Apg 17,17
A.Christlieb
Heiliges Ergrimmen - sündlicher Zorn.
Apostelgeschichte 17, 16. 17.
Erstes Kennzeichen: Das heilige Ergrimmen eifert nicht für
das eigene, sondern für Gottes Interesse. (Johannes 2, 17).
Weil wir uns so leicht über uns selbst täuschen und unseren
sündlichen Grimm für heiligen Zorn halten können, deshalb tut
es dringend not, nach bestimmten biblischen Kennzeichen zu
forschen, durch die man ein heiliges Ergrimmen von dem
sündlichen Zorn unterscheiden kann.
Das erste Kennzeichen eines heiligen Ergrimmens besteht
darin, daß es niemals für eigenes, persönliches, sondern nur
für göttliches Interesse eifert. Wenn im Herzen des Paulus
grimmige Gefühle aufgestiegen wären im Rückblick auf die
neidischen Gegner, die ihn von Beröa vertrieben hatten, so
wäre dies kein heiliger Zorn, sondern eine Anwandlung von
Rachsucht gewesen. Oder wenn ihn der Unmut darüber erfaßt
hätte, daß die sehnlichst erwartete Ankunft von Silas und
Timotheus sich so lange verzögerte, so hätte dies Gefühl in
der menschlichen Ungeduld seinen Ursprung gehabt. Oder wenn
er einige Tage später darüber erregt worden wäre, daß man ihn
auf offenem Marktplatz in Gegenwart anderer Leute einen
Lotterbuben nannte, so wäre dies eher gekränkte Eigenliebe
als göttlicher Zorn gewesen.
Aber Paulus ergrimmt weder über alte noch über neue
persönliche Kränkungen, auch nicht über Geduldsproben,
sondern über die große Zahl der Götzenaltäre, welche
G o t t e s Ehre schädigten. Das war heiliger Grimm.
Wenn heute bei uns einer darüber ergrimmt, daß der Nachbar
über seinen Acker fährt, oder ein anderer Böses über ihn
plaudert und dergleichen, so können wir gewiß sein, daß
dies solcher Zorn ist, von dem das Apostelwort gilt: ,,Alle
Bitterkeit und Grimm und Zorn sei ferne von euch" (Epheser 4,
31). Wenn aber ein bewährter Christ darüber entrüstet ist,
daß von einflußreichen Personen unserem Heiland die Krone
geraubt wird, die ihm gebührt, so ist solches Ergrimmen ganz
anders zu bewerten. Wollen wir Nachfolger dessen sein, der
in heiligem Grimm den Tempel reinigte, so laßt uns sorgfältig
darauf acht haben, daß auch ,,der Eifer um s e i n Haus" und
n i c h t d e r u m u n s e r e i g e n e s uns ,,fresse"
und fortreiße.
Zweites Kennzeichen: Das heilige Erbarmen ist nicht mit Haß,
sondern mit erbarmender Liebe verbunden.
(2. Mose 32, 7 - 29).
Ein zweites Kennzeichen des heiligen Ergrimmens ist dieses,
daß es nicht mit Haß gegen den Fehlenden, sondern mit
erbarmender Liebe gegen ihn verbunden ist.
Das Beispiel von dem Ergrimmen des Mose bei dem goldenen Kalb
kann uns dies besonders deutlich zeigen. Als dieser Knecht
Gottes von dem Berg herabstieg und das Volk bei seiner
Gesetzesübertretung in lustigem Tanz sah, erfaßte ihn ein
heiliger Ingrimm (,,Er ergrimmte mit Zorn", V. 19), so daß
er die Gesetzestafeln zerbrach, das Kalb mit Feuer zerschmolz
und strenges Gericht übte.
Wollen wir diesen Grimm des Mose recht verstehen, und ist
es uns darum zu tun, daß unser Ergrimmen über alle heutige
Abgötterei so rein und heilig sei wie das seinige, so dürfen
wir einen Zug in jener Geschichte nicht vergessen: Bevor Mose
im Grimm das goldene Kalb zu Pulver zermalmte, hat er vorher
auf einsamer Bergeshöhe zu Gott um Erbarmen für die verirrten
Tänzer gefleht.
Mancher Grimm würde wohl anders aussehen oder gänzlich
erlöschen, wenn solche Fürbitte einer Zornesäußerung
vorausginge. Mose trat wohl zornig auf gegen die
leichtfertigen und frechen Übertreter des göttlichen
Gesetzes, aber sein innerster Herzensgrund war mit
erbarmender Liebe zu diesem verirrten Volk erfüllt, wie
auch die nachfolgende Fürbitte so herrlich zeigt (V. 32).
Er haßte den Frevel, aber er suchte das Beste der Frevler.
