverehrung zur nötigen Klarheit verhelfen. ,,Ich
verkündige euch den Gott, dem ihr bereits unwissend
Gottesdienst tut". So war Paulus gegen eine etwaige
Beschuldigung einer Gesetzesübertretung gedeckt. Obwohl
der wahre Gott, den er verkündigte, nichts mit den Göttern
Griechenlands zu tun hatte, obwohl er im Grunde doch eine
andere Gottheit verkündigte, so war doch die Form, in der er
es tat, so weise gewählt, daß man ihn nicht fassen konnte.
Der Apostel war aber in der Aufstellung dieses Themas nicht
nur sehr klug, sondern auch durch und durch wahr. Es war
nicht ein Scheinthema, das er nur zur eigenen Sicherheit als
Aushängeschild benutzte. Es war sein wirkliches Thema, das
er durchführte, so daß alle Philosophen Athens ihm nicht
den Vorwurf innerer Unwahrhaftigkeit machen konnten. Er
verkündigte in Wahrheit den auf dem Altar gemeinten,
unbekannten Gott.
So verband er in der Wahl dieses Themas unter göttlicher
Leitung die Schlangenklugheit mit der Taubeneinfalt (Matthäus
10, 19; 1. Samuel 18, 14).
III.
Schlangenklugheit und Taubeneinfalt in der Durchführung der
Rede.
Auch in der weiteren Rede zeigt sich diese Verbindung.
Er paßte sich einerseits den Athenern ganz an. Er wurde
gleichsam den Athenern ein Athener, den Philosophen ein
Philosoph (1. Korinther 9, 19 - 22). Ihrem Forschen nach
richtiger Weltanschauung kam er entgegen und wies es in
die richtige Bahn. In dieser Anpassung bewies er eine
gottgewollte Schlangenklugheit.
Aber auch die andere Eigenschaft vergaß er nicht. Wie
leicht kann es vorkommen, daß ein Redner sich deshalb seinen
Zuhörern anpaßt, weil er Ehre und Anerkennung bei ihnen
sucht. Auch Paulus hätte auf dem Areopag nach dem Beifall
der Menge trachten können. Die Versuchung lag nahe. Aber
er blieb vor dieser Versuchung bewahrt durch die lauterste
Einfalt. Mochten andere Redner auf diesem Platz es darauf
ablegen, daß der ganze Richtplatz vom Beifall der Volksmasse
wiederhallte. Er blieb bei seinem gottgewollten Ziel, Seelen
zur Bekehrung und zur Erkenntnis der Wahrheit zu führen. In
dieser Lauterkeit verschwieg und umging er auch die Dinge
nicht, welche den Athenern unangenehm und ärgerlich zu
hören waren. Er sprach von Buße. Er bekannte sich frei zum
Auferstandenen, wenn auch noch soviel ,,Gebildete" sich daran
stießen. Er suchte keine Anerkennung von seiten der
griechischen Modeweisheit.
So verband er beides: Indem er sich der Lage anpaßte, zeigte
er Schlangenklugheit. Indem er nichts im Auge hatte als die
Ehre Gottes, bewies er Taubeneinfalt und verband so beides
unter göttlicher Leitung. (Matthäus 10, 19; 1. Samuel 18,
14).