So handelt der heilige Grimm. Er stammt von dem, der die
Liebe ist und verleugnet diesen Ursprung nicht, wenn er
echt ist. Auch Paulus hegte bei seinem Ergrimmen in Athen
keinerlei Haß im Herzen, wie sein treues Bemühen um das Heil
der Athener zur Genüge beweist.
Drittes Kennzeichen: Das heilige Ergrimmen raubt nie die
ruhige Überlegung, sondern treibt zu weisem und besonnenem
Handeln.
Noch ein drittes Kennzeichen des heiligen Ergrimmens soll uns
beschäftigen. Man erkennt es an der Klarheit des Geistes, an
der Ruhe, Besonnenheit und Weisheit der Handlungen, zu denen
es antreibt.
Der falsche, sündliche Zorn macht die Menschen blind und
unweise (Sprüche 29, 22). Wie töricht wollte doch David in
seinem menschlichen Ingrimm gegen Nabal handeln (1. Samuel
25, 13 und 22)! Wieviel Fehler werden durch übereiltes
Ergrimmen gemacht im Gebiet der Erziehung, der Seelsorge, des
Strafens bei der Wortverkündigung und anderswo! Immer wieder
erfährt man: ,,Das Gesetz richtet nur Zorn an" (Römer 4, 15).
Wie weise und besonnen handelt dagegen der in heiligen
Ingrimm geratene Paulus zu Athen! Wäre sein Grimm ein
fleischlicher gewesen, so hätte er vielleicht einige
Götzenaltäre jener Stadt beschädigt oder zerstört. Aber wie
er später in Ephesus ,,kein Lästerer der Göttin Diana" war
(Apostelgeschichte 19, 37), so vermied er auch hier eine
derartige Kampfesart gegen das Heidentum. Der Ingrimm
des heiligen Geistes gab ihm die beste Waffe der klaren,
besonnenen und entschiedenen Wortverkündigung in die Hand
und auf die Lippen.
So laßt uns denn vorsichtig sein im Gebiet unserer
Gefühlswallungen und sie nach Gottes Wort prüfen. Der Herr
aber reinige unsere Herzen von jedem sündlichen Grimm und
erfülle uns zur rechten Stunde mit dem göttlichen Feuer,
das in Paulus beim Anblick der Götzenaltäre entbrannte.
A.Christlieb
Nutzbringende Wartezeit.
Apostelgeschichte 17, 16 und 17.
I.
Paulus sammelt in der Wartezeit Kenntnisse, die dem Bau des
Reiches Gottes zugute kommen.
Im Leben der einzelnen Christen kommen bisweilen Zeiten
und Umstände vor, wo man in besonderer Weise auf
Warten angewiesen ist. Wenn man in der Fremde durch
Verkehrsstörungen nicht weiterreisen oder in der Heimat wegen
der Witterung seinem Beruf nicht nachkommen kann, wenn man
durch einen allgemeinen Streik gezwungen ist, mit seiner
Arbeit aufzuhören, so muß man auf den Zeitpunkt warten, wo
sich diese Umstände ändern.
Da kann für manche die Frage entstehen: Was fange ich mit
dieser Wartezeit an?
Viele sind mit der Beantwortung dieser Frage schnell fertig.
Sie verträumen oder vertrödeln solche Stunden oder Tage auf
allerlei Weise, wenn sie nicht gar dieselben noch schlimmer
verwerten.
Wie aber beantwortet ein Nachfolger Jesu diese Frage? Er
glaubt doch in allen Lagen an eine göttliche Vorsehung. Kein
Zuganschluß geht verloren, keine Arbeitsmöglichkeit wird ihm
genommen ohne den Willen seines himmlischen Vaters. Er nimmt
also auch im Gegensatz zur ungläubigen Welt solche oft recht
unangenehm oder langweilig erscheinende Wartezeit aus Gottes
Hand an und prüft nach der Schrift, wie solche nutzbringend
angewandt werden kann.
Des Paulus Aufenthalt in Athen kann uns eine Antwort auf
diese Frage geben. Dort sahen wir den Apostel ebenfalls
warten. Er wartet auf seine beiden Mitarbeiter Silas
und Timotheus. Offenbar wollte er ursprünglich seine
Missionsarbeit erst nach deren Ankunft beginnen. Was machte
er nun in der Zwischenzeit, ,,da er zu Athen wartete"? Er
vertrieb sich die Zeit nicht durch ziel- und zweckloses
Umherwandern. Er zerstreute sich nicht durch unnützes
Besehen von allen möglichen äußeren Sachen, deren es in Athen
genug gab. Vielmehr sehen wir ihn, wie er aufmerksam die
mannigfachen Altäre betrachtet, ihre Inschrift liest und auf
diese Weise Kenntnisse sammelt, die nicht nur der Vermehrung
seiner allgemeinen Welt- und Menschenkenntnis, sondern ganz
besonders der darauf folgenden Arbeit im Reiche Gottes
dienen.
Auch wir können oft durch aufmerksames Beobachten und
nützliches Lesen eine Wartezeit fruchtbringend ausfüllen.
(Vergleiche Epheser 5, 16).
II.
Paulus gab in der Wartezeit solchen Gedanken im Herzen Raum,
die dem Bau des Reiches Gottes zugute kamen.
Welch falsche und verkehrte Gedanken und Gemütsbewegungen
dringen oft gerade in Wartezeiten in unser Inneres ein! Bald
reißt uns die Ungeduld mit sich fort, die nicht warten kann,
bis das Erwartete endlich eintrifft; bald faßt uns der Ärger
über die, welche vielleicht die Wartezeit verschuldet haben.
Wie manche Gefahr des Mißmutes, des Neides oder der
Lüsternheit entsteht auch dadurch, daß man in solcher Zeit
mehr als sonst in der Umgebung Beobachtungen anstellt. Wir
nehmen oft gerade im Umherblicken unbewußt allerlei schlimme
Einflüsse in unser Seelenleben auf, die schlecht wieder zu
vertreiben sind.
Auch das Gedanken- und Gemütsleben des wartenden Paulus
war vielen Versuchungen ausgesetzt. Der Rückblick auf die
bisherigen Erfolge konnte hochmütige Gefühle in ihm wecken;
der Gedanke an seine Verfolger konnte den Sorgengeist
wachrufen; der Anblick der Hindernisse für das Reich Gottes
legte ihm die Verzagtheit nahe, und die Begegnungen mit
geachteten Philosophen konnten ihn neidisch machen, wenn er
ihr Ansehen mit seiner eigenen Verachtung verglich.
Hätte er solchen Gedanken Raum gegeben, so würden diese
ihn innerlich geschwächt und zur Arbeit für Gott untüchtig
gemacht haben. Aber stattdessen öffnete er sein Herz für
jene göttliche Betrübnis und heilige Entrüstung über all die
Gottentfremdung, die er vorfand. Das gereichte seiner
Missionsarbeit zur Förderung.
Laßt uns gerade in Wartezeiten über unser Gemüts- und
Gedankenleben wachen und beten, daß wir nicht geschwächt,
sondern gestärkt werden für den wichtigsten Dienst, der
unsere Aufgabe bildet. (Matthäus 26, 41; Psalm 119, 148;
Jeremia 4, 14).
III.
Paulus knüpfte solche Gespräche an, die dem Bau des Reiches
Gottes zugute kamen.
Nicht nur durch Sammeln nützlicher Kenntnisse und durch
das Bewegen guter Gedanken, sondern auch durch richtige
Gespräche und Unterhaltungen hat Paulus die Wartezeit in
Athen trefflich ausgenutzt. Er redete mit Juden und
Griechen vom Heiland (vergleiche Vers 18 b).
Wie lieblich solche Ausnutzung einer Wartezeit ist, dafür ein
Beispiel: Dem heimgegangenen Missionar Nommensen war einst
auf der Heimreise nach Europa ein Schiff fortgefahren, das er
benutzen wollte. Er sah eine unangenehme Wartezeit am Hafen
vor sich und erwog, wie er sie auskaufen solle. Da fiel
ihm ein, daß nach einer Zeitungsmeldung dort eine schlimme
Mordtat vorgekommen war und der Mörder an diesem Ort seiner
Hinrichtung entgegensehe. Er beschloß, diese Wartezeit zu
einem Besuch bei diesem Mörder zu benutzen und mit ihm von
Jesus zu reden. Als er die Erlaubnis hierzu erlangt hatte,
ging er zu diesem Mann, der zwar anfangs völlig unzugänglich
schien, aber allmählich dem Einfluß Nommensens und dem
des guten Hirten sich erschloß und zu einer wirklichen
Herzenserneuerung kam. Die Gespräche mit diesem Mörder
waren die beste Ausnutzung einer Wartezeit am Hafenplatz.
Dort erfüllte sich in lieblicher Weise das Wort: ,,Des
Gerechten Mund ist ein Brunnen des Lebens" (Sprüche 10,
11). (Vergleiche Kolosser 4, 6; Sprüche 16, 24).
A.Christlieb
Drei Zuhörerkreise des Paulus in Athen.
Apostelgeschichte 17, 17 - 21.
Der erste, engste Zuhörerkreis: Die Besucher der Judenschule.
Wenn wir die Arbeit des Paulus in Athen überblicken, so
finden wir, daß er dort drei Zuhörerkreisen mit dem Wort
Gottes dienen durfte. Der erste und engste Kreis war
zunächst die in der Synagoge (,,Judenschule") versammelte
Zuhörerschar, aus Juden und Proselyten (Anhängern des
jüdischen Gottesdienstes aus dem Heidentum) bestehend. Dort
begann Paulus, wie auch früher, mit seiner Arbeit zuerst.
Diese stets wiederholte Anknüpfung an den Gottesdienst seines
Volkes ruft uns aufs neue zu: Laßt uns doch ohne klare
göttliche Leitung niemals ein Band lösen, das Gott uns durch
unsere Lebensführung in die Hand gegeben hat. Immer wieder
gelingt es dem Feind, da und dort eine Seele in dieser
Hinsicht aus den göttlichen Linien heraus auf ein
unfruchtbares Seitengeleis zu bringen. Üble Erfahrungen
und persönlich erlittene Kränkungen bilden oft die Ursache,
weshalb mancher dem Kreise den Rücken kehrt, in den Gott ihn
hineingestellt hat.
Wenn solche Gründe dem Apostel maßgebend gewesen wären, so
hätte er schon längst keine Judenschule mehr betreten. Aber
ihn leitete weder eine gekränkte Empfindlichkeit, noch ein
nachtragender Zorn, sondern die Liebe Christi. Ehe der Herr
ihn aus der Synagoge herausführte oder seine Landsleute ihn
aus derselben ausstießen, tat er selbst keinen Schritt,
dieses Band zu zerreißen. (Vergleiche Sprüche 14, 29;
Hebräer 10, 36).
Der zweite, weitere Zuhörerkreis: Die sich herzufanden auf
dem Markt.
Die Tätigkeit des Paulus in Athen beschränkte sich aber nicht
auf die Besucher der Judenschule. Sein Missionseifer trieb
ihn auch zur Arbeit auf dem Marktplatz.
Hier haben wir den zweiten, weiteren Zuhörerkreis des
Apostels. Er bestand aus denen, ,,die sich herzufanden auf
dem Markt". Mit diesen knüpfte er Gespräche an, die auf
das Eine, was not ist, hinausliefen, auf das Evangelium
vom Sünderheiland.
Diese Arbeit des Paulus auf dem Marktplatz beweist uns die
Treue und den Eifer des Apostels, der jede Gelegenheit
wahrnahm, um das Wort Gottes auszubreiten. An Sabbattagen
und Werktagen, an gottesdienstlichen Plätzen und auf dem
Marktplatz verfolgt er sein Ziel, Seelen für das Lamm zu
werben. Der täglich auf dem Markt redende Paulus erinnert
uns an das Wort: ,,Handelt, bis daß ich komme" (Lukas 19, 13;
vergleiche Johannes 9, 4).
Wenn Paulus die Athener, mit denen er auf dem Markt
zusammentraf, für das Himmelreich zu gewinnen suchte, so
dürfen wir dieses Ziel bei denen, die Gott uns da oder dort
zuführt, ebenfalls im Auge behalten. Sollten wir bei solchem
Bemühen auch einmal Spott ernten, so brauchen wir davor nicht
zu erschrecken. Dann sind wir in der Gesellschaft dessen,
der sich bei seinen Gesprächen über Jesus einst Lotterbube
nennen ließ.
Der dritte und weiteste Zuhörerkreis: Die große Versammlung
auf dem Areopag.
Von den beiden ersten, verhältnismäßig eng begrenzten
Zuhörerkreisen wurde Paulus weiter in eine große Versammlung
auf dem berühmtesten Platz Athens geführt. Wir sehen ihn auf
dem Areopag zum Volk reden, wo hoch und niedrig, arm und
reich, Einheimische und Ausländer seinem Worte lauschen.
Das war der dritte und weiteste Zuhörerkreis.
Paulus hatte sich nicht selbst dazu gedrängt und darum
bemüht, an diesem Ort, wo sonst große Staatsmänner und
Gelehrte ihre Vorträge hielten, reden zu dürfen. Er
hatte still seine von Gott ihm gegebene Kleinarbeit unter
mancherlei Spott und Verachtung getrieben und kaum daran
gedacht, daß er an diesem Platz von Christus zeugen dürfen
werde. Als aber seine Zuhörer auf dem Marktplatz diesen
öffentlichen Vortrag auf dem Richtplatz veranlaßten und
Paulus zu einer öffentlichen Darlegung seiner Lehre drängten,
hat er sich nicht geweigert, sondern ging darauf ein.
Was sagt uns dieser dritte, weiteste Zuhörerkreis des
Apostels in Athen? Er sagt uns: Gott kann seinen Knechten
Bahn machen für das Zeugnis von Christus. Er kann die Herzen
lenken und Wege ebnen, daß viele unter den Schall seines
Wortes kommen und das Himmelreichsnetz weit ausgeworfen
wird (Offenbarung 3, 8